Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Liu Gesetz zur staatlichen Sellisterhaltung

Begriff "Umsturzbestrebuug" genauer und greifbarer festgestellt ist; Z. daß es
nicht bloß die in Vereinen, Versammlungen, Druckschriften und geschäftsmäßigen
Agitationen betriebneu Bestrebungen verbietet, sondern auch jeden einzelne"
bestrafen will, der sich überhaupt irgendwie mit Umstnrzbcstrebuugen in offen¬
kundiger Weise befaßt, und 4. daß der Schwerpunkt der Strafe in dem zeit¬
weiligen Ausschluß vou der Mitwirkung an den staatsbürgerlichen Auf¬
gaben liegt.

Ich bilde mir keineswegs ein, daß mit dem Erlaß eines solchen Gesetzes
die Umsturzbestrebuugeu aufhören würden. Solche Bestrebungen wird es geben,
solange es Menschen giebt. Aber aufhören würde die Verwirrung, die gegen¬
wärtig im Volke bis hinauf in die höchsten Kreise herrscht über die Beurteilung
der Umstürzler in politischer Hinsicht, insbesondre der Sozialdemokraten, auf¬
höre" würde der vernunftwidrige Zustand, daß Männer an den gesetzgeberischen
Aufgaben unsers Staatswesens mitarbeiten, die offen den Untergang dieses
Staatswesens erstreben, aufhören würde die Schmach, daß die höchsten Ehren¬
stellen, die das Volk zu verleihen hat, Männer erhalten, die in ihrer Eigen¬
schaft als Vertreter des Volkes dem Staatsoberhaupt in absichtlich offenkundiger
Weise und grundsätzlich die althergebrachte Huldigung verweigern.

Eine unerläßliche Voraussetzung aber für die günstige Aufnahme und Wir¬
kung des vorgeschlagnen Gesetzes im Volke würde sein, daß den Staatsbürgern,
die an den Hauptgrundlagen unsrer Staatsordnung festhalten, ans politischem
und wirtschaftlichem Gebiete volle Freiheit, sich zu vereinigen und zu versammeln,
gewährt würde. Der Erfüllung dieser Voraussetzung können, wenn alle um¬
stürzlerischen Bestrebungen überhaupt verboten sein werden, ernste Bedenken
kaum entgegenstehe". Eine solche Freiheit besteht thatsächlich schon in andern
Ländern und auch in einzelne" deutschen Bundesstaaten, wo den Staatsange¬
hörigen dnrch die Verfassung das unbeschränkte Recht gewährleistet ist, zu
Zwecken, die den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen, Vereine
ZU bilden oder sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Werden um¬
stürzlerische Bestrebungen unter das Strafgesetz gestellt, so sind in diesen Staaten
alle Vereine und Versammlungen, die solchem Zwecken dienen, vou selbst ver¬
boten, oder sie sind aufzulösen, wenn solche Bestrebungen zu Tage treten.
Damit wäre auch die schwierige Frage, in welcher Weise das Vereins- und Vcr-
sammluugsrecht im Reiche geregelt werden soll, am einfachsten gelöst, und zugleich
am ehrlichsten. Denn was war es denn, was hauptsächlich den jüngsten
Regiernngsentwnrf über das Vereinswesen der Mehrzahl der Volksvertreter
als unannehmbar erscheinen ließ? Daß man fürchtete, und zwar trotz der
Versicherung der Regierungsvertreter fürchtete, daß die dehnbaren Bestimmungen
des Entwurfs auch einmal von andern Vertretern der Regierung gegen die
eignen Parteibestrebungen angewandt werden würden. Diese Furcht ist leider
"icht unbegründet, und darin ist ein weiterer Grund des Anwachsens der sozial-


Liu Gesetz zur staatlichen Sellisterhaltung

Begriff „Umsturzbestrebuug" genauer und greifbarer festgestellt ist; Z. daß es
nicht bloß die in Vereinen, Versammlungen, Druckschriften und geschäftsmäßigen
Agitationen betriebneu Bestrebungen verbietet, sondern auch jeden einzelne»
bestrafen will, der sich überhaupt irgendwie mit Umstnrzbcstrebuugen in offen¬
kundiger Weise befaßt, und 4. daß der Schwerpunkt der Strafe in dem zeit¬
weiligen Ausschluß vou der Mitwirkung an den staatsbürgerlichen Auf¬
gaben liegt.

Ich bilde mir keineswegs ein, daß mit dem Erlaß eines solchen Gesetzes
die Umsturzbestrebuugeu aufhören würden. Solche Bestrebungen wird es geben,
solange es Menschen giebt. Aber aufhören würde die Verwirrung, die gegen¬
wärtig im Volke bis hinauf in die höchsten Kreise herrscht über die Beurteilung
der Umstürzler in politischer Hinsicht, insbesondre der Sozialdemokraten, auf¬
höre» würde der vernunftwidrige Zustand, daß Männer an den gesetzgeberischen
Aufgaben unsers Staatswesens mitarbeiten, die offen den Untergang dieses
Staatswesens erstreben, aufhören würde die Schmach, daß die höchsten Ehren¬
stellen, die das Volk zu verleihen hat, Männer erhalten, die in ihrer Eigen¬
schaft als Vertreter des Volkes dem Staatsoberhaupt in absichtlich offenkundiger
Weise und grundsätzlich die althergebrachte Huldigung verweigern.

