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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

weist? Trotz aller Belehrungen in Schrift und Wort glaubt eben das Volk
nicht, daß die Sozialdemokratie wirklich etwas Unrechtes und Schlimmes sei.

Hier thut eine klare und offne Scheidung not. Es muß auf politischem
Gebiete das Tischtuch zwischen den staatserhaltenden Parteien und den Um¬
stürzlern zerschnitten, nicht als politische Gegner, sondern als politische Feinde
müssen die Umstürzler angesehen und behandelt werden. Es muß von Staats
Wege" ausgesprochen werden, daß die Bestrebungen der Sozialdemokratie staats-
und gemeingefährlich und daher verboten sind. Wie viele Handlungen der
Menschen sind im Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt, die für das Gemein-
wohl und für Leib, Leben und Gut der Einzelnen nicht so gefährlich sind wie
die Bestrebungen der Sozialdemokraten! Wenn auch die Führer dieser Partei
immer betonen, daß sie ihre Pläne nicht auf dem Wege der Gewalt, sondern
auf dem Wege der Gesetzgebung durchführen wollen, so lehrt doch die Geschichte
aller Zeiten und Völker, daß sich radikale Wandlungen althergebrachter Staats-
formen nie friedlich vollziehen, sondern Tausenden von Staatsbürgern das
Leben kosten und unermeßlichen Verlust am Vvlksvermögen herbeiführen. Außer¬
dem ist aber zu beachten, daß jene Versicherungen gesetzmäßigen Vorgehens
nur sehr geringen Wert haben. Denn die Führer der Sozialdemokratie wissen
recht wohl, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen jede Anwendung von
Gewalt die größte Thorheit wäre, da sie vollständig aussichtslos sein würde, und
erfolglose Gewaltthaten der Partei sehr schaden würden. Denken wir uns aber
den Fall, daß Deutschland einen ungünstigen Krieg zu führen hätte, daß das
H^er von auswärtigen Feinden in Anspruch genommen oder durch Niederlagen
geschwächt wäre: würden dann die Führer, auch wenn sie noch wollten,
die Bahn gesetzlichen Handelns einhalten können? Würden nicht vielmehr die
"Genossen" mit aller Macht verlangen, daß die günstige Gelegenheit benutzt
werde, die Versprechungen von Volksherrschaft und Volksglück zu erfüllen?
So gewiß, wie das eingedämmte Wasser nicht still steht, wenn die Schranken
^festigt sind, so gewiß würde dann der Ausbruch einer Revolution nicht mehr
verhindert werden können. Wenn sich also auch die Handlungsweise der Sozial-
demokraten jetzt noch von Gewalt freihält, so führt doch die Verfolgung ihrer
Ziele schließlich unausbleiblich zu Frevelthaten. Und dieser letzten Folgen
it)rer Bestrebungen sind sich die "Genossen" auch recht wohl bewußt. Sowohl
wegen des verbrecherischen Willens als anch wegen der verbrecherischen Wirkung
bilden also die Umsturzbestrebungen an sich, auch ohne Anwendung von Ge¬
walt, einen kriminellen Thatbestand mindestens in demselben Maße wie die
Erregung von Aufläufen, die Aufhetzung verschiedner Volksklnssen zu Gewalt¬
thätigkeiten gegen einander, das Anzünden von Feuer an gefährlichen Stellen
"ut andres mehr.

Man braucht aber gar nicht die strafrechtliche Theorie zu Hilfe zu nehmen,
"in die Strafbarkeit der sozialdemokratischen Bestrebungen zu begründen: das


Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung

weist? Trotz aller Belehrungen in Schrift und Wort glaubt eben das Volk
nicht, daß die Sozialdemokratie wirklich etwas Unrechtes und Schlimmes sei.

Hier thut eine klare und offne Scheidung not. Es muß auf politischem
Gebiete das Tischtuch zwischen den staatserhaltenden Parteien und den Um¬
stürzlern zerschnitten, nicht als politische Gegner, sondern als politische Feinde
müssen die Umstürzler angesehen und behandelt werden. Es muß von Staats
Wege» ausgesprochen werden, daß die Bestrebungen der Sozialdemokratie staats-
und gemeingefährlich und daher verboten sind. Wie viele Handlungen der
Menschen sind im Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt, die für das Gemein-
wohl und für Leib, Leben und Gut der Einzelnen nicht so gefährlich sind wie
die Bestrebungen der Sozialdemokraten! Wenn auch die Führer dieser Partei
immer betonen, daß sie ihre Pläne nicht auf dem Wege der Gewalt, sondern
auf dem Wege der Gesetzgebung durchführen wollen, so lehrt doch die Geschichte
aller Zeiten und Völker, daß sich radikale Wandlungen althergebrachter Staats-
formen nie friedlich vollziehen, sondern Tausenden von Staatsbürgern das
Leben kosten und unermeßlichen Verlust am Vvlksvermögen herbeiführen. Außer¬
dem ist aber zu beachten, daß jene Versicherungen gesetzmäßigen Vorgehens
nur sehr geringen Wert haben. Denn die Führer der Sozialdemokratie wissen
recht wohl, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen jede Anwendung von
Gewalt die größte Thorheit wäre, da sie vollständig aussichtslos sein würde, und
erfolglose Gewaltthaten der Partei sehr schaden würden. Denken wir uns aber
den Fall, daß Deutschland einen ungünstigen Krieg zu führen hätte, daß das
H^er von auswärtigen Feinden in Anspruch genommen oder durch Niederlagen
geschwächt wäre: würden dann die Führer, auch wenn sie noch wollten,
die Bahn gesetzlichen Handelns einhalten können? Würden nicht vielmehr die
„Genossen" mit aller Macht verlangen, daß die günstige Gelegenheit benutzt
werde, die Versprechungen von Volksherrschaft und Volksglück zu erfüllen?
So gewiß, wie das eingedämmte Wasser nicht still steht, wenn die Schranken
^festigt sind, so gewiß würde dann der Ausbruch einer Revolution nicht mehr
verhindert werden können. Wenn sich also auch die Handlungsweise der Sozial-
demokraten jetzt noch von Gewalt freihält, so führt doch die Verfolgung ihrer
Ziele schließlich unausbleiblich zu Frevelthaten. Und dieser letzten Folgen
it)rer Bestrebungen sind sich die „Genossen" auch recht wohl bewußt. Sowohl
wegen des verbrecherischen Willens als anch wegen der verbrecherischen Wirkung
bilden also die Umsturzbestrebungen an sich, auch ohne Anwendung von Ge¬
walt, einen kriminellen Thatbestand mindestens in demselben Maße wie die
Erregung von Aufläufen, die Aufhetzung verschiedner Volksklnssen zu Gewalt¬
thätigkeiten gegen einander, das Anzünden von Feuer an gefährlichen Stellen
«ut andres mehr.

