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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

werden zu können. Seit jener Zeit, wo die Redaktion der Allgemeinen
Zeitung die Mitwisserin wichtiger Staatsgeheimnisse war, ist das Blatt, dessen
erstes Entstehen unsre größten Geister lebhaft interessirt hat, zurückgegangen.
Schade, daß es die so manchem gebildeten Süddeutschen ans Herz gewachsene
"Allgemeine" nicht verstanden hat, das vornehme süddeutsche Zentralorgan zu
bleiben, das sie unter andern politischen Umständen gewesen war. Die zen¬
tralere Lage Münchens, das nie ein guter Zeituugsboden war, weil der
Baier kein großer Leser ist, thuts also nicht unter allen Umständen.

Aber kommen wir auf Münchens Stellung zu Baiern zurück. Nachdem
erst die Regierung, dann die Kunst, dann die Wissenschaft, endlich in den letzten
Jahrzehnten die Kunstindustrie mit einigen Industriezweigen und die Fremden-
iudustrie die fähigsten Köpfe des Landes nach München hingezogen hatten, ist
München mehr als ein bairischer Mittelpunkt geworden. Es ist gegenwärtig
die größte Fremdenstadt Deutschlands, und zwar in viel größerm Maße, als
es Frankfurt a. M. und Dresden gewesen sind. Allerdings hat München als
Fremdenstadt auch vor seinen nächsten Wettbcwerberinnen, Wien und Berlin,
Vorzüge, die ihm eine Art von Unbesieglichkeit verleihen. Die frische Natur, die
Nähe der Alpen und Italiens, die Kunstschätze und Kunstschulen, die Bibliothek,
das behaglichere, einfachere und im ganzen noch immer billigere Leben, die
Gemütlichkeit der Bevölkerung sind unverwüstliche Vorzüge. Mag auch ein
oder das andre Fach am Theater, in der Musik, in den Künstlerwerkstätten
oder auf dein Katheder nicht so gut besetzt und mögen vor allem die Samm¬
lungen und Institute weniger glänzend ausgestattet sein, das macht gegenüber
so großen Vorzügen gar keinen Unterschied mehr. Es ist und bleibt eine sinnige
und wohlthuende Vereinigung von Genüssen, nach einigen Sommerwochen
naturwüchsigen Lebens an einem frischen See oder in einem Gebirgsthal durch
die Bildersäle des Glaspalastes zu wandern oder eine Mozartsche Oper in dem
zierlichen Rokokosaal des Residenztheaters zu hören und. in so geschmack¬
voller Ausstattung, zu sehen. München ist besonders auch für die nicht¬
deutschen ein Wallfahrtsort ersten Ranges geworden. Für die Franzosen, die
seit 1871 langsam gelernt haben, ihre Flüge über Baden-Baden hinaus aus¬
zudehnen, sind München und Vaireuth die großen Anziehungspunkte, ebenso
wie sie 1890 ein unerwartet großes Kontingent zu deu Besuchern des Ober-
ammergnuer Passiousspiels gestellt haben. Die englische, die nordamerikanische
und vor allem auch die italienische Kolonie sind sehr stark. Vor allem aber
übt München eine mächtige Anziehung auf die Deutschen aller Lande. Schweizer
und Österreicher akklimatisnen sich hier leichter als irgendwo sonst in Deutsch¬
land, wofür besonders die Künstlerschaft beredte Beispiele liefert; Holbein hat seine
zweite Heimat in Basel, der Basler Vöcklin Heimat und Schule in München
gefunden. Die Norddeutschen, die im Anfang über manches die Nasen rümpfen,
was sie hier finden, zaudern nicht, sich der Vorteile ihres Aufenthalts bewußt zu


Grenzboten IV 1897 21
Altbairische Wanderungen

werden zu können. Seit jener Zeit, wo die Redaktion der Allgemeinen
Zeitung die Mitwisserin wichtiger Staatsgeheimnisse war, ist das Blatt, dessen
erstes Entstehen unsre größten Geister lebhaft interessirt hat, zurückgegangen.
Schade, daß es die so manchem gebildeten Süddeutschen ans Herz gewachsene
„Allgemeine" nicht verstanden hat, das vornehme süddeutsche Zentralorgan zu
bleiben, das sie unter andern politischen Umständen gewesen war. Die zen¬
tralere Lage Münchens, das nie ein guter Zeituugsboden war, weil der
Baier kein großer Leser ist, thuts also nicht unter allen Umständen.

Aber kommen wir auf Münchens Stellung zu Baiern zurück. Nachdem
erst die Regierung, dann die Kunst, dann die Wissenschaft, endlich in den letzten
Jahrzehnten die Kunstindustrie mit einigen Industriezweigen und die Fremden-
iudustrie die fähigsten Köpfe des Landes nach München hingezogen hatten, ist
München mehr als ein bairischer Mittelpunkt geworden. Es ist gegenwärtig
die größte Fremdenstadt Deutschlands, und zwar in viel größerm Maße, als
es Frankfurt a. M. und Dresden gewesen sind. Allerdings hat München als
Fremdenstadt auch vor seinen nächsten Wettbcwerberinnen, Wien und Berlin,
Vorzüge, die ihm eine Art von Unbesieglichkeit verleihen. Die frische Natur, die
Nähe der Alpen und Italiens, die Kunstschätze und Kunstschulen, die Bibliothek,
das behaglichere, einfachere und im ganzen noch immer billigere Leben, die
Gemütlichkeit der Bevölkerung sind unverwüstliche Vorzüge. Mag auch ein
oder das andre Fach am Theater, in der Musik, in den Künstlerwerkstätten
oder auf dein Katheder nicht so gut besetzt und mögen vor allem die Samm¬
lungen und Institute weniger glänzend ausgestattet sein, das macht gegenüber
so großen Vorzügen gar keinen Unterschied mehr. Es ist und bleibt eine sinnige
und wohlthuende Vereinigung von Genüssen, nach einigen Sommerwochen
naturwüchsigen Lebens an einem frischen See oder in einem Gebirgsthal durch
die Bildersäle des Glaspalastes zu wandern oder eine Mozartsche Oper in dem
zierlichen Rokokosaal des Residenztheaters zu hören und. in so geschmack¬
voller Ausstattung, zu sehen. München ist besonders auch für die nicht¬
deutschen ein Wallfahrtsort ersten Ranges geworden. Für die Franzosen, die
seit 1871 langsam gelernt haben, ihre Flüge über Baden-Baden hinaus aus¬
zudehnen, sind München und Vaireuth die großen Anziehungspunkte, ebenso
wie sie 1890 ein unerwartet großes Kontingent zu deu Besuchern des Ober-
ammergnuer Passiousspiels gestellt haben. Die englische, die nordamerikanische
und vor allem auch die italienische Kolonie sind sehr stark. Vor allem aber
übt München eine mächtige Anziehung auf die Deutschen aller Lande. Schweizer
und Österreicher akklimatisnen sich hier leichter als irgendwo sonst in Deutsch¬
land, wofür besonders die Künstlerschaft beredte Beispiele liefert; Holbein hat seine
zweite Heimat in Basel, der Basler Vöcklin Heimat und Schule in München
gefunden. Die Norddeutschen, die im Anfang über manches die Nasen rümpfen,
was sie hier finden, zaudern nicht, sich der Vorteile ihres Aufenthalts bewußt zu


Grenzboten IV 1897 21
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/195>, abgerufen am 23.07.2024.