Eine unerläßliche Voraussetzung aber für die günstige Aufnahme und Wir¬
kung des vorgeschlagnen Gesetzes im Volke würde sein, daß den Staatsbürgern,
die an den Hauptgrundlagen unsrer Staatsordnung festhalten, ans politischem
und wirtschaftlichem Gebiete volle Freiheit, sich zu vereinigen und zu versammeln,
gewährt würde. Der Erfüllung dieser Voraussetzung können, wenn alle um¬
stürzlerischen Bestrebungen überhaupt verboten sein werden, ernste Bedenken
kaum entgegenstehe». Eine solche Freiheit besteht thatsächlich schon in andern
Ländern und auch in einzelne» deutschen Bundesstaaten, wo den Staatsange¬
hörigen dnrch die Verfassung das unbeschränkte Recht gewährleistet ist, zu
Zwecken, die den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen, Vereine
ZU bilden oder sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Werden um¬
stürzlerische Bestrebungen unter das Strafgesetz gestellt, so sind in diesen Staaten
alle Vereine und Versammlungen, die solchem Zwecken dienen, vou selbst ver¬
boten, oder sie sind aufzulösen, wenn solche Bestrebungen zu Tage treten.
Damit wäre auch die schwierige Frage, in welcher Weise das Vereins- und Vcr-
sammluugsrecht im Reiche geregelt werden soll, am einfachsten gelöst, und zugleich
am ehrlichsten. Denn was war es denn, was hauptsächlich den jüngsten
Regiernngsentwnrf über das Vereinswesen der Mehrzahl der Volksvertreter
als unannehmbar erscheinen ließ? Daß man fürchtete, und zwar trotz der
Versicherung der Regierungsvertreter fürchtete, daß die dehnbaren Bestimmungen
des Entwurfs auch einmal von andern Vertretern der Regierung gegen die
eignen Parteibestrebungen angewandt werden würden. Diese Furcht ist leider
»icht unbegründet, und darin ist ein weiterer Grund des Anwachsens der sozial-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226445"/>
          <fw type="header" place="top"> Liu Gesetz zur staatlichen Sellisterhaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_529" prev="#ID_528"> Begriff &#x201E;Umsturzbestrebuug" genauer und greifbarer festgestellt ist; Z. daß es<lb/>
nicht bloß die in Vereinen, Versammlungen, Druckschriften und geschäftsmäßigen<lb/>
Agitationen betriebneu Bestrebungen verbietet, sondern auch jeden einzelne»<lb/>
bestrafen will, der sich überhaupt irgendwie mit Umstnrzbcstrebuugen in offen¬<lb/>
kundiger Weise befaßt, und 4. daß der Schwerpunkt der Strafe in dem zeit¬<lb/>
weiligen Ausschluß vou der Mitwirkung an den staatsbürgerlichen Auf¬<lb/>
gaben liegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_530"> Ich bilde mir keineswegs ein, daß mit dem Erlaß eines solchen Gesetzes<lb/>
die Umsturzbestrebuugeu aufhören würden. Solche Bestrebungen wird es geben,<lb/>
solange es Menschen giebt. Aber aufhören würde die Verwirrung, die gegen¬<lb/>
wärtig im Volke bis hinauf in die höchsten Kreise herrscht über die Beurteilung<lb/>
der Umstürzler in politischer Hinsicht, insbesondre der Sozialdemokraten, auf¬<lb/>
höre» würde der vernunftwidrige Zustand, daß Männer an den gesetzgeberischen<lb/>
Aufgaben unsers Staatswesens mitarbeiten, die offen den Untergang dieses<lb/>
Staatswesens erstreben, aufhören würde die Schmach, daß die höchsten Ehren¬<lb/>
stellen, die das Volk zu verleihen hat, Männer erhalten, die in ihrer Eigen¬<lb/>
schaft als Vertreter des Volkes dem Staatsoberhaupt in absichtlich offenkundiger<lb/>
Weise und grundsätzlich die althergebrachte Huldigung verweigern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> Eine unerläßliche Voraussetzung aber für die günstige Aufnahme und Wir¬<lb/>
kung des vorgeschlagnen Gesetzes im Volke würde sein, daß den Staatsbürgern,<lb/>
die an den Hauptgrundlagen unsrer Staatsordnung festhalten, ans politischem<lb/>
und wirtschaftlichem Gebiete volle Freiheit, sich zu vereinigen und zu versammeln,<lb/>
gewährt würde. Der Erfüllung dieser Voraussetzung können, wenn alle um¬<lb/>
stürzlerischen Bestrebungen überhaupt verboten sein werden, ernste Bedenken<lb/>
kaum entgegenstehe». Eine solche Freiheit besteht thatsächlich schon in andern<lb/>
Ländern und auch in einzelne» deutschen Bundesstaaten, wo den Staatsange¬<lb/>
hörigen dnrch die Verfassung das unbeschränkte Recht gewährleistet ist, zu<lb/>
Zwecken, die den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen, Vereine<lb/>
