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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit wird nicht dadurch gepeinigt, daß
vorhandne Hilfsmittel unbenutzt geblieben sind. Im Reich ist auf diese Weise
größere "Aktionsfähigkeit" bei geringerer Arbeit erreicht, und das, was an
Arbeit erspart wird, ist der schwerste und aufreibendste Teil, die dornige Auf¬
gabe, unter gleichberechtigten Kollegen Übereinstimmung zu erzielen.

Nicht die Menschen fehlen, sondern die Übereinstimmung, hat einmal Fürst
Bismarck von den preußischen Ministerialverhältnissen gesagt. Die Menschen,
die preußischen Minister, siud von demselben Fleisch und Blut wie ihre Reichs¬
kollegen, haben dieselbe staatsmännische Schule durchzumachen, denselben Mut
und guten Willen notwendig und auch in Wirklichkeit, aber die kollegialische
Verfassung richtet ihren Blick vorwiegend auf das Ressort, auf das Besondre
und Trennende, während jene die Spitze, das Einigende, das nach dem Zug
der Zeit vorherrschende Bedürfnis an Gesamtleistung gar nicht aus dem Ange
verlieren können. Weil in Preußen die Übereinstimmung infolge der kollegia-
lischer Abstimmung so schwer zu erreichen ist, weil es dort häusig vorkommt,
daß die Staatsministerialsache unter den Tisch fällt, ohne ein andres Gegenmittel
für den nächstbeteiligten Minister als das äußerste, die Kabincttsfrnge, des¬
halb wendet sich auch das an sich gleich starke Verantwortungsgefühl des
preußischen Ministers dem Ressort zu und vom Staatsministerium ab. Im
Ressort ist er frei und findet er genug, was seinen Thätigkeitstrieb ausfüllt,
aber er schließt sich auch immer mehr gegen das Ganze ab und wird darin
durch den Einfluß seiner Räte, der mit der Absonderung wächst, noch bestärkt;
Menschenschuld wirkt dabei nicht mit, ja man kann sagen, daß, je tüchtiger
und darum selbstbewußter der Minister ist, die Wirkungen um so schärfer
hervortreten müssen. Aber alle thätigen Ursachen wirken doch so zusammen,
daß das Ministerpräsidium zu einem "ornamentalen Glied" des Ganzen herab¬
sinkt. Daß das aus der Einrichtung folgt, ist für den Ministerpräsidenten kein
Trost, denn wenn er ein hochstrebeuder Mann ist -- und das soll doch jeder
Ministerpräsident sein --, so fühlt er vor allem die Hemmung. Sein Blick
ist doch auf das Ganze gerichtet, da ist das Feld seiner Thätigkeit und seines
Thatendrangs. Bedenkt man nnn, wie gering seine rechtliche und thatsächliche
Macht ist, wie er sich jeden Schritt, der der Übereinstimmung nähert, er¬
kämpfen muß, so wird man die Bitterkeit begreiflich finden, mit der sich ein
Mann wie Fürst Bismarck über diese Dinge aussprach, und daß er auf den
"Ressortpartiknlarismns," ans die "acht Ressortstaaten," ans die "Geheimräte"
schalt. Nicht die Menschen meinte und traf er damit, sondern die Sache,
etwas, was ihn mit dem Druck des tragischen Konflikts durch seine ganze
Amtsführung begleitete; seine Schärfe ging aus dem edelsten Verantmvrtlichkeits-
gefühl her.vor.

Die Gefahr, daß die preußische Ministerialverfassung aus das Reich aus¬
gedehnt werde, liegt fern, denn die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit wird nicht dadurch gepeinigt, daß
vorhandne Hilfsmittel unbenutzt geblieben sind. Im Reich ist auf diese Weise
größere „Aktionsfähigkeit" bei geringerer Arbeit erreicht, und das, was an
Arbeit erspart wird, ist der schwerste und aufreibendste Teil, die dornige Auf¬
gabe, unter gleichberechtigten Kollegen Übereinstimmung zu erzielen.

