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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Aunstausstellniigeii des Jahres ^39?

dieser Sonderbünde, die "Münchner Sezession," hat aber in München soviel
zu thun gehabt, daß sie den Dresdnern nur einen Auszug aus ihren letzten
Ausstellungen in München gewähren konnte. Man wird vielleicht einwenden,
daß solche Äußerlichkeiten, die bei den Svnderansstellungen fremder Nationen,
die immer zwischen Berlin und München wandern, ebenfalls zu bemerken sind,
auf den innern Wert einer Kunstausstellung keinen Einfluß ausüben könnten
und dürften, daß es ganz gleichgiltig sei, ob ein Kunstwerk zuerst in München,
in Berlin oder in Dresden gezeigt wird. Gewiß ist dieser Einwand für Kunst¬
freunde berechtigt, die das Gebotene behaglich zu Hause genießen wollen, ohne
die Erwerbung weiterer Kunstkenntnisse durch unbequeme Reisen bezahlen zu
müssen. Wer aber mit Ernst der modernen Kunstentwicklung folgen will, darf
sich solche Reisen nicht verdrießen lassen. Die Wahrnehmungen, die er dabei
macht, kann er durch Mitteilung den Daheimgebliebnen zu gute kommen lassen,
wie es hier geschieht, und diese Wahrnehmungen laufen am Ende darauf
hinaus, daß die meisten der Kunstwerke, die von ihren Urhebern auf die
Wirkung in großen Ausstellungen berechnet worden sind, den häufigen Trans¬
port nicht vertragen: in dem Grade, wie ihre änßere Erscheinung an Glanz
abnimmt, vermindert sich ihre geistige Wirkung. Und darnach hat der Be¬
urteiler die Schwankungen in der Entwicklung jedes Künstlers abzuschätzen.

Nun macht man gerade bei den Mitgliedern der Münchner "Sezession,"
wenn man auch uur ihre Dresdner Ausstellung mit der Münchner vergleicht
und nicht weiter zurückgreift, die Beobachtung, daß sich die äußern Eindrücke
schon nach Ablauf eines Jahres abstumpfen, ohne daß die geistige Grundlage
oder, wie die Herren gern sagen, das "geistige Fluidum" durch die ab¬
sonderliche Oberflüche stärker hindnrchwüchse. Und außer auf die neue Technik,
die sich mit der alten Überlieferung völlig zu brechen vermaß, hatten die
Sezessiouisten doch auch auf den neuen und tiefen Gedankeninhalt gepocht,
wenigstens die Stimmführer, neben denen freilich allerlei kleines Volk herlief,
das nur durch technische Kunststücke und Gewaltthaten von sich reden machte.
Was es mit dem neuen Gedankeninhalt auf sich hat, zeigen uns Dresden und
München, wo die "Sezession" die Summe von etwa drei Arbeitsjahren
vorführt, sehr deutlich. Mit der alten Bildersprache haben die Herren ganz
und gar nicht gebrochen, und zwischen der überlieferten Technik und der neu
erfundnen ist der Zusammenhang auch nicht völlig zerrissen worden. In
Dresden sieht man ein Bild Fritz von Abtes, das einen Zug von Reisigen
in spütnüttelalterlicher Tracht darstellt, die beim Herausreiten aus dem Walde
einen kometenartigen Stern erblicken. Es sollen die heiligen drei Könige sein,
die auf ihrer Wallfahrt nach Bethlehem das verheißene Wahrzeichen erblicken.
Die grelle Lichtwirkung im einzelnen und der malerische Gesamtton weisen aus
Rembrandt, und an Rembrandt schließt sich auch Abtes "Himmelfahrt Christi"
in München an, wenn auch der holländische Meister, selbst in den fast uner-


Die großen Aunstausstellniigeii des Jahres ^39?

dieser Sonderbünde, die „Münchner Sezession," hat aber in München soviel
zu thun gehabt, daß sie den Dresdnern nur einen Auszug aus ihren letzten
Ausstellungen in München gewähren konnte. Man wird vielleicht einwenden,
daß solche Äußerlichkeiten, die bei den Svnderansstellungen fremder Nationen,
die immer zwischen Berlin und München wandern, ebenfalls zu bemerken sind,
auf den innern Wert einer Kunstausstellung keinen Einfluß ausüben könnten
und dürften, daß es ganz gleichgiltig sei, ob ein Kunstwerk zuerst in München,
in Berlin oder in Dresden gezeigt wird. Gewiß ist dieser Einwand für Kunst¬
freunde berechtigt, die das Gebotene behaglich zu Hause genießen wollen, ohne
die Erwerbung weiterer Kunstkenntnisse durch unbequeme Reisen bezahlen zu
müssen. Wer aber mit Ernst der modernen Kunstentwicklung folgen will, darf
sich solche Reisen nicht verdrießen lassen. Die Wahrnehmungen, die er dabei
macht, kann er durch Mitteilung den Daheimgebliebnen zu gute kommen lassen,
wie es hier geschieht, und diese Wahrnehmungen laufen am Ende darauf
hinaus, daß die meisten der Kunstwerke, die von ihren Urhebern auf die
Wirkung in großen Ausstellungen berechnet worden sind, den häufigen Trans¬
port nicht vertragen: in dem Grade, wie ihre änßere Erscheinung an Glanz
abnimmt, vermindert sich ihre geistige Wirkung. Und darnach hat der Be¬
urteiler die Schwankungen in der Entwicklung jedes Künstlers abzuschätzen.