Man braucht aber gar nicht die strafrechtliche Theorie zu Hilfe zu nehmen,
»in die Strafbarkeit der sozialdemokratischen Bestrebungen zu begründen: das


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[0213] Lin Gesetz zur staatlichen Selbsterhaltung weist? Trotz aller Belehrungen in Schrift und Wort glaubt eben das Volk nicht, daß die Sozialdemokratie wirklich etwas Unrechtes und Schlimmes sei. Hier thut eine klare und offne Scheidung not. Es muß auf politischem Gebiete das Tischtuch zwischen den staatserhaltenden Parteien und den Um¬ stürzlern zerschnitten, nicht als politische Gegner, sondern als politische Feinde müssen die Umstürzler angesehen und behandelt werden. Es muß von Staats Wege» ausgesprochen werden, daß die Bestrebungen der Sozialdemokratie staats- und gemeingefährlich und daher verboten sind. Wie viele Handlungen der Menschen sind im Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt, die für das Gemein- wohl und für Leib, Leben und Gut der Einzelnen nicht so gefährlich sind wie die Bestrebungen der Sozialdemokraten! Wenn auch die Führer dieser Partei immer betonen, daß sie ihre Pläne nicht auf dem Wege der Gewalt, sondern auf dem Wege der Gesetzgebung durchführen wollen, so lehrt doch die Geschichte aller Zeiten und Völker, daß sich radikale Wandlungen althergebrachter Staats- formen nie friedlich vollziehen, sondern Tausenden von Staatsbürgern das Leben kosten und unermeßlichen Verlust am Vvlksvermögen herbeiführen. Außer¬ dem ist aber zu beachten, daß jene Versicherungen gesetzmäßigen Vorgehens nur sehr geringen Wert haben. Denn die Führer der Sozialdemokratie wissen recht wohl, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen jede Anwendung von Gewalt die größte Thorheit wäre, da sie vollständig aussichtslos sein würde, und erfolglose Gewaltthaten der Partei sehr schaden würden. Denken wir uns aber den Fall, daß Deutschland einen ungünstigen Krieg zu führen hätte, daß das H^er von auswärtigen Feinden in Anspruch genommen oder durch Niederlagen geschwächt wäre: würden dann die Führer, auch wenn sie noch wollten, die Bahn gesetzlichen Handelns einhalten können? Würden nicht vielmehr die „Genossen" mit aller Macht verlangen, daß die günstige Gelegenheit benutzt werde, die Versprechungen von Volksherrschaft und Volksglück zu erfüllen? So gewiß, wie das eingedämmte Wasser nicht still steht, wenn die Schranken ^festigt sind, so gewiß würde dann der Ausbruch einer Revolution nicht mehr verhindert werden können. Wenn sich also auch die Handlungsweise der Sozial- demokraten jetzt noch von Gewalt freihält, so führt doch die Verfolgung ihrer Ziele schließlich unausbleiblich zu Frevelthaten. Und dieser letzten Folgen it)rer Bestrebungen sind sich die „Genossen" auch recht wohl bewußt. Sowohl wegen des verbrecherischen Willens als anch wegen der verbrecherischen Wirkung bilden also die Umsturzbestrebungen an sich, auch ohne Anwendung von Ge¬ walt, einen kriminellen Thatbestand mindestens in demselben Maße wie die Erregung von Aufläufen, die Aufhetzung verschiedner Volksklnssen zu Gewalt¬ thätigkeiten gegen einander, das Anzünden von Feuer an gefährlichen Stellen «ut andres mehr. Man braucht aber gar nicht die strafrechtliche Theorie zu Hilfe zu nehmen, »in die Strafbarkeit der sozialdemokratischen Bestrebungen zu begründen: das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/213>, abgerufen am 29.06.2024.