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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbcnrische Wanderungen

Grün sind dann überhaupt nur die jungen Fichtenschläge. Auch die Felsen
sind graulich, und die Häuser grau. Die schwere Rauchwolke, die über dem
einen oder andern die Glashütte ankündigt, erheitert die Landschaft nicht. Nur
nach dem Ausgang zu, wo die Thäler breit sind, die Bäche zwischen saftigen
Wiesen hingehen und das Ackerfeld sich höher hinaufzieht, bietet auch der Bairische
Wald freundliche Kulturbilder, die durch die Zeugen der industriellen Thätigkeit
gehoben werden. Zwiesel mit seinem hochragenden Kirchturm, Gotteszeit mit
seinen freundlichen Häusern unter fast wie Marktflecken aus den Alpen an. Von
den größern Orten, die "vor dem Wald" liegen, kann man das nicht sagen,
vor allem nicht von dem als Übergnngsplcitz nach Böhmen so wichtigen Schwan¬
dorf, das in seinen alten Mauerresten eine echt koloniale Gründung um einen un¬
schönen viereckigen Marktplatz mit lauter unbedeutenden Häusern und schmutzigen
Straße" ist. Schwandorf hat eine gewisse nationale Bedeutung als letzte bairische
Stadt gegenüber dem Tschechentum, wo es bei Taus sein Gebiet am weitesten
nach Westen vorschiebt. Man würde hier gern eine recht blühende deutsche Stadt
sehen. Auch Weiden und Furth im Wald sind unbedeutende Orte der Grenzzone,
Tirschenrenth ist durch das Denkmal Schmellers verklärt, des großen Schöpfers
des Bairischen Wörterbuchs, eiues der bedeutendsten Geister, die der bairische
Stamm zur deutscheu Wissenschaft gestellt hat. Im übrigen Deutschland ist
dieser auch rein menschlich anmutende Baier nicht nach Verdienst gewürdigt
worden, soviel gutes auch Jakob Grimm von ihm gesagt hat. Sein Platz ist
neben den Brüdern Grimm, nicht hinter ihnen.

Die Bewohner des Bairischen Waldes sind ein genügsames, fleißig ar¬
beitendes Volk, sie haben sich etwas von der bairischen Heiterkeit bewahrt, unter
Verhältnissen, die viel weniger günstig sind als die in und an den Alpen. Die
"Waldler" lassen übrigens in der auffallend großen Zahl dunkelhaariger und
schwarzäugiger untersetzter Menschen die Erhaltung keltischen Blutes in diesem
Winkel vermuten, der geschichtlich zum Waldsaum des alten Bojerlandes,
Böhmens, gehört. Vom Böhmerwäldler sind sie trotzdem wohl zu unter¬
scheiden. Für die österreichischen Böhmerwäldler ist nicht bloß das fernere
"Reich," besonders Schwaben und der Rhein, wo früher manche als Hausirer
Wohlstand erwarben, ein glücklicheres Land. Das ist ja für alle Gebirgler
jedes tiefergelegne Land mit besseren Boden und milderer Sonne. Er fühlt
auch den bairischen "Waldler" schon sich überlegen. Und mit Recht. Die
bairischen Waldbewohner sind in denselben Gebirgstcilcn wohlhabender als die
österreichischen. Dort sind nicht Fürsten und Grafen die Großgrundbesitzer,
sondern der bairische Staat selbst, der wohl weiß, was er an diesem kräftigen
Bauernstande hat. In Österreich stehen ein Fürst Schwarzenberg, der in Süd¬
böhmen über 145000 Hektar besitzt, und einige kleinere Herren zwischen den
große Bauern und dem Staat. Von solchen Herren sind die Leute abhängiger als
vom Staat. Es ist ein schlechter Zustand für die Bauern und für den Staat;


Altbcnrische Wanderungen

Grün sind dann überhaupt nur die jungen Fichtenschläge. Auch die Felsen
sind graulich, und die Häuser grau. Die schwere Rauchwolke, die über dem
einen oder andern die Glashütte ankündigt, erheitert die Landschaft nicht. Nur
nach dem Ausgang zu, wo die Thäler breit sind, die Bäche zwischen saftigen
Wiesen hingehen und das Ackerfeld sich höher hinaufzieht, bietet auch der Bairische
Wald freundliche Kulturbilder, die durch die Zeugen der industriellen Thätigkeit
gehoben werden. Zwiesel mit seinem hochragenden Kirchturm, Gotteszeit mit
seinen freundlichen Häusern unter fast wie Marktflecken aus den Alpen an. Von
den größern Orten, die „vor dem Wald" liegen, kann man das nicht sagen,
vor allem nicht von dem als Übergnngsplcitz nach Böhmen so wichtigen Schwan¬
dorf, das in seinen alten Mauerresten eine echt koloniale Gründung um einen un¬
schönen viereckigen Marktplatz mit lauter unbedeutenden Häusern und schmutzigen
Straße» ist. Schwandorf hat eine gewisse nationale Bedeutung als letzte bairische
Stadt gegenüber dem Tschechentum, wo es bei Taus sein Gebiet am weitesten
nach Westen vorschiebt. Man würde hier gern eine recht blühende deutsche Stadt
sehen. Auch Weiden und Furth im Wald sind unbedeutende Orte der Grenzzone,
Tirschenrenth ist durch das Denkmal Schmellers verklärt, des großen Schöpfers
des Bairischen Wörterbuchs, eiues der bedeutendsten Geister, die der bairische
Stamm zur deutscheu Wissenschaft gestellt hat. Im übrigen Deutschland ist
dieser auch rein menschlich anmutende Baier nicht nach Verdienst gewürdigt
worden, soviel gutes auch Jakob Grimm von ihm gesagt hat. Sein Platz ist
neben den Brüdern Grimm, nicht hinter ihnen.

