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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Sine Lebensbeschreibung Raiser Wilhelms I.

Würde jemals das geringste zu vergeben und, je älter er wurde, auch mit
steigender, herzlicher Vertraulichkeit und persönlicher Freundschaft.

Aber noch mehr als das. Er ertrug ihn nicht bloß -- er trug und
stützte ihn auch selbst. Nicht nur, daß er allen Versuchungen, sich von ihm
zu trennen, mannhaft widerstand und schließlich durch das berühmte "Niemals"
dem Bunde die Weihe fürs Leben gab; nicht nur, daß er den äußern Respekt
und die Form des monarchischen Regiments streng aufrecht und sich selbst
immer die Entscheidung vorbehielt -- solch dekoratives Beiwerk in der Politik
verblaßt ja sür die geschichtliche Betrachtung sehr bald --, auch in der Wirk¬
lichkeit "hat er sich, als der Herr, in der Würde der wahrhaftigen Majestät
allezeit zwischen und über den Großen, die er berufen hatte, behauptet. Den
Zusammenhang zwischen ihnen allen stellte doch immer er selber dar." Die
Besprechung der Vorgänge im Hauptquartier zu Versailles vor der Beschießung
von Paris giebt Marcks Gelegenheit, sich deutlicher über diesen Punkt auszu¬
lassen. "In heftigen Reibungen arbeiten die starken Kräfte, in deren ureigner
Gewalt und voller Bethätigung die Möglichkeit des Erfolges begründet war,
jede von ihnen auf das äußerste angespannt, voll leidenschaftlichen Dranges
zur That, zur Selbstcntfaltung; sie sind zu mächtig, um einander nicht hart
zu stoßen. Ein Anblick für den, der zu sehen versteht, reich an menschlich
großem Reize, und überdies wären sie schwächer gewesen, was hätten sie
dann gewirkt? Aber freilich, über ihnen mußte ein Herrscher stehen, der dafür
sorgte, daß dem streitenden Wetteifer nicht die Unordnung entspränge, daß in
dem unvermeidlichen Ineinandergreifen und Übergreifen der einzelnen Thätig¬
keiten doch jeder zuletzt seinen Kreis behielte und in diesem unbehindert bliebe;
und dieser Herrscher bedürfte, um jene Großen zusammenzuhalten, eigner per¬
sönlicher Wucht und sicherer königlicher Weisheit." Läßt sich das Verhältnis
des Herrschers zu seinen Paladinen treffender zeichnen, als wie es hier Marcks
thut, der jedem Teile das Seine zuweist?

Noch volle siebzehn Jahre beschied das Schicksal dem ans dem ruhm¬
reichsten seiner Kriege heimkehrenden greisen ersten deutschen Kaiser. An Hand¬
lungen oder gar schöpferischer Thätigkeit wird ja sein Leben nun ärmer. Selbst
eine so gesunde Natur wie die seine taucht allmählich immer tiefer in
die Dämmerung eines so wunderbaren Lebensabends hinab. Aber eine starke,
lebendige Wirkung ging doch von ihm aus bis zum letzten Atemzuge, ja noch
über das Grab hinaus. "Das war wirklich der Kaiser, wie Ehrfurcht und
Glaube der Nation ihn träumen konnten. Mit der vollen Sicherheit, dem
untrüglichen Takte, der schlichten Weisheit und Hoheit seines Wesens schritt
er ihr jetzt voran; man vermöchte keine Persönlichkeit auszudenken, so geeignet
wie die seine, um die oberste Spitze, die lebendige Darstellung der Einheit zu
bilden." Weniger durch große Thaten als durch ihr Dasein übte seine ehr-
furchtgebietende Persönlichkeit den Zauber und den Segen ihrer Wirkung aus.


Sine Lebensbeschreibung Raiser Wilhelms I.

Würde jemals das geringste zu vergeben und, je älter er wurde, auch mit
steigender, herzlicher Vertraulichkeit und persönlicher Freundschaft.

Aber noch mehr als das. Er ertrug ihn nicht bloß — er trug und
stützte ihn auch selbst. Nicht nur, daß er allen Versuchungen, sich von ihm
zu trennen, mannhaft widerstand und schließlich durch das berühmte „Niemals"
dem Bunde die Weihe fürs Leben gab; nicht nur, daß er den äußern Respekt
und die Form des monarchischen Regiments streng aufrecht und sich selbst
immer die Entscheidung vorbehielt — solch dekoratives Beiwerk in der Politik
verblaßt ja sür die geschichtliche Betrachtung sehr bald —, auch in der Wirk¬
lichkeit „hat er sich, als der Herr, in der Würde der wahrhaftigen Majestät
allezeit zwischen und über den Großen, die er berufen hatte, behauptet. Den
Zusammenhang zwischen ihnen allen stellte doch immer er selber dar." Die
Besprechung der Vorgänge im Hauptquartier zu Versailles vor der Beschießung
von Paris giebt Marcks Gelegenheit, sich deutlicher über diesen Punkt auszu¬
lassen. „In heftigen Reibungen arbeiten die starken Kräfte, in deren ureigner
Gewalt und voller Bethätigung die Möglichkeit des Erfolges begründet war,
jede von ihnen auf das äußerste angespannt, voll leidenschaftlichen Dranges
zur That, zur Selbstcntfaltung; sie sind zu mächtig, um einander nicht hart
zu stoßen. Ein Anblick für den, der zu sehen versteht, reich an menschlich
großem Reize, und überdies wären sie schwächer gewesen, was hätten sie
dann gewirkt? Aber freilich, über ihnen mußte ein Herrscher stehen, der dafür
sorgte, daß dem streitenden Wetteifer nicht die Unordnung entspränge, daß in
dem unvermeidlichen Ineinandergreifen und Übergreifen der einzelnen Thätig¬
keiten doch jeder zuletzt seinen Kreis behielte und in diesem unbehindert bliebe;
und dieser Herrscher bedürfte, um jene Großen zusammenzuhalten, eigner per¬
sönlicher Wucht und sicherer königlicher Weisheit." Läßt sich das Verhältnis
des Herrschers zu seinen Paladinen treffender zeichnen, als wie es hier Marcks
thut, der jedem Teile das Seine zuweist?

Noch volle siebzehn Jahre beschied das Schicksal dem ans dem ruhm¬
reichsten seiner Kriege heimkehrenden greisen ersten deutschen Kaiser. An Hand¬
lungen oder gar schöpferischer Thätigkeit wird ja sein Leben nun ärmer. Selbst
eine so gesunde Natur wie die seine taucht allmählich immer tiefer in
die Dämmerung eines so wunderbaren Lebensabends hinab. Aber eine starke,
lebendige Wirkung ging doch von ihm aus bis zum letzten Atemzuge, ja noch
über das Grab hinaus. „Das war wirklich der Kaiser, wie Ehrfurcht und
Glaube der Nation ihn träumen konnten. Mit der vollen Sicherheit, dem
untrüglichen Takte, der schlichten Weisheit und Hoheit seines Wesens schritt
er ihr jetzt voran; man vermöchte keine Persönlichkeit auszudenken, so geeignet
wie die seine, um die oberste Spitze, die lebendige Darstellung der Einheit zu
bilden." Weniger durch große Thaten als durch ihr Dasein übte seine ehr-
furchtgebietende Persönlichkeit den Zauber und den Segen ihrer Wirkung aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/188>, abgerufen am 29.06.2024.