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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Aunstaiisstellnngen des Jahres ^LZ?

gründlichen Tiefen seines Helldunkels, nicht so schonungslos mit menschlichen
Gestalten umgegangen ist, wie es dem Münchner Künstler, besonders bei der
unbeschreiblich verunglückten Figur des gen Himmel fahrenden Heilands, beliebt
hat. In einigen Köpfen derer, die dem Heiland nachschauen, hat sich Abbe
allerdings zu einer gewissen Tiefe der Charakteristik herbeigelassen. Aber wie
selten ihm diese gelingt, beweisen am besten seine Bildnisse, die fast immer
nur die stumpfe Oberfläche wiedergeben, ohne das Leben, das dahinter thätig
ist. Franz Stuck, der zweite der Führer der Sezession, verliert sich mehr und
mehr in grobsinnliche, dekorative Wirkungen und enttäuscht dadurch schmerzlich
die Hoffnungen derer, die von ihm eine Wiederbelebung der großen Kunst
idealen Stils erwartet und mit voreiliger Sicherheit prophezeit hatten. Der
von deu Nachegöttinnen verfolgte Frevler (in Dresden), eine Abwandlung eines
oft von großen und kleinen Künstlern verkörperten Gedankens, die nichts wesent¬
lich neues bietet, fesselt nur durch die malerische Stimmung, nicht durch Tiefe
und Originalität der Charakteristik, und ganz darauf verzichtet hat Stuck bei
der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradiese (in München),
indem er die beiden Vertriebneu nur von der Rückseite ihrer Körper zeigt, die
zwar gewaltige Fleischmassen, aber keine Spur von Gemütsbewegungen enthüllen.

Die jünger" Mitglieder der Sezession suchen natürlich ihre künstlerische
und materielle Förderung in der Nachahmung ihrer Führer. Julius Exter
schließt sich mehr an Abbe an, und Christian Speyer, der fröhliche Militär¬
maler, ist auf den Gedanken gekommen, die bei seinen Studien in Pferdestüllen
und auf Manövern gewonnenen Kenntnisse in einem großen Triptychon zu
verwerten, das, ganz im Stile von Stuck gemalt, im Mittelbilde den Ritt der
apokalyptischen Reiter durch die Luft darstellt, über eine Landschaft, deren
idyllische Reize wir aus dem Predellabilde kennen lernen. Wir müssen uns,
wenn wir hinter dem vorwärtsdrängenden Strom der Zeit nicht zurückbleiben
wollen, an diese technischen Ausdrücke für "nttelalterlichen Kirchenschmuck ge¬
wöhnen. Ein moderner Maler vermag die Fülle der Gesichte, die ihn bedrängt,
die ihm schlaflose Nächte und thatenlose Tage bereitet, nicht mehr auf einem
Unde zu gestalten. Er bedarf einer Ergänzung, eines Kommentars, und dazu
hat das Triptychon der mittelalterlichen Kirchen ein willkommnes Hilfsmittel
geboten. Für religiöse und profane Malereien, auf denen große Gedanken
breitgetreten werden sollen, ist das Triptychon Mode geworden, und wer heute
auf einer Ausstellung etwas erreichen will, der sucht sich eine Komposition
aus, die sich auf drei Tafeln ausstrecken läßt. Es hat das sogar einen mate¬
riellen Nutzen. Ein Münchner Maler, namens Richard Riemerschmid, hat ein
solches Triptychon von riesigen Maßen gemalt, das in der Mitte den "Garten
in Eden" und auf den schmalen Seitenflügeln Adam und Eva darstellt, und
dieses Ungeheuer hat den Vorzug gehabt, für die Dresdner Gemäldegalerie
angekauft zu werden. Das große Mittelbild, das das Paradies noch in un-


Die großen Aunstaiisstellnngen des Jahres ^LZ?

gründlichen Tiefen seines Helldunkels, nicht so schonungslos mit menschlichen
Gestalten umgegangen ist, wie es dem Münchner Künstler, besonders bei der
unbeschreiblich verunglückten Figur des gen Himmel fahrenden Heilands, beliebt
hat. In einigen Köpfen derer, die dem Heiland nachschauen, hat sich Abbe
allerdings zu einer gewissen Tiefe der Charakteristik herbeigelassen. Aber wie
selten ihm diese gelingt, beweisen am besten seine Bildnisse, die fast immer
nur die stumpfe Oberfläche wiedergeben, ohne das Leben, das dahinter thätig
ist. Franz Stuck, der zweite der Führer der Sezession, verliert sich mehr und
mehr in grobsinnliche, dekorative Wirkungen und enttäuscht dadurch schmerzlich
die Hoffnungen derer, die von ihm eine Wiederbelebung der großen Kunst
idealen Stils erwartet und mit voreiliger Sicherheit prophezeit hatten. Der
von deu Nachegöttinnen verfolgte Frevler (in Dresden), eine Abwandlung eines
oft von großen und kleinen Künstlern verkörperten Gedankens, die nichts wesent¬
lich neues bietet, fesselt nur durch die malerische Stimmung, nicht durch Tiefe
und Originalität der Charakteristik, und ganz darauf verzichtet hat Stuck bei
der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradiese (in München),
indem er die beiden Vertriebneu nur von der Rückseite ihrer Körper zeigt, die
zwar gewaltige Fleischmassen, aber keine Spur von Gemütsbewegungen enthüllen.