Die Bewohner des Bairischen Waldes sind ein genügsames, fleißig ar¬
beitendes Volk, sie haben sich etwas von der bairischen Heiterkeit bewahrt, unter
Verhältnissen, die viel weniger günstig sind als die in und an den Alpen. Die
„Waldler" lassen übrigens in der auffallend großen Zahl dunkelhaariger und
schwarzäugiger untersetzter Menschen die Erhaltung keltischen Blutes in diesem
Winkel vermuten, der geschichtlich zum Waldsaum des alten Bojerlandes,
Böhmens, gehört. Vom Böhmerwäldler sind sie trotzdem wohl zu unter¬
scheiden. Für die österreichischen Böhmerwäldler ist nicht bloß das fernere
„Reich," besonders Schwaben und der Rhein, wo früher manche als Hausirer
Wohlstand erwarben, ein glücklicheres Land. Das ist ja für alle Gebirgler
jedes tiefergelegne Land mit besseren Boden und milderer Sonne. Er fühlt
auch den bairischen „Waldler" schon sich überlegen. Und mit Recht. Die
bairischen Waldbewohner sind in denselben Gebirgstcilcn wohlhabender als die
österreichischen. Dort sind nicht Fürsten und Grafen die Großgrundbesitzer,
sondern der bairische Staat selbst, der wohl weiß, was er an diesem kräftigen
Bauernstande hat. In Österreich stehen ein Fürst Schwarzenberg, der in Süd¬
böhmen über 145000 Hektar besitzt, und einige kleinere Herren zwischen den
große Bauern und dem Staat. Von solchen Herren sind die Leute abhängiger als
vom Staat. Es ist ein schlechter Zustand für die Bauern und für den Staat;


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[0191] Altbcnrische Wanderungen Grün sind dann überhaupt nur die jungen Fichtenschläge. Auch die Felsen sind graulich, und die Häuser grau. Die schwere Rauchwolke, die über dem einen oder andern die Glashütte ankündigt, erheitert die Landschaft nicht. Nur nach dem Ausgang zu, wo die Thäler breit sind, die Bäche zwischen saftigen Wiesen hingehen und das Ackerfeld sich höher hinaufzieht, bietet auch der Bairische Wald freundliche Kulturbilder, die durch die Zeugen der industriellen Thätigkeit gehoben werden. Zwiesel mit seinem hochragenden Kirchturm, Gotteszeit mit seinen freundlichen Häusern unter fast wie Marktflecken aus den Alpen an. Von den größern Orten, die „vor dem Wald" liegen, kann man das nicht sagen, vor allem nicht von dem als Übergnngsplcitz nach Böhmen so wichtigen Schwan¬ dorf, das in seinen alten Mauerresten eine echt koloniale Gründung um einen un¬ schönen viereckigen Marktplatz mit lauter unbedeutenden Häusern und schmutzigen Straße» ist. Schwandorf hat eine gewisse nationale Bedeutung als letzte bairische Stadt gegenüber dem Tschechentum, wo es bei Taus sein Gebiet am weitesten nach Westen vorschiebt. Man würde hier gern eine recht blühende deutsche Stadt sehen. Auch Weiden und Furth im Wald sind unbedeutende Orte der Grenzzone, Tirschenrenth ist durch das Denkmal Schmellers verklärt, des großen Schöpfers des Bairischen Wörterbuchs, eiues der bedeutendsten Geister, die der bairische Stamm zur deutscheu Wissenschaft gestellt hat. Im übrigen Deutschland ist dieser auch rein menschlich anmutende Baier nicht nach Verdienst gewürdigt worden, soviel gutes auch Jakob Grimm von ihm gesagt hat. Sein Platz ist neben den Brüdern Grimm, nicht hinter ihnen. Die Bewohner des Bairischen Waldes sind ein genügsames, fleißig ar¬ beitendes Volk, sie haben sich etwas von der bairischen Heiterkeit bewahrt, unter Verhältnissen, die viel weniger günstig sind als die in und an den Alpen. Die „Waldler" lassen übrigens in der auffallend großen Zahl dunkelhaariger und schwarzäugiger untersetzter Menschen die Erhaltung keltischen Blutes in diesem Winkel vermuten, der geschichtlich zum Waldsaum des alten Bojerlandes, Böhmens, gehört. Vom Böhmerwäldler sind sie trotzdem wohl zu unter¬ scheiden. Für die österreichischen Böhmerwäldler ist nicht bloß das fernere „Reich," besonders Schwaben und der Rhein, wo früher manche als Hausirer Wohlstand erwarben, ein glücklicheres Land. Das ist ja für alle Gebirgler jedes tiefergelegne Land mit besseren Boden und milderer Sonne. Er fühlt auch den bairischen „Waldler" schon sich überlegen. Und mit Recht. Die bairischen Waldbewohner sind in denselben Gebirgstcilcn wohlhabender als die österreichischen. Dort sind nicht Fürsten und Grafen die Großgrundbesitzer, sondern der bairische Staat selbst, der wohl weiß, was er an diesem kräftigen Bauernstande hat. In Österreich stehen ein Fürst Schwarzenberg, der in Süd¬ böhmen über 145000 Hektar besitzt, und einige kleinere Herren zwischen den große Bauern und dem Staat. Von solchen Herren sind die Leute abhängiger als vom Staat. Es ist ein schlechter Zustand für die Bauern und für den Staat;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/191>, abgerufen am 29.06.2024.