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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Amistausstellungen des Jahres ^LH?

man, um dieses abenteuerliche Zwittergeschöpf auch sprachlich als solches zu
kennzeichnen, dafür den Ausdruck g'v8soMintivg' (Gipsmalerei) ersonnen hat.

Immerhin hängt die neuerdings in allen Ländern plötzlich in die Mode
gekommne Form des Triptychons oder, wie die Fremdwörterjäger ohne
Achtung vor der Logik sagen, des "Dreibildes" mit der Überlieferung zu¬
sammen, solange sie sich auf religiöse Darstellungen erstreckt. Doch ist auch
hierbei nicht zu übersehen, daß die Flügel eines mittelalterlichen Triptychons
dazu bestimmt waren, umgeklappt zu werden, um das Mittelbild zu verdecken,
das als das Kostbarste und Bedeutsamste nur an hohen Festtagen gezeigt
wurde. Bei dem moderne" Tripthchvn fällt aber die Rücksicht auf die Zweck-
müßigkeit weg, und die tote Form ohne Sinn ist geblieben. Bei einem
Tripthchvn Walter Firles, das in München zu sehen war, war die Dreiteilung
insofern durch den Gegenstand, eine Darstellung der heiligen Nacht, gerecht¬
fertigt, als das Mittelbild ein ärmliches Gemach mit der Madonna und dem
in der Krippe liegenden Kinde darstellte, während auf dem rechten Seitenbilde
ein Engel andächtig durch das Fenster hineinblickt, und auf dem linken Seiten-
bilde ein andrer Engel durch die offenstehende Thür Hirten und Feldarbeiter
hineingeleitct, um das holde Wunder zu schauen. In München sah man aber
auch Tripthcha, auf denen Kapitel aus modernen naturalistischen Romanen
erzählt oder Phantasien überreizter Künstlergehirne zu Gestalten geformt waren.
Der belgische Maler Lson Frvdmic hatte in Berlin ein Tripthchvn unter dem
Titel "Die Arbeit" ausgestellt, auf dessen Mittelbilde man ein weit sich aus¬
dehnendes Ackerland sah, während die zu seiner Bestellung nötigen Gerät¬
schaften und Werkzeuge die Seitenflächen füllten. Vollends zu eiuer Spielerei
hat Gotthardt Kuehl, gegenwärtig der Hauptvertreter der modernen Richtung
in Dresden und, soweit die Künstler in Betracht kommen, der Mittelpunkt der
auf eine völlige Umwälzung der bisherigen Anschauungen zielenden Be¬
wegung, die Mode herabgedrückt. Seine "Spezialität" ist die Schilderung der
Insassen der Versorgnngs- und Waisenhäuser in den Niederlanden und in
seiner Vaterstadt Lübeck, und eine besondre Vorliebe hat er sür die rotröckigen
Waisenmädchen des Amsterdamer Vürgerwaisenhcmses, wobei es nicht immer
klar ist, ob ihn das stets geschäftige, aber doch nicht freudlose Leben dieser
Armen mehr interessüt oder ihre roten Röcke. Auf dem in Dresden ausgestellten
Triptychon, das er ihnen gewidmet hat, um endlich einmal aus dem Vollen
schöpfen zu können, bricht jedenfalls die Freude an der scharlachroten Farbe
so ungestüm hervor, daß die Geschichte selbst seinen begeistertsten Verehrern zu
bunt oder vielmehr zu rot geworden ist. Denn diese Farbe beherrscht alle
drei Teile des Bildes in einem Grade, daß trotz gewisser Feinheiten des Hell¬
dunkels niemand mehr von dem seinen koloristischen Geschmack, den man bisher
an den Bildern Knehls gerühmt hat, zu reden wagt. Mit dieser Verirrung
in der koloristischen Haltung des Bildes stimmt auch sein Inhalt überein.


Die großen Amistausstellungen des Jahres ^LH?

man, um dieses abenteuerliche Zwittergeschöpf auch sprachlich als solches zu
kennzeichnen, dafür den Ausdruck g'v8soMintivg' (Gipsmalerei) ersonnen hat.