Die jünger» Mitglieder der Sezession suchen natürlich ihre künstlerische
und materielle Förderung in der Nachahmung ihrer Führer. Julius Exter
schließt sich mehr an Abbe an, und Christian Speyer, der fröhliche Militär¬
maler, ist auf den Gedanken gekommen, die bei seinen Studien in Pferdestüllen
und auf Manövern gewonnenen Kenntnisse in einem großen Triptychon zu
verwerten, das, ganz im Stile von Stuck gemalt, im Mittelbilde den Ritt der
apokalyptischen Reiter durch die Luft darstellt, über eine Landschaft, deren
idyllische Reize wir aus dem Predellabilde kennen lernen. Wir müssen uns,
wenn wir hinter dem vorwärtsdrängenden Strom der Zeit nicht zurückbleiben
wollen, an diese technischen Ausdrücke für »nttelalterlichen Kirchenschmuck ge¬
wöhnen. Ein moderner Maler vermag die Fülle der Gesichte, die ihn bedrängt,
die ihm schlaflose Nächte und thatenlose Tage bereitet, nicht mehr auf einem
Unde zu gestalten. Er bedarf einer Ergänzung, eines Kommentars, und dazu
hat das Triptychon der mittelalterlichen Kirchen ein willkommnes Hilfsmittel
geboten. Für religiöse und profane Malereien, auf denen große Gedanken
breitgetreten werden sollen, ist das Triptychon Mode geworden, und wer heute
auf einer Ausstellung etwas erreichen will, der sucht sich eine Komposition
aus, die sich auf drei Tafeln ausstrecken läßt. Es hat das sogar einen mate¬
riellen Nutzen. Ein Münchner Maler, namens Richard Riemerschmid, hat ein
solches Triptychon von riesigen Maßen gemalt, das in der Mitte den „Garten
in Eden" und auf den schmalen Seitenflügeln Adam und Eva darstellt, und
dieses Ungeheuer hat den Vorzug gehabt, für die Dresdner Gemäldegalerie
angekauft zu werden. Das große Mittelbild, das das Paradies noch in un-


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[0230] Die großen Aunstaiisstellnngen des Jahres ^LZ? gründlichen Tiefen seines Helldunkels, nicht so schonungslos mit menschlichen Gestalten umgegangen ist, wie es dem Münchner Künstler, besonders bei der unbeschreiblich verunglückten Figur des gen Himmel fahrenden Heilands, beliebt hat. In einigen Köpfen derer, die dem Heiland nachschauen, hat sich Abbe allerdings zu einer gewissen Tiefe der Charakteristik herbeigelassen. Aber wie selten ihm diese gelingt, beweisen am besten seine Bildnisse, die fast immer nur die stumpfe Oberfläche wiedergeben, ohne das Leben, das dahinter thätig ist. Franz Stuck, der zweite der Führer der Sezession, verliert sich mehr und mehr in grobsinnliche, dekorative Wirkungen und enttäuscht dadurch schmerzlich die Hoffnungen derer, die von ihm eine Wiederbelebung der großen Kunst idealen Stils erwartet und mit voreiliger Sicherheit prophezeit hatten. Der von deu Nachegöttinnen verfolgte Frevler (in Dresden), eine Abwandlung eines oft von großen und kleinen Künstlern verkörperten Gedankens, die nichts wesent¬ lich neues bietet, fesselt nur durch die malerische Stimmung, nicht durch Tiefe und Originalität der Charakteristik, und ganz darauf verzichtet hat Stuck bei der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradiese (in München), indem er die beiden Vertriebneu nur von der Rückseite ihrer Körper zeigt, die zwar gewaltige Fleischmassen, aber keine Spur von Gemütsbewegungen enthüllen. Die jünger» Mitglieder der Sezession suchen natürlich ihre künstlerische und materielle Förderung in der Nachahmung ihrer Führer. Julius Exter schließt sich mehr an Abbe an, und Christian Speyer, der fröhliche Militär¬ maler, ist auf den Gedanken gekommen, die bei seinen Studien in Pferdestüllen und auf Manövern gewonnenen Kenntnisse in einem großen Triptychon zu verwerten, das, ganz im Stile von Stuck gemalt, im Mittelbilde den Ritt der apokalyptischen Reiter durch die Luft darstellt, über eine Landschaft, deren idyllische Reize wir aus dem Predellabilde kennen lernen. Wir müssen uns, wenn wir hinter dem vorwärtsdrängenden Strom der Zeit nicht zurückbleiben wollen, an diese technischen Ausdrücke für »nttelalterlichen Kirchenschmuck ge¬ wöhnen. Ein moderner Maler vermag die Fülle der Gesichte, die ihn bedrängt, die ihm schlaflose Nächte und thatenlose Tage bereitet, nicht mehr auf einem Unde zu gestalten. Er bedarf einer Ergänzung, eines Kommentars, und dazu hat das Triptychon der mittelalterlichen Kirchen ein willkommnes Hilfsmittel geboten. Für religiöse und profane Malereien, auf denen große Gedanken breitgetreten werden sollen, ist das Triptychon Mode geworden, und wer heute auf einer Ausstellung etwas erreichen will, der sucht sich eine Komposition aus, die sich auf drei Tafeln ausstrecken läßt. Es hat das sogar einen mate¬ riellen Nutzen. Ein Münchner Maler, namens Richard Riemerschmid, hat ein solches Triptychon von riesigen Maßen gemalt, das in der Mitte den „Garten in Eden" und auf den schmalen Seitenflügeln Adam und Eva darstellt, und dieses Ungeheuer hat den Vorzug gehabt, für die Dresdner Gemäldegalerie angekauft zu werden. Das große Mittelbild, das das Paradies noch in un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/230>, abgerufen am 28.09.2024.