Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Altbairische N?anderungeii werden. Die Südwestdeutschen endlich fühlen sich hier erst recht zu Haus. Ich Die assimilirende Kraft des bairischen Stammes, die sich gegen die Altbairische N?anderungeii werden. Die Südwestdeutschen endlich fühlen sich hier erst recht zu Haus. Ich Die assimilirende Kraft des bairischen Stammes, die sich gegen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226426"/> <fw type="header" place="top"> Altbairische N?anderungeii</fw><lb/> <p xml:id="ID_472" prev="#ID_471"> werden. Die Südwestdeutschen endlich fühlen sich hier erst recht zu Haus. Ich<lb/> kenne Frankfurter, Stuttgarter, Karlsruher, die jedes Jahr mindestens eine Woche<lb/> in München zubringen. Tief in Tirol hört man von Bauern und Jägern die<lb/> Neize des Münchner Oktoberfestcs preisen, der größten Vereinigung von Sehens¬<lb/> würdigkeiten und originellen Bierschenken, die man sehen kann, gewürzt durch<lb/> Wettrennen, Wettschieszen, Wettturnen u. dergl., durch Preisverteilung an<lb/> Landwirte, deren Ausstellung Nebensache geworden ist. Soviel man auch gegen<lb/> das Überhandnehme« des Biertriukens und Würstelessens beim Oktoberfest los¬<lb/> gezogen hat, man kann nicht leugnen, daß das Fest volkstümlicher geblieben<lb/> ist als irgend ein andres sogenanntes Volksfest im heutigen Deutschland. Es<lb/> kann und muß veredelt werden, aber hoffentlich bleibt dabei dem bairischen<lb/> Volk die harmlose Genußfreude, die „die Wiese" zu einer gemein-bairischen An¬<lb/> gelegenheit gemacht hat. Alle andern Feste der Art werden heutzutage in<lb/> Deutschland nur vom niedern Volk genossen, auch wo sich ein regierender Fürst<lb/> herabläßt, eine halbe Stunde dabei zu sein; in München hat sich das Bürger¬<lb/> tum noch nicht davon ausgeschlossen. Für die Stämme Vaierns hat dieses<lb/> Volksfest die Bedeutung einer behaglich-festlichen Vereinigung, von der der<lb/> Ruhm Münchens in die entlegensten Gaue getragen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_473" next="#ID_474"> Die assimilirende Kraft des bairischen Stammes, die sich gegen die<lb/> Deutschen andern Stammes immer stark gezeigt hat, bewährte sich auch in<lb/> weiteren Felde. Sie gehörte einst zu den politischen Kräften Österreichs. Leider<lb/> einst! Es ist von einsichtigen Österreichern oft hervorgehoben worden, daß<lb/> Österreichs deutsche Bevölkerung nur durch die ununterbrochne Aufnahme reichs-<lb/> deutschcr Elemente die Anforderungen erfüllen konnte, die die Führung des Kaiser¬<lb/> staates in Krieg und Frieden an sie stellte. In den Fürstenschlössern Böhmens<lb/> und in den alten Bürgerhäusern Wiens findet man gleich häufig die Erinnerungen<lb/> an deutschen Ursprung der Begründer. Besonders die süddeutschen Reichsstädte<lb/> haben zahlreiche Einwandrer geliefert. Es ist ganz begreiflich, daß man in<lb/> Österreich selbst der Abnahme des Donauverkehrs nach Wien von Ulm abwärts<lb/> einen Anteil an dem Rückgang des Wiener Deutschtums zuschreibt. In der<lb/> österreichischen Armee spürt man deu Mangel der einst so zahlreichen reichs-<lb/> deutschen Offiziere noch empfindlicher; kein vstcrreicher Stamm ersetzt den<lb/> Kitt, den sie zwischen deu Kameraden verschiedner Nationalität und besonders<lb/> auch zwischen deu „Kavalieren" und Bürgerliche,, bildeten. Die Biographie<lb/> Vincenz Lachners giebt ein hübsches Beispiel der Einwanderung aus Baiern<lb/> ucich Wien ans dem Donaufloß. Altbaiern ist dem Zufluß fränkischer und<lb/> schwäbischer Elemente seit der Bildung des Königreichs unter der pfälzischen<lb/> Dynastie weit offen, und seit einem Menschenalter nimmt der Südstrom Nord¬<lb/> deutscher immer zu, von dem sich ein starker Arm nach München ergießt.<lb/> Während es nun dem Altbaiern schon in Schwaben und Franken nicht recht<lb/> gefällt und gar die Pfalz ihm ganz zuwider ist, fühlen sich die Fremden fast</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
