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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

der ganz unkultivirte Boden mühsam habe zubereitet werden müssen. Nichts
ist unrichtiger als das. München ist zunächst Kunststadt geworden, weil es
die Hauptstadt der künstlerisch begabten Stämme der Baiern, Franken und
Schwaben ist, in deren schönen, heitern Ländern die Kunstübung auch in den
scheinbar dunkelsten Zeiten nie so heruntergekommen war, wie in den meisten
Gebieten Norddeutschlands. Welche Dorfkirchen hat hier noch das achtzehnte
Jahrhundert hingestellt! Ludwig I. hätte in seinen Bemühungen, eine deutsche
Kunststadt zu schaffen, keinen Erfolg gehabt, wenn er nicht an künstlerische
Traditionen in so manchen Teilen des Landes hätte anknüpfen und schlum¬
mernde Talente Hütte wachrufen können. So beurteilt man auch die heutige
Stellung und die Wirkungen der Kunststadt München ganz falsch, wenn man
nicht berücksichtigt, wie empfänglich die Baiern für Kunst sind, und wieviel
Künstlerisches landauf landab geschaffen wird. Der Bauer, der weit hinten
im Traunthal sein Haus mit der Gestalt des heiligen Georg und des heiligen
Florian bemalen läßt und auch seine Freude daran hat, wenn ihm der Maler
das kleine Austräglerhäusl von oben bis unter blau und weiß mit bairischen
Rauten kunnde, daß es "lustig ausschaugt"; der einsame Pfarrherr, der die
Engel der Sistina mit hingebender Liebe für ein noch einsameres Bergkavellchen
malt; der Schnitzer von Verchtesgciden oder Ammergau, der "Hcrrgöttle" im
Dutzend schneidet, dann aber in den Mußestunden sich in eine figurenreiche
Krippe vertieft, die nach Jahren als echtes Kunstwerk ersteht, dessen größter
Gewinn für ihn allerdings die Freude am Schaffen ist; der Algäuer Hirteubub,
der, zum Akademiker fortgeschritten, eine tiefcmpfundne Kreuztragung in sein
altes, graues Dorfkirchlein stiftet; das sind alles Trüger bairischer Kunst, die
dafür sorgen, daß die Freude an Formen und Farben im Volke lebendig bleibt,
und denen es aber auch zu danken ist, wenn den Münchner Kunst- und Kunst-
gewerbestütten immer neue Kräfte zufließen. Überall in Baiern ist die Freude
an der künstlerischen Ausschmückung des Daseins ein Erbteil des Volkes.
Welche Brunnen haben sich kleinere bairische Städte von Lindau bis Trauu-
stein in den letzten Jahren gesetzt, wie schön sind die Rathäuser erneuert, und
was für Kirchen sind z. B. allein in München neuerdings gebaut worden.
Das sind ganz andre Wirkungen, als wie sie die einseitige Denkmalsmanie
mit ihren langweiligen Wiederholungen in andern deutschen Ländern gezeitigt
hat. Und dazu kommen die leicht verbreitbaren Erzeugnisse der Malerschulen,
der Glasmalerei, die Reproduktionen und vor allem das Kunstgewerbe. Die
Bedeutung der bairischen Kunst lernt man nicht in den gehäuften Ausstellungen
des Münchner Glaspalastcs kennen. Zu ihr gehört auch das dörfliche Wirts¬
schild, auf dem ein froher Künstler den dicken Wirt vor dem Faß in impo¬
santer Rückenansicht dargestellt hat, zu ihr gehöre" prächtige Scheibenbilder,
die vom Giebel eines Forsthauses herabschauen, Geschenke kunstliebender Waid-
münner, und selbst die bis auf die Uhr und das Handtuch täuschend an die