Nicht die Menschen fehlen, sondern die Übereinstimmung, hat einmal Fürst
Bismarck von den preußischen Ministerialverhältnissen gesagt. Die Menschen,
die preußischen Minister, siud von demselben Fleisch und Blut wie ihre Reichs¬
kollegen, haben dieselbe staatsmännische Schule durchzumachen, denselben Mut
und guten Willen notwendig und auch in Wirklichkeit, aber die kollegialische
Verfassung richtet ihren Blick vorwiegend auf das Ressort, auf das Besondre
und Trennende, während jene die Spitze, das Einigende, das nach dem Zug
der Zeit vorherrschende Bedürfnis an Gesamtleistung gar nicht aus dem Ange
verlieren können. Weil in Preußen die Übereinstimmung infolge der kollegia-
lischer Abstimmung so schwer zu erreichen ist, weil es dort häusig vorkommt,
daß die Staatsministerialsache unter den Tisch fällt, ohne ein andres Gegenmittel
für den nächstbeteiligten Minister als das äußerste, die Kabincttsfrnge, des¬
halb wendet sich auch das an sich gleich starke Verantwortungsgefühl des
preußischen Ministers dem Ressort zu und vom Staatsministerium ab. Im
Ressort ist er frei und findet er genug, was seinen Thätigkeitstrieb ausfüllt,
aber er schließt sich auch immer mehr gegen das Ganze ab und wird darin
durch den Einfluß seiner Räte, der mit der Absonderung wächst, noch bestärkt;
Menschenschuld wirkt dabei nicht mit, ja man kann sagen, daß, je tüchtiger
und darum selbstbewußter der Minister ist, die Wirkungen um so schärfer
hervortreten müssen. Aber alle thätigen Ursachen wirken doch so zusammen,
daß das Ministerpräsidium zu einem „ornamentalen Glied" des Ganzen herab¬
sinkt. Daß das aus der Einrichtung folgt, ist für den Ministerpräsidenten kein
Trost, denn wenn er ein hochstrebeuder Mann ist — und das soll doch jeder
Ministerpräsident sein —, so fühlt er vor allem die Hemmung. Sein Blick
ist doch auf das Ganze gerichtet, da ist das Feld seiner Thätigkeit und seines
Thatendrangs. Bedenkt man nnn, wie gering seine rechtliche und thatsächliche
Macht ist, wie er sich jeden Schritt, der der Übereinstimmung nähert, er¬
kämpfen muß, so wird man die Bitterkeit begreiflich finden, mit der sich ein
Mann wie Fürst Bismarck über diese Dinge aussprach, und daß er auf den
„Ressortpartiknlarismns," ans die „acht Ressortstaaten," ans die „Geheimräte"
schalt. Nicht die Menschen meinte und traf er damit, sondern die Sache,
etwas, was ihn mit dem Druck des tragischen Konflikts durch seine ganze
Amtsführung begleitete; seine Schärfe ging aus dem edelsten Verantmvrtlichkeits-
gefühl her.vor.

Die Gefahr, daß die preußische Ministerialverfassung aus das Reich aus¬
gedehnt werde, liegt fern, denn die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die


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[0224] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit wird nicht dadurch gepeinigt, daß vorhandne Hilfsmittel unbenutzt geblieben sind. Im Reich ist auf diese Weise größere „Aktionsfähigkeit" bei geringerer Arbeit erreicht, und das, was an Arbeit erspart wird, ist der schwerste und aufreibendste Teil, die dornige Auf¬ gabe, unter gleichberechtigten Kollegen Übereinstimmung zu erzielen. Nicht die Menschen fehlen, sondern die Übereinstimmung, hat einmal Fürst Bismarck von den preußischen Ministerialverhältnissen gesagt. Die Menschen, die preußischen Minister, siud von demselben Fleisch und Blut wie ihre Reichs¬ kollegen, haben dieselbe staatsmännische Schule durchzumachen, denselben Mut und guten Willen notwendig und auch in Wirklichkeit, aber die kollegialische Verfassung richtet ihren Blick vorwiegend auf das Ressort, auf das Besondre und Trennende, während jene die Spitze, das Einigende, das nach dem Zug der Zeit vorherrschende Bedürfnis an Gesamtleistung gar nicht aus dem Ange verlieren können. Weil in Preußen die Übereinstimmung infolge der kollegia- lischer Abstimmung so schwer zu erreichen ist, weil es dort häusig vorkommt, daß die Staatsministerialsache unter den Tisch fällt, ohne ein andres Gegenmittel für den nächstbeteiligten Minister als das äußerste, die Kabincttsfrnge, des¬ halb wendet sich auch das an sich gleich starke Verantwortungsgefühl des preußischen Ministers dem Ressort zu und vom Staatsministerium ab. Im Ressort ist er frei und findet er genug, was seinen Thätigkeitstrieb ausfüllt, aber er schließt sich auch immer mehr gegen das Ganze ab und wird darin durch den Einfluß seiner Räte, der mit der Absonderung wächst, noch bestärkt; Menschenschuld wirkt dabei nicht mit, ja man kann sagen, daß, je tüchtiger und darum selbstbewußter der Minister ist, die Wirkungen um so schärfer hervortreten müssen. Aber alle thätigen Ursachen wirken doch so zusammen, daß das Ministerpräsidium zu einem „ornamentalen Glied" des Ganzen herab¬ sinkt. Daß das aus der Einrichtung folgt, ist für den Ministerpräsidenten kein Trost, denn wenn er ein hochstrebeuder Mann ist — und das soll doch jeder Ministerpräsident sein —, so fühlt er vor allem die Hemmung. Sein Blick ist doch auf das Ganze gerichtet, da ist das Feld seiner Thätigkeit und seines Thatendrangs. Bedenkt man nnn, wie gering seine rechtliche und thatsächliche Macht ist, wie er sich jeden Schritt, der der Übereinstimmung nähert, er¬ kämpfen muß, so wird man die Bitterkeit begreiflich finden, mit der sich ein Mann wie Fürst Bismarck über diese Dinge aussprach, und daß er auf den „Ressortpartiknlarismns," ans die „acht Ressortstaaten," ans die „Geheimräte" schalt. Nicht die Menschen meinte und traf er damit, sondern die Sache, etwas, was ihn mit dem Druck des tragischen Konflikts durch seine ganze Amtsführung begleitete; seine Schärfe ging aus dem edelsten Verantmvrtlichkeits- gefühl her.vor. Die Gefahr, daß die preußische Ministerialverfassung aus das Reich aus¬ gedehnt werde, liegt fern, denn die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/224>, abgerufen am 28.09.2024.