Immerhin hängt die neuerdings in allen Ländern plötzlich in die Mode
gekommne Form des Triptychons oder, wie die Fremdwörterjäger ohne
Achtung vor der Logik sagen, des „Dreibildes" mit der Überlieferung zu¬
sammen, solange sie sich auf religiöse Darstellungen erstreckt. Doch ist auch
hierbei nicht zu übersehen, daß die Flügel eines mittelalterlichen Triptychons
dazu bestimmt waren, umgeklappt zu werden, um das Mittelbild zu verdecken,
das als das Kostbarste und Bedeutsamste nur an hohen Festtagen gezeigt
wurde. Bei dem moderne» Tripthchvn fällt aber die Rücksicht auf die Zweck-
müßigkeit weg, und die tote Form ohne Sinn ist geblieben. Bei einem
Tripthchvn Walter Firles, das in München zu sehen war, war die Dreiteilung
insofern durch den Gegenstand, eine Darstellung der heiligen Nacht, gerecht¬
fertigt, als das Mittelbild ein ärmliches Gemach mit der Madonna und dem
in der Krippe liegenden Kinde darstellte, während auf dem rechten Seitenbilde
ein Engel andächtig durch das Fenster hineinblickt, und auf dem linken Seiten-
bilde ein andrer Engel durch die offenstehende Thür Hirten und Feldarbeiter
hineingeleitct, um das holde Wunder zu schauen. In München sah man aber
auch Tripthcha, auf denen Kapitel aus modernen naturalistischen Romanen
erzählt oder Phantasien überreizter Künstlergehirne zu Gestalten geformt waren.
Der belgische Maler Lson Frvdmic hatte in Berlin ein Tripthchvn unter dem
Titel „Die Arbeit" ausgestellt, auf dessen Mittelbilde man ein weit sich aus¬
dehnendes Ackerland sah, während die zu seiner Bestellung nötigen Gerät¬
schaften und Werkzeuge die Seitenflächen füllten. Vollends zu eiuer Spielerei
hat Gotthardt Kuehl, gegenwärtig der Hauptvertreter der modernen Richtung
in Dresden und, soweit die Künstler in Betracht kommen, der Mittelpunkt der
auf eine völlige Umwälzung der bisherigen Anschauungen zielenden Be¬
wegung, die Mode herabgedrückt. Seine „Spezialität" ist die Schilderung der
Insassen der Versorgnngs- und Waisenhäuser in den Niederlanden und in
seiner Vaterstadt Lübeck, und eine besondre Vorliebe hat er sür die rotröckigen
Waisenmädchen des Amsterdamer Vürgerwaisenhcmses, wobei es nicht immer
klar ist, ob ihn das stets geschäftige, aber doch nicht freudlose Leben dieser
Armen mehr interessüt oder ihre roten Röcke. Auf dem in Dresden ausgestellten
Triptychon, das er ihnen gewidmet hat, um endlich einmal aus dem Vollen
schöpfen zu können, bricht jedenfalls die Freude an der scharlachroten Farbe
so ungestüm hervor, daß die Geschichte selbst seinen begeistertsten Verehrern zu
bunt oder vielmehr zu rot geworden ist. Denn diese Farbe beherrscht alle
drei Teile des Bildes in einem Grade, daß trotz gewisser Feinheiten des Hell¬
dunkels niemand mehr von dem seinen koloristischen Geschmack, den man bisher
an den Bildern Knehls gerühmt hat, zu reden wagt. Mit dieser Verirrung
in der koloristischen Haltung des Bildes stimmt auch sein Inhalt überein.


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[0232] Die großen Amistausstellungen des Jahres ^LH? man, um dieses abenteuerliche Zwittergeschöpf auch sprachlich als solches zu kennzeichnen, dafür den Ausdruck g'v8soMintivg' (Gipsmalerei) ersonnen hat. Immerhin hängt die neuerdings in allen Ländern plötzlich in die Mode gekommne Form des Triptychons oder, wie die Fremdwörterjäger ohne Achtung vor der Logik sagen, des „Dreibildes" mit der Überlieferung zu¬ sammen, solange sie sich auf religiöse Darstellungen erstreckt. Doch ist auch hierbei nicht zu übersehen, daß die Flügel eines mittelalterlichen Triptychons dazu bestimmt waren, umgeklappt zu werden, um das Mittelbild zu verdecken, das als das Kostbarste und Bedeutsamste nur an hohen Festtagen gezeigt wurde. Bei dem moderne» Tripthchvn fällt aber die Rücksicht auf die Zweck- müßigkeit weg, und die tote Form ohne Sinn ist geblieben. Bei einem Tripthchvn Walter Firles, das in München zu sehen war, war die Dreiteilung insofern durch den Gegenstand, eine Darstellung der heiligen Nacht, gerecht¬ fertigt, als das Mittelbild ein ärmliches Gemach mit der Madonna und dem in der Krippe liegenden Kinde darstellte, während auf dem rechten Seitenbilde ein Engel andächtig durch das Fenster hineinblickt, und auf dem linken Seiten- bilde ein andrer Engel durch die offenstehende Thür Hirten und Feldarbeiter hineingeleitct, um das holde Wunder zu schauen. In München sah man aber auch Tripthcha, auf denen Kapitel aus modernen naturalistischen Romanen erzählt oder Phantasien überreizter Künstlergehirne zu Gestalten geformt waren. Der belgische Maler Lson Frvdmic hatte in Berlin ein Tripthchvn unter dem Titel „Die Arbeit" ausgestellt, auf dessen Mittelbilde man ein weit sich aus¬ dehnendes Ackerland sah, während die zu seiner Bestellung nötigen Gerät¬ schaften und Werkzeuge die Seitenflächen füllten. Vollends zu eiuer Spielerei hat Gotthardt Kuehl, gegenwärtig der Hauptvertreter der modernen Richtung in Dresden und, soweit die Künstler in Betracht kommen, der Mittelpunkt der auf eine völlige Umwälzung der bisherigen Anschauungen zielenden Be¬ wegung, die Mode herabgedrückt. Seine „Spezialität" ist die Schilderung der Insassen der Versorgnngs- und Waisenhäuser in den Niederlanden und in seiner Vaterstadt Lübeck, und eine besondre Vorliebe hat er sür die rotröckigen Waisenmädchen des Amsterdamer Vürgerwaisenhcmses, wobei es nicht immer klar ist, ob ihn das stets geschäftige, aber doch nicht freudlose Leben dieser Armen mehr interessüt oder ihre roten Röcke. Auf dem in Dresden ausgestellten Triptychon, das er ihnen gewidmet hat, um endlich einmal aus dem Vollen schöpfen zu können, bricht jedenfalls die Freude an der scharlachroten Farbe so ungestüm hervor, daß die Geschichte selbst seinen begeistertsten Verehrern zu bunt oder vielmehr zu rot geworden ist. Denn diese Farbe beherrscht alle drei Teile des Bildes in einem Grade, daß trotz gewisser Feinheiten des Hell¬ dunkels niemand mehr von dem seinen koloristischen Geschmack, den man bisher an den Bildern Knehls gerühmt hat, zu reden wagt. Mit dieser Verirrung in der koloristischen Haltung des Bildes stimmt auch sein Inhalt überein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/232>, abgerufen am 29.06.2024.