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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

wieder Fürst Bismarck anzuführen: "ich kann im Reiche Rechenschaft und Auf¬
klärung über die Sache fordern, ich kaun Bericht fordern und dann wenigstens
mein Veto, mein Jnhibitorium sofort einlegen, kurz, ich bin berechtigt, im
äußersten Fall zu verfügen, was man so unabhängigen Charakteren gegenüber
oder dem Maße von Unabhängigkeit des Charakters gegenüber, das mit großer
Tüchtigkeit verbunden zu sein pflegt, sehr schwer und selten thut. Ich halte
mich im ganzen immer nur verantwortlich für die im großen Durchschnitt
richtige Wahl der Personen. Außerdem, wenn ich diese Verantwortung ge¬
fährdet fühle, bin ich in der Lage, bestimmt zu sagen: dies will ich nicht, und
bestimmte Forderungen zu stellen, was einstweilen zu geschehen hat." Diese
Art von Unterordnung beeinträchtigt nicht die Selbständigkeit des Denkens
und Handelns, wohl aber macht sie die Kehrseite, die auch diese Tugend
hat, unschädlich, das Auseiuanderlaufen derer, die einem gemeinsamen Zweck
dienen. Sie schwächt auch nicht, sondern spornt das Verantwortungsgefühl
an, das des untergeordneten Kollegen, weil seine Leistung immer offen liegt
und nie das persönliche Gepräge verliert, das des Premierministers, weil alle
Leistungen in ihm gipfeln, und er die seinige so hoch steigern muß, daß die
entsprechend gespannte Erwartung nicht getünscht wird. Sind etwa die eng¬
lischen Minister weniger selbständige Männer als die preußischen? Und doch
geht in England die Befugnis des Premierministers nach Lord Palmerstvus
Zeugnis soweit, daß er die Entlassung jedes der andern Minister fordern
kumm. Und was ist denn politische Verantwortlichkeit? Auch darauf giebt
Fürst Bismarck klare Antwort: "in der Politik besteht, meinem Gefühl nach,
die Verantwortlichkeit darin, ob jemand schließlich nach dem Urteil seiner Mit¬
bürger sich blamirt in der Politik, die er macht, oder nicht." Von der Bla-
"wge wird doch auch der betroffen, der eine bestimmte Politik mitmacht, an
hervorragender, wenn auch zweiter Stelle, und er wird um so mehr mit-
betrvffen, je mehr sein Thun und Lassen persönliches Thu" und Lassen ist,
"icht durch Kollegialabstimmung gedeckt und verdeckt wird, "wo jeder berechtigt
ist, sich damit zu entschuldigen, er hätte wohl gewollt, aber die andern nicht,
und wo keiner weiß, wer der andre und wer der eine ist." Also die Ver¬
antwortung der ministerähnlichen Reichsbeamten, die unter dem Reichskanzler
stehen, ist recht kräftig ausgeprägt, und auch sie ist politischer Art, aber sie
^un nicht zwischen den Reichskanzler und die politische That treten. Wenn
" sich im Einklang mit den Befehlen seines kaiserlichen Auftraggebers weiß,
"ut wenn er weiß, was er im Bundesrat und im Reichstag durchsetzen oder
rechtfertigen kaun, so hat er freies Feld vor sich. Darum steht er doch nicht
vereinsamt da; im Gegenteil, denn um ihn stehen alle seine Mitarbeiter, die
höhern und die niedern, mit Rat und That, unzcrsplittert und ohne fremde
Ziele, seine Waffen hat er nur gegen deu Gegner zu kehren. Wenn dann
auch nicht alles gelingt oder nicht gleich, so ist doch nichts versäumt worden,


