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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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El" Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

demokratischen Stimmenzahl zu finden. Regierungsvertreter und auch ein
großer Teil der höhern Volksklassen haben es sich angewöhnt, Männer, die
eine andre politische Richtung als sie verfolgen, namentlich wenn diese Richtung
die Politik der Regierung bekämpft, nicht als ehrliche Gegner, sondern mit
Argwohn und Mißtrauen zu betrachten und sie zu deu Feinden der gegen¬
wärtigen Staatsordnung überhaupt zu zählen und darnach zu behandeln.
Dadurch wird mancher verbittert und giebt dann, um seiner Unzufriedenheit
Ausdruck zu geben, seine Stimme für den sozialdemokratischen Kandidaten ab.
Würden die staatstreuen Oppositionsparteien allseitig, namentlich auch von der
Negierung, als eine vollberechtigte Macht im politischen Leben des Volkes
anerkannt und hinsichtlich ihrer Treue zu dem Vaterland und der gegenwärtigen
Staatsordnung als gleichwertig mit den Regierungsparteien geachtet, so würden
sie sicherlich noch weit mehr als bisher ein Wall werden gegen alle Umstnrz-
bestrebnngen. Und wäre denn der Schaden für deu Staat wirklich so groß, wenn
einmal Männer aus dem Zentrum oder den liberalen Parteien berufen würden,
das Nuder des Staatsschiffes zu führen? Ihre monarchische Treue, ihre Liebe
zum Vaterland ist über jede" Zweifel erhaben, und ob im übrigen ihre An¬
schauungen zweckmäßig und heilsam sind, das würde sich in der Praxis bald
zeigen. Sind sie es nicht, so wird ihr Regiment nicht lange dauern, und das
Volk wird auf diese Weise am nachdrücklichsten über seinen Irrtum belehrt
werden. Daß der Schaden eines solchen Wechsels für das große Ganze nicht
unerträglich ist, zeigt England; wie oft wechseln dort konservative und liberale
Ministerien!

Schließlich will ich nur noch kurz auf eine weitere günstige Folge hin¬
weisen, die sich aus dem Erlaß eines Gesetzes, wie das hier vvrgeschlcigne,
ergeben würde. Das starke Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmenzahl
und das Verhalten der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag haben
bei einem großen Teil des deutschen Volkes das allgemeine gleiche Wahlrecht
einigermaßen in Mißkredit gebracht. Würden die offenkundiger Umstürzler
vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, so fiele ein großer Teil
jener Bedenken weg, und unser Wahlrecht würde gesichert sein.

Mehr Ernst, Entschiedenheit und Strenge gegenüber den Umstürzlern jeder
Richtung, mehr Freiheit und Vertrauen für die übrigen Staatsbürger, das ist
es, was uns heutzutage not thut, dringend not thut, damit sich das deutsche
Volk nicht daran gewöhne, mit dem Feuer zu spielen.


L, Ländler


El» Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

demokratischen Stimmenzahl zu finden. Regierungsvertreter und auch ein
großer Teil der höhern Volksklassen haben es sich angewöhnt, Männer, die
eine andre politische Richtung als sie verfolgen, namentlich wenn diese Richtung
die Politik der Regierung bekämpft, nicht als ehrliche Gegner, sondern mit
Argwohn und Mißtrauen zu betrachten und sie zu deu Feinden der gegen¬
wärtigen Staatsordnung überhaupt zu zählen und darnach zu behandeln.
Dadurch wird mancher verbittert und giebt dann, um seiner Unzufriedenheit
Ausdruck zu geben, seine Stimme für den sozialdemokratischen Kandidaten ab.
Würden die staatstreuen Oppositionsparteien allseitig, namentlich auch von der
Negierung, als eine vollberechtigte Macht im politischen Leben des Volkes
anerkannt und hinsichtlich ihrer Treue zu dem Vaterland und der gegenwärtigen
Staatsordnung als gleichwertig mit den Regierungsparteien geachtet, so würden
sie sicherlich noch weit mehr als bisher ein Wall werden gegen alle Umstnrz-
bestrebnngen. Und wäre denn der Schaden für deu Staat wirklich so groß, wenn
einmal Männer aus dem Zentrum oder den liberalen Parteien berufen würden,
das Nuder des Staatsschiffes zu führen? Ihre monarchische Treue, ihre Liebe
zum Vaterland ist über jede» Zweifel erhaben, und ob im übrigen ihre An¬
schauungen zweckmäßig und heilsam sind, das würde sich in der Praxis bald
zeigen. Sind sie es nicht, so wird ihr Regiment nicht lange dauern, und das
Volk wird auf diese Weise am nachdrücklichsten über seinen Irrtum belehrt
werden. Daß der Schaden eines solchen Wechsels für das große Ganze nicht
unerträglich ist, zeigt England; wie oft wechseln dort konservative und liberale
Ministerien!