Altbairische N?anderungeii
werden. Die Südwestdeutschen endlich fühlen sich hier erst recht zu Haus. Ich
kenne Frankfurter, Stuttgarter, Karlsruher, die jedes Jahr mindestens eine Woche
in München zubringen. Tief in Tirol hört man von Bauern und Jägern die
Neize des Münchner Oktoberfestcs preisen, der größten Vereinigung von Sehens¬
würdigkeiten und originellen Bierschenken, die man sehen kann, gewürzt durch
Wettrennen, Wettschieszen, Wettturnen u. dergl., durch Preisverteilung an
Landwirte, deren Ausstellung Nebensache geworden ist. Soviel man auch gegen
das Überhandnehme« des Biertriukens und Würstelessens beim Oktoberfest los¬
gezogen hat, man kann nicht leugnen, daß das Fest volkstümlicher geblieben
ist als irgend ein andres sogenanntes Volksfest im heutigen Deutschland. Es
kann und muß veredelt werden, aber hoffentlich bleibt dabei dem bairischen
Volk die harmlose Genußfreude, die „die Wiese" zu einer gemein-bairischen An¬
gelegenheit gemacht hat. Alle andern Feste der Art werden heutzutage in
Deutschland nur vom niedern Volk genossen, auch wo sich ein regierender Fürst
herabläßt, eine halbe Stunde dabei zu sein; in München hat sich das Bürger¬
tum noch nicht davon ausgeschlossen. Für die Stämme Vaierns hat dieses
Volksfest die Bedeutung einer behaglich-festlichen Vereinigung, von der der
Ruhm Münchens in die entlegensten Gaue getragen wird.
Die assimilirende Kraft des bairischen Stammes, die sich gegen die
Deutschen andern Stammes immer stark gezeigt hat, bewährte sich auch in
weiteren Felde. Sie gehörte einst zu den politischen Kräften Österreichs. Leider
einst! Es ist von einsichtigen Österreichern oft hervorgehoben worden, daß
Österreichs deutsche Bevölkerung nur durch die ununterbrochne Aufnahme reichs-
deutschcr Elemente die Anforderungen erfüllen konnte, die die Führung des Kaiser¬
staates in Krieg und Frieden an sie stellte. In den Fürstenschlössern Böhmens
und in den alten Bürgerhäusern Wiens findet man gleich häufig die Erinnerungen
an deutschen Ursprung der Begründer. Besonders die süddeutschen Reichsstädte
haben zahlreiche Einwandrer geliefert. Es ist ganz begreiflich, daß man in
Österreich selbst der Abnahme des Donauverkehrs nach Wien von Ulm abwärts
einen Anteil an dem Rückgang des Wiener Deutschtums zuschreibt. In der
österreichischen Armee spürt man deu Mangel der einst so zahlreichen reichs-
deutschen Offiziere noch empfindlicher; kein vstcrreicher Stamm ersetzt den
Kitt, den sie zwischen deu Kameraden verschiedner Nationalität und besonders
auch zwischen deu „Kavalieren" und Bürgerliche,, bildeten. Die Biographie
Vincenz Lachners giebt ein hübsches Beispiel der Einwanderung aus Baiern
ucich Wien ans dem Donaufloß. Altbaiern ist dem Zufluß fränkischer und
schwäbischer Elemente seit der Bildung des Königreichs unter der pfälzischen
Dynastie weit offen, und seit einem Menschenalter nimmt der Südstrom Nord¬
deutscher immer zu, von dem sich ein starker Arm nach München ergießt.
Während es nun dem Altbaiern schon in Schwaben und Franken nicht recht
gefällt und gar die Pfalz ihm ganz zuwider ist, fühlen sich die Fremden fast
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