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

wieder Fürst Bismarck anzuführen: „ich kann im Reiche Rechenschaft und Auf¬
klärung über die Sache fordern, ich kaun Bericht fordern und dann wenigstens
mein Veto, mein Jnhibitorium sofort einlegen, kurz, ich bin berechtigt, im
äußersten Fall zu verfügen, was man so unabhängigen Charakteren gegenüber
oder dem Maße von Unabhängigkeit des Charakters gegenüber, das mit großer
Tüchtigkeit verbunden zu sein pflegt, sehr schwer und selten thut. Ich halte
mich im ganzen immer nur verantwortlich für die im großen Durchschnitt
richtige Wahl der Personen. Außerdem, wenn ich diese Verantwortung ge¬
fährdet fühle, bin ich in der Lage, bestimmt zu sagen: dies will ich nicht, und
bestimmte Forderungen zu stellen, was einstweilen zu geschehen hat." Diese
Art von Unterordnung beeinträchtigt nicht die Selbständigkeit des Denkens
und Handelns, wohl aber macht sie die Kehrseite, die auch diese Tugend
hat, unschädlich, das Auseiuanderlaufen derer, die einem gemeinsamen Zweck
dienen. Sie schwächt auch nicht, sondern spornt das Verantwortungsgefühl
an, das des untergeordneten Kollegen, weil seine Leistung immer offen liegt
und nie das persönliche Gepräge verliert, das des Premierministers, weil alle
Leistungen in ihm gipfeln, und er die seinige so hoch steigern muß, daß die
entsprechend gespannte Erwartung nicht getünscht wird. Sind etwa die eng¬
lischen Minister weniger selbständige Männer als die preußischen? Und doch
geht in England die Befugnis des Premierministers nach Lord Palmerstvus
Zeugnis soweit, daß er die Entlassung jedes der andern Minister fordern
kumm. Und was ist denn politische Verantwortlichkeit? Auch darauf giebt
Fürst Bismarck klare Antwort: „in der Politik besteht, meinem Gefühl nach,
die Verantwortlichkeit darin, ob jemand schließlich nach dem Urteil seiner Mit¬
bürger sich blamirt in der Politik, die er macht, oder nicht." Von der Bla-
"wge wird doch auch der betroffen, der eine bestimmte Politik mitmacht, an
hervorragender, wenn auch zweiter Stelle, und er wird um so mehr mit-
betrvffen, je mehr sein Thun und Lassen persönliches Thu» und Lassen ist,
"icht durch Kollegialabstimmung gedeckt und verdeckt wird, „wo jeder berechtigt
ist, sich damit zu entschuldigen, er hätte wohl gewollt, aber die andern nicht,
und wo keiner weiß, wer der andre und wer der eine ist." Also die Ver¬
antwortung der ministerähnlichen Reichsbeamten, die unter dem Reichskanzler
stehen, ist recht kräftig ausgeprägt, und auch sie ist politischer Art, aber sie
^un nicht zwischen den Reichskanzler und die politische That treten. Wenn
" sich im Einklang mit den Befehlen seines kaiserlichen Auftraggebers weiß,
»ut wenn er weiß, was er im Bundesrat und im Reichstag durchsetzen oder
rechtfertigen kaun, so hat er freies Feld vor sich. Darum steht er doch nicht
vereinsamt da; im Gegenteil, denn um ihn stehen alle seine Mitarbeiter, die
höhern und die niedern, mit Rat und That, unzcrsplittert und ohne fremde
Ziele, seine Waffen hat er nur gegen deu Gegner zu kehren. Wenn dann
auch nicht alles gelingt oder nicht gleich, so ist doch nichts versäumt worden,


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[0223] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium wieder Fürst Bismarck anzuführen: „ich kann im Reiche Rechenschaft und Auf¬ klärung über die Sache fordern, ich kaun Bericht fordern und dann wenigstens mein Veto, mein Jnhibitorium sofort einlegen, kurz, ich bin berechtigt, im äußersten Fall zu verfügen, was man so unabhängigen Charakteren gegenüber oder dem Maße von Unabhängigkeit des Charakters gegenüber, das mit großer Tüchtigkeit verbunden zu sein pflegt, sehr schwer und selten thut. Ich halte mich im ganzen immer nur verantwortlich für die im großen Durchschnitt richtige Wahl der Personen. Außerdem, wenn ich diese Verantwortung ge¬ fährdet fühle, bin ich in der Lage, bestimmt zu sagen: dies will ich nicht, und bestimmte Forderungen zu stellen, was einstweilen zu geschehen hat." Diese Art von Unterordnung beeinträchtigt nicht die Selbständigkeit des Denkens und Handelns, wohl aber macht sie die Kehrseite, die auch diese Tugend hat, unschädlich, das Auseiuanderlaufen derer, die einem gemeinsamen Zweck dienen. Sie schwächt auch nicht, sondern spornt das Verantwortungsgefühl an, das des untergeordneten Kollegen, weil seine Leistung immer offen liegt und nie das persönliche Gepräge verliert, das des Premierministers, weil alle Leistungen in ihm gipfeln, und er die seinige so hoch steigern muß, daß die entsprechend gespannte Erwartung nicht getünscht wird. Sind etwa die eng¬ lischen Minister weniger selbständige Männer als die preußischen? Und doch geht in England die Befugnis des Premierministers nach Lord Palmerstvus Zeugnis soweit, daß er die Entlassung jedes der andern Minister fordern kumm. Und was ist denn politische Verantwortlichkeit? Auch darauf giebt Fürst Bismarck klare Antwort: „in der Politik besteht, meinem Gefühl nach, die Verantwortlichkeit darin, ob jemand schließlich nach dem Urteil seiner Mit¬ bürger sich blamirt in der Politik, die er macht, oder nicht." Von der Bla- "wge wird doch auch der betroffen, der eine bestimmte Politik mitmacht, an hervorragender, wenn auch zweiter Stelle, und er wird um so mehr mit- betrvffen, je mehr sein Thun und Lassen persönliches Thu» und Lassen ist, "icht durch Kollegialabstimmung gedeckt und verdeckt wird, „wo jeder berechtigt ist, sich damit zu entschuldigen, er hätte wohl gewollt, aber die andern nicht, und wo keiner weiß, wer der andre und wer der eine ist." Also die Ver¬ antwortung der ministerähnlichen Reichsbeamten, die unter dem Reichskanzler stehen, ist recht kräftig ausgeprägt, und auch sie ist politischer Art, aber sie ^un nicht zwischen den Reichskanzler und die politische That treten. Wenn " sich im Einklang mit den Befehlen seines kaiserlichen Auftraggebers weiß, »ut wenn er weiß, was er im Bundesrat und im Reichstag durchsetzen oder rechtfertigen kaun, so hat er freies Feld vor sich. Darum steht er doch nicht vereinsamt da; im Gegenteil, denn um ihn stehen alle seine Mitarbeiter, die höhern und die niedern, mit Rat und That, unzcrsplittert und ohne fremde Ziele, seine Waffen hat er nur gegen deu Gegner zu kehren. Wenn dann auch nicht alles gelingt oder nicht gleich, so ist doch nichts versäumt worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/223>, abgerufen am 29.06.2024.