Schließlich will ich nur noch kurz auf eine weitere günstige Folge hin¬
weisen, die sich aus dem Erlaß eines Gesetzes, wie das hier vvrgeschlcigne,
ergeben würde. Das starke Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmenzahl
und das Verhalten der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag haben
bei einem großen Teil des deutschen Volkes das allgemeine gleiche Wahlrecht
einigermaßen in Mißkredit gebracht. Würden die offenkundiger Umstürzler
vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, so fiele ein großer Teil
jener Bedenken weg, und unser Wahlrecht würde gesichert sein.

Mehr Ernst, Entschiedenheit und Strenge gegenüber den Umstürzlern jeder
Richtung, mehr Freiheit und Vertrauen für die übrigen Staatsbürger, das ist
es, was uns heutzutage not thut, dringend not thut, damit sich das deutsche
Volk nicht daran gewöhne, mit dem Feuer zu spielen.


L, Ländler


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[0216] El» Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung demokratischen Stimmenzahl zu finden. Regierungsvertreter und auch ein großer Teil der höhern Volksklassen haben es sich angewöhnt, Männer, die eine andre politische Richtung als sie verfolgen, namentlich wenn diese Richtung die Politik der Regierung bekämpft, nicht als ehrliche Gegner, sondern mit Argwohn und Mißtrauen zu betrachten und sie zu deu Feinden der gegen¬ wärtigen Staatsordnung überhaupt zu zählen und darnach zu behandeln. Dadurch wird mancher verbittert und giebt dann, um seiner Unzufriedenheit Ausdruck zu geben, seine Stimme für den sozialdemokratischen Kandidaten ab. Würden die staatstreuen Oppositionsparteien allseitig, namentlich auch von der Negierung, als eine vollberechtigte Macht im politischen Leben des Volkes anerkannt und hinsichtlich ihrer Treue zu dem Vaterland und der gegenwärtigen Staatsordnung als gleichwertig mit den Regierungsparteien geachtet, so würden sie sicherlich noch weit mehr als bisher ein Wall werden gegen alle Umstnrz- bestrebnngen. Und wäre denn der Schaden für deu Staat wirklich so groß, wenn einmal Männer aus dem Zentrum oder den liberalen Parteien berufen würden, das Nuder des Staatsschiffes zu führen? Ihre monarchische Treue, ihre Liebe zum Vaterland ist über jede» Zweifel erhaben, und ob im übrigen ihre An¬ schauungen zweckmäßig und heilsam sind, das würde sich in der Praxis bald zeigen. Sind sie es nicht, so wird ihr Regiment nicht lange dauern, und das Volk wird auf diese Weise am nachdrücklichsten über seinen Irrtum belehrt werden. Daß der Schaden eines solchen Wechsels für das große Ganze nicht unerträglich ist, zeigt England; wie oft wechseln dort konservative und liberale Ministerien! Schließlich will ich nur noch kurz auf eine weitere günstige Folge hin¬ weisen, die sich aus dem Erlaß eines Gesetzes, wie das hier vvrgeschlcigne, ergeben würde. Das starke Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmenzahl und das Verhalten der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag haben bei einem großen Teil des deutschen Volkes das allgemeine gleiche Wahlrecht einigermaßen in Mißkredit gebracht. Würden die offenkundiger Umstürzler vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, so fiele ein großer Teil jener Bedenken weg, und unser Wahlrecht würde gesichert sein. Mehr Ernst, Entschiedenheit und Strenge gegenüber den Umstürzlern jeder Richtung, mehr Freiheit und Vertrauen für die übrigen Staatsbürger, das ist es, was uns heutzutage not thut, dringend not thut, damit sich das deutsche Volk nicht daran gewöhne, mit dem Feuer zu spielen. L, Ländler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/216>, abgerufen am 28.09.2024.