Nun macht man gerade bei den Mitgliedern der Münchner „Sezession,"
wenn man auch uur ihre Dresdner Ausstellung mit der Münchner vergleicht
und nicht weiter zurückgreift, die Beobachtung, daß sich die äußern Eindrücke
schon nach Ablauf eines Jahres abstumpfen, ohne daß die geistige Grundlage
oder, wie die Herren gern sagen, das „geistige Fluidum" durch die ab¬
sonderliche Oberflüche stärker hindnrchwüchse. Und außer auf die neue Technik,
die sich mit der alten Überlieferung völlig zu brechen vermaß, hatten die
Sezessiouisten doch auch auf den neuen und tiefen Gedankeninhalt gepocht,
wenigstens die Stimmführer, neben denen freilich allerlei kleines Volk herlief,
das nur durch technische Kunststücke und Gewaltthaten von sich reden machte.
Was es mit dem neuen Gedankeninhalt auf sich hat, zeigen uns Dresden und
München, wo die „Sezession" die Summe von etwa drei Arbeitsjahren
vorführt, sehr deutlich. Mit der alten Bildersprache haben die Herren ganz
und gar nicht gebrochen, und zwischen der überlieferten Technik und der neu
erfundnen ist der Zusammenhang auch nicht völlig zerrissen worden. In
Dresden sieht man ein Bild Fritz von Abtes, das einen Zug von Reisigen
in spütnüttelalterlicher Tracht darstellt, die beim Herausreiten aus dem Walde
einen kometenartigen Stern erblicken. Es sollen die heiligen drei Könige sein,
die auf ihrer Wallfahrt nach Bethlehem das verheißene Wahrzeichen erblicken.
Die grelle Lichtwirkung im einzelnen und der malerische Gesamtton weisen aus
Rembrandt, und an Rembrandt schließt sich auch Abtes „Himmelfahrt Christi"
in München an, wenn auch der holländische Meister, selbst in den fast uner-


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[0229] Die großen Aunstausstellniigeii des Jahres ^39? dieser Sonderbünde, die „Münchner Sezession," hat aber in München soviel zu thun gehabt, daß sie den Dresdnern nur einen Auszug aus ihren letzten Ausstellungen in München gewähren konnte. Man wird vielleicht einwenden, daß solche Äußerlichkeiten, die bei den Svnderansstellungen fremder Nationen, die immer zwischen Berlin und München wandern, ebenfalls zu bemerken sind, auf den innern Wert einer Kunstausstellung keinen Einfluß ausüben könnten und dürften, daß es ganz gleichgiltig sei, ob ein Kunstwerk zuerst in München, in Berlin oder in Dresden gezeigt wird. Gewiß ist dieser Einwand für Kunst¬ freunde berechtigt, die das Gebotene behaglich zu Hause genießen wollen, ohne die Erwerbung weiterer Kunstkenntnisse durch unbequeme Reisen bezahlen zu müssen. Wer aber mit Ernst der modernen Kunstentwicklung folgen will, darf sich solche Reisen nicht verdrießen lassen. Die Wahrnehmungen, die er dabei macht, kann er durch Mitteilung den Daheimgebliebnen zu gute kommen lassen, wie es hier geschieht, und diese Wahrnehmungen laufen am Ende darauf hinaus, daß die meisten der Kunstwerke, die von ihren Urhebern auf die Wirkung in großen Ausstellungen berechnet worden sind, den häufigen Trans¬ port nicht vertragen: in dem Grade, wie ihre änßere Erscheinung an Glanz abnimmt, vermindert sich ihre geistige Wirkung. Und darnach hat der Be¬ urteiler die Schwankungen in der Entwicklung jedes Künstlers abzuschätzen. Nun macht man gerade bei den Mitgliedern der Münchner „Sezession," wenn man auch uur ihre Dresdner Ausstellung mit der Münchner vergleicht und nicht weiter zurückgreift, die Beobachtung, daß sich die äußern Eindrücke schon nach Ablauf eines Jahres abstumpfen, ohne daß die geistige Grundlage oder, wie die Herren gern sagen, das „geistige Fluidum" durch die ab¬ sonderliche Oberflüche stärker hindnrchwüchse. Und außer auf die neue Technik, die sich mit der alten Überlieferung völlig zu brechen vermaß, hatten die Sezessiouisten doch auch auf den neuen und tiefen Gedankeninhalt gepocht, wenigstens die Stimmführer, neben denen freilich allerlei kleines Volk herlief, das nur durch technische Kunststücke und Gewaltthaten von sich reden machte. Was es mit dem neuen Gedankeninhalt auf sich hat, zeigen uns Dresden und München, wo die „Sezession" die Summe von etwa drei Arbeitsjahren vorführt, sehr deutlich. Mit der alten Bildersprache haben die Herren ganz und gar nicht gebrochen, und zwischen der überlieferten Technik und der neu erfundnen ist der Zusammenhang auch nicht völlig zerrissen worden. In Dresden sieht man ein Bild Fritz von Abtes, das einen Zug von Reisigen in spütnüttelalterlicher Tracht darstellt, die beim Herausreiten aus dem Walde einen kometenartigen Stern erblicken. Es sollen die heiligen drei Könige sein, die auf ihrer Wallfahrt nach Bethlehem das verheißene Wahrzeichen erblicken. Die grelle Lichtwirkung im einzelnen und der malerische Gesamtton weisen aus Rembrandt, und an Rembrandt schließt sich auch Abtes „Himmelfahrt Christi" in München an, wenn auch der holländische Meister, selbst in den fast uner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/229>, abgerufen am 29.06.2024.