Altbairische Wanderungen

der ganz unkultivirte Boden mühsam habe zubereitet werden müssen. Nichts
ist unrichtiger als das. München ist zunächst Kunststadt geworden, weil es
die Hauptstadt der künstlerisch begabten Stämme der Baiern, Franken und
Schwaben ist, in deren schönen, heitern Ländern die Kunstübung auch in den
scheinbar dunkelsten Zeiten nie so heruntergekommen war, wie in den meisten
Gebieten Norddeutschlands. Welche Dorfkirchen hat hier noch das achtzehnte
Jahrhundert hingestellt! Ludwig I. hätte in seinen Bemühungen, eine deutsche
Kunststadt zu schaffen, keinen Erfolg gehabt, wenn er nicht an künstlerische
Traditionen in so manchen Teilen des Landes hätte anknüpfen und schlum¬
mernde Talente Hütte wachrufen können. So beurteilt man auch die heutige
Stellung und die Wirkungen der Kunststadt München ganz falsch, wenn man
nicht berücksichtigt, wie empfänglich die Baiern für Kunst sind, und wieviel
Künstlerisches landauf landab geschaffen wird. Der Bauer, der weit hinten
im Traunthal sein Haus mit der Gestalt des heiligen Georg und des heiligen
Florian bemalen läßt und auch seine Freude daran hat, wenn ihm der Maler
das kleine Austräglerhäusl von oben bis unter blau und weiß mit bairischen
Rauten kunnde, daß es „lustig ausschaugt"; der einsame Pfarrherr, der die
Engel der Sistina mit hingebender Liebe für ein noch einsameres Bergkavellchen
malt; der Schnitzer von Verchtesgciden oder Ammergau, der „Hcrrgöttle" im
Dutzend schneidet, dann aber in den Mußestunden sich in eine figurenreiche
Krippe vertieft, die nach Jahren als echtes Kunstwerk ersteht, dessen größter
Gewinn für ihn allerdings die Freude am Schaffen ist; der Algäuer Hirteubub,
der, zum Akademiker fortgeschritten, eine tiefcmpfundne Kreuztragung in sein
altes, graues Dorfkirchlein stiftet; das sind alles Trüger bairischer Kunst, die
dafür sorgen, daß die Freude an Formen und Farben im Volke lebendig bleibt,
und denen es aber auch zu danken ist, wenn den Münchner Kunst- und Kunst-
gewerbestütten immer neue Kräfte zufließen. Überall in Baiern ist die Freude
an der künstlerischen Ausschmückung des Daseins ein Erbteil des Volkes.
Welche Brunnen haben sich kleinere bairische Städte von Lindau bis Trauu-
stein in den letzten Jahren gesetzt, wie schön sind die Rathäuser erneuert, und
was für Kirchen sind z. B. allein in München neuerdings gebaut worden.
Das sind ganz andre Wirkungen, als wie sie die einseitige Denkmalsmanie
mit ihren langweiligen Wiederholungen in andern deutschen Ländern gezeitigt
hat. Und dazu kommen die leicht verbreitbaren Erzeugnisse der Malerschulen,
der Glasmalerei, die Reproduktionen und vor allem das Kunstgewerbe. Die
Bedeutung der bairischen Kunst lernt man nicht in den gehäuften Ausstellungen
des Münchner Glaspalastcs kennen. Zu ihr gehört auch das dörfliche Wirts¬
schild, auf dem ein froher Künstler den dicken Wirt vor dem Faß in impo¬
santer Rückenansicht dargestellt hat, zu ihr gehöre» prächtige Scheibenbilder,
die vom Giebel eines Forsthauses herabschauen, Geschenke kunstliebender Waid-
münner, und selbst die bis auf die Uhr und das Handtuch täuschend an die


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[0198] Altbairische Wanderungen der ganz unkultivirte Boden mühsam habe zubereitet werden müssen. Nichts ist unrichtiger als das. München ist zunächst Kunststadt geworden, weil es die Hauptstadt der künstlerisch begabten Stämme der Baiern, Franken und Schwaben ist, in deren schönen, heitern Ländern die Kunstübung auch in den scheinbar dunkelsten Zeiten nie so heruntergekommen war, wie in den meisten Gebieten Norddeutschlands. Welche Dorfkirchen hat hier noch das achtzehnte Jahrhundert hingestellt! Ludwig I. hätte in seinen Bemühungen, eine deutsche Kunststadt zu schaffen, keinen Erfolg gehabt, wenn er nicht an künstlerische Traditionen in so manchen Teilen des Landes hätte anknüpfen und schlum¬ mernde Talente Hütte wachrufen können. So beurteilt man auch die heutige Stellung und die Wirkungen der Kunststadt München ganz falsch, wenn man nicht berücksichtigt, wie empfänglich die Baiern für Kunst sind, und wieviel Künstlerisches landauf landab geschaffen wird. Der Bauer, der weit hinten im Traunthal sein Haus mit der Gestalt des heiligen Georg und des heiligen Florian bemalen läßt und auch seine Freude daran hat, wenn ihm der Maler das kleine Austräglerhäusl von oben bis unter blau und weiß mit bairischen Rauten kunnde, daß es „lustig ausschaugt"; der einsame Pfarrherr, der die Engel der Sistina mit hingebender Liebe für ein noch einsameres Bergkavellchen malt; der Schnitzer von Verchtesgciden oder Ammergau, der „Hcrrgöttle" im Dutzend schneidet, dann aber in den Mußestunden sich in eine figurenreiche Krippe vertieft, die nach Jahren als echtes Kunstwerk ersteht, dessen größter Gewinn für ihn allerdings die Freude am Schaffen ist; der Algäuer Hirteubub, der, zum Akademiker fortgeschritten, eine tiefcmpfundne Kreuztragung in sein altes, graues Dorfkirchlein stiftet; das sind alles Trüger bairischer Kunst, die dafür sorgen, daß die Freude an Formen und Farben im Volke lebendig bleibt, und denen es aber auch zu danken ist, wenn den Münchner Kunst- und Kunst- gewerbestütten immer neue Kräfte zufließen. Überall in Baiern ist die Freude an der künstlerischen Ausschmückung des Daseins ein Erbteil des Volkes. Welche Brunnen haben sich kleinere bairische Städte von Lindau bis Trauu- stein in den letzten Jahren gesetzt, wie schön sind die Rathäuser erneuert, und was für Kirchen sind z. B. allein in München neuerdings gebaut worden. Das sind ganz andre Wirkungen, als wie sie die einseitige Denkmalsmanie mit ihren langweiligen Wiederholungen in andern deutschen Ländern gezeitigt hat. Und dazu kommen die leicht verbreitbaren Erzeugnisse der Malerschulen, der Glasmalerei, die Reproduktionen und vor allem das Kunstgewerbe. Die Bedeutung der bairischen Kunst lernt man nicht in den gehäuften Ausstellungen des Münchner Glaspalastcs kennen. Zu ihr gehört auch das dörfliche Wirts¬ schild, auf dem ein froher Künstler den dicken Wirt vor dem Faß in impo¬ santer Rückenansicht dargestellt hat, zu ihr gehöre» prächtige Scheibenbilder, die vom Giebel eines Forsthauses herabschauen, Geschenke kunstliebender Waid- münner, und selbst die bis auf die Uhr und das Handtuch täuschend an die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/198>, abgerufen am 28.09.2024.