ZU bilden oder sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Werden um¬<lb/>
stürzlerische Bestrebungen unter das Strafgesetz gestellt, so sind in diesen Staaten<lb/>
alle Vereine und Versammlungen, die solchem Zwecken dienen, vou selbst ver¬<lb/>
boten, oder sie sind aufzulösen, wenn solche Bestrebungen zu Tage treten.<lb/>
Damit wäre auch die schwierige Frage, in welcher Weise das Vereins- und Vcr-<lb/>
sammluugsrecht im Reiche geregelt werden soll, am einfachsten gelöst, und zugleich<lb/>
am ehrlichsten. Denn was war es denn, was hauptsächlich den jüngsten<lb/>
Regiernngsentwnrf über das Vereinswesen der Mehrzahl der Volksvertreter<lb/>
als unannehmbar erscheinen ließ? Daß man fürchtete, und zwar trotz der<lb/>
Versicherung der Regierungsvertreter fürchtete, daß die dehnbaren Bestimmungen<lb/>
des Entwurfs auch einmal von andern Vertretern der Regierung gegen die<lb/>
eignen Parteibestrebungen angewandt werden würden. Diese Furcht ist leider<lb/>
»icht unbegründet, und darin ist ein weiterer Grund des Anwachsens der sozial-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] Liu Gesetz zur staatlichen Sellisterhaltung Begriff „Umsturzbestrebuug" genauer und greifbarer festgestellt ist; Z. daß es nicht bloß die in Vereinen, Versammlungen, Druckschriften und geschäftsmäßigen Agitationen betriebneu Bestrebungen verbietet, sondern auch jeden einzelne» bestrafen will, der sich überhaupt irgendwie mit Umstnrzbcstrebuugen in offen¬ kundiger Weise befaßt, und 4. daß der Schwerpunkt der Strafe in dem zeit¬ weiligen Ausschluß vou der Mitwirkung an den staatsbürgerlichen Auf¬ gaben liegt. Ich bilde mir keineswegs ein, daß mit dem Erlaß eines solchen Gesetzes die Umsturzbestrebuugeu aufhören würden. Solche Bestrebungen wird es geben, solange es Menschen giebt. Aber aufhören würde die Verwirrung, die gegen¬ wärtig im Volke bis hinauf in die höchsten Kreise herrscht über die Beurteilung der Umstürzler in politischer Hinsicht, insbesondre der Sozialdemokraten, auf¬ höre» würde der vernunftwidrige Zustand, daß Männer an den gesetzgeberischen Aufgaben unsers Staatswesens mitarbeiten, die offen den Untergang dieses Staatswesens erstreben, aufhören würde die Schmach, daß die höchsten Ehren¬ stellen, die das Volk zu verleihen hat, Männer erhalten, die in ihrer Eigen¬ schaft als Vertreter des Volkes dem Staatsoberhaupt in absichtlich offenkundiger Weise und grundsätzlich die althergebrachte Huldigung verweigern. Eine unerläßliche Voraussetzung aber für die günstige Aufnahme und Wir¬ kung des vorgeschlagnen Gesetzes im Volke würde sein, daß den Staatsbürgern, die an den Hauptgrundlagen unsrer Staatsordnung festhalten, ans politischem und wirtschaftlichem Gebiete volle Freiheit, sich zu vereinigen und zu versammeln, gewährt würde. Der Erfüllung dieser Voraussetzung können, wenn alle um¬ stürzlerischen Bestrebungen überhaupt verboten sein werden, ernste Bedenken kaum entgegenstehe». Eine solche Freiheit besteht thatsächlich schon in andern Ländern und auch in einzelne» deutschen Bundesstaaten, wo den Staatsange¬ hörigen dnrch die Verfassung das unbeschränkte Recht gewährleistet ist, zu Zwecken, die den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen, Vereine ZU bilden oder sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Werden um¬ stürzlerische Bestrebungen unter das Strafgesetz gestellt, so sind in diesen Staaten alle Vereine und Versammlungen, die solchem Zwecken dienen, vou selbst ver¬ boten, oder sie sind aufzulösen, wenn solche Bestrebungen zu Tage treten. Damit wäre auch die schwierige Frage, in welcher Weise das Vereins- und Vcr- sammluugsrecht im Reiche geregelt werden soll, am einfachsten gelöst, und zugleich am ehrlichsten. Denn was war es denn, was hauptsächlich den jüngsten Regiernngsentwnrf über das Vereinswesen der Mehrzahl der Volksvertreter als unannehmbar erscheinen ließ? Daß man fürchtete, und zwar trotz der Versicherung der Regierungsvertreter fürchtete, daß die dehnbaren Bestimmungen des Entwurfs auch einmal von andern Vertretern der Regierung gegen die eignen Parteibestrebungen angewandt werden würden. Diese Furcht ist leider »icht unbegründet, und darin ist ein weiterer Grund des Anwachsens der sozial-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/215>, abgerufen am 29.06.2024.