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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.

beide floß, die Tiefe, die Höhe erreicht hatte wie in Bismcircks Seele, erst
dann war er fähig, die Ufer zu übersteigen und seinen befruchtenden Segen
weit über die Niederungen auszugießen, die uach ihm schmachteten wie Ägypten
nach der Überflutung des Nils. Das Schöpferische begann erst in der
Höhe Bismarcks. Allmählich erst wuchsen die Gedanken des Königs dieser zu.
Erst wenn sie bis dahin gestiegen wären, konnte Bismarck mit Nutzen berufen
werden zu wirken. Damit hängt aufs engste etwas andres, ganz Persönliches
zusammen. Die Bedeutung seines Staatsmannes verkannte Wilhelm nicht, er
war dazu viel zu sehr Menschenkenner und hörte überdies zu viel von ihm.
Es lag in der Luft, daß dieser Mann einmal Minister werden müßte. Aber
soweit man aus Erzählungen und Gerüchten, aus Anspielungen und den That¬
sachen selbst, soweit man namentlich aus der innern seelischen Wahrscheinlich¬
keit das Verhältnis der beiden ahnend erschließen kann, so stand ein starkes
Hindernis zwischen ihnen: eine ganz ausgeprägte Abneigung des Königs.
Wilhelm vertrug bedeutende Männer und ließ Novus herbe Männlichkeit weit
gewähren; aber vor diesem Genius durfte der Sohn Friedrich Wilhelms III.
wohl ein gewisses Unbehagen spüren, vor diesem Gewaltigen, dessen Natur¬
kraft über alles Korrekte und Überkommne so souverän hinwegsprang, vor
diesem Manne des kalten Überlegens und der heißen Leidenschaft, des über¬
wältigenden, ungeheuern Willens. Die herzliche Tiefe dieser Persönlichkeit
konnte der König noch nicht ermessen; von ihrer unbedingten Treue mochte er
überzeugt sein; aber wohin Bismarck ihn reißen konnte, davor hat ihm, so
darf man vermuten, im stillen gegraut. Seine eigne, vornehme, gerade Art,
allem Dämonischen so ganz fremd, männlich, aber milde, von jener Reinheit,
die sich niemals beflecken kann, aber eben deshalb auch nicht dazu fähig ist,
im harten Zusammenstoß des Weltlichen, im Gemenge der Politik das Große
selber zu thun, das nun einmal nicht ausgeführt werden kann ohne den Griff
auch in den Nuß und in den Schmutz hinein, ohne die Freiheit einer sich
selber daransetzenden, verwegnen Entschließung, diese sittlich empfindliche Natur,
die überdies die eigne, monarchische Würde sehr bestimmt empfand, sie wurde
von Bismarcks dämonischer Kraft zurückgestoßen, sie mußte sich selber erst
überwinden, ehe sie sich ihm anheimgab. Das war doch wohl der Kernpunkt;
alles übrige, der allgemeine Haß, in welchem der kecke Junker von 1850 in
der öffentlichen Meinung, der Streiter von Frankfurt unter den Eingeweihten
stand, die tiefe Abneigung der Königin, die Scheu vor dem Eindrucke, den
Bismarcks Ernennung also machen mußte, und den Wilhelm noch nicht wagen
mochte, das kam zu jenem Hauptmotive wohl nur hinzu."

Bismarckische Ideen -- und daneben Moltkische Thaten -- treten nun
sachlich immer mehr in den Vordergrund der Darstellung. Oft genug hat es
den König Zeit und Selbstüberwindung gekostet, sich mit ihnen vertraut zu
machen. In der Angelegenheit des Frankfurter Fürstentages von 1863, in


Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.

beide floß, die Tiefe, die Höhe erreicht hatte wie in Bismcircks Seele, erst
dann war er fähig, die Ufer zu übersteigen und seinen befruchtenden Segen
weit über die Niederungen auszugießen, die uach ihm schmachteten wie Ägypten
nach der Überflutung des Nils. Das Schöpferische begann erst in der
Höhe Bismarcks. Allmählich erst wuchsen die Gedanken des Königs dieser zu.
Erst wenn sie bis dahin gestiegen wären, konnte Bismarck mit Nutzen berufen
werden zu wirken. Damit hängt aufs engste etwas andres, ganz Persönliches
zusammen. Die Bedeutung seines Staatsmannes verkannte Wilhelm nicht, er
war dazu viel zu sehr Menschenkenner und hörte überdies zu viel von ihm.
Es lag in der Luft, daß dieser Mann einmal Minister werden müßte. Aber
soweit man aus Erzählungen und Gerüchten, aus Anspielungen und den That¬
sachen selbst, soweit man namentlich aus der innern seelischen Wahrscheinlich¬
keit das Verhältnis der beiden ahnend erschließen kann, so stand ein starkes
Hindernis zwischen ihnen: eine ganz ausgeprägte Abneigung des Königs.
Wilhelm vertrug bedeutende Männer und ließ Novus herbe Männlichkeit weit
gewähren; aber vor diesem Genius durfte der Sohn Friedrich Wilhelms III.
wohl ein gewisses Unbehagen spüren, vor diesem Gewaltigen, dessen Natur¬
kraft über alles Korrekte und Überkommne so souverän hinwegsprang, vor
diesem Manne des kalten Überlegens und der heißen Leidenschaft, des über¬
wältigenden, ungeheuern Willens. Die herzliche Tiefe dieser Persönlichkeit
konnte der König noch nicht ermessen; von ihrer unbedingten Treue mochte er
überzeugt sein; aber wohin Bismarck ihn reißen konnte, davor hat ihm, so
darf man vermuten, im stillen gegraut. Seine eigne, vornehme, gerade Art,
allem Dämonischen so ganz fremd, männlich, aber milde, von jener Reinheit,
die sich niemals beflecken kann, aber eben deshalb auch nicht dazu fähig ist,
im harten Zusammenstoß des Weltlichen, im Gemenge der Politik das Große
selber zu thun, das nun einmal nicht ausgeführt werden kann ohne den Griff
auch in den Nuß und in den Schmutz hinein, ohne die Freiheit einer sich
selber daransetzenden, verwegnen Entschließung, diese sittlich empfindliche Natur,
die überdies die eigne, monarchische Würde sehr bestimmt empfand, sie wurde
von Bismarcks dämonischer Kraft zurückgestoßen, sie mußte sich selber erst
überwinden, ehe sie sich ihm anheimgab. Das war doch wohl der Kernpunkt;
alles übrige, der allgemeine Haß, in welchem der kecke Junker von 1850 in
der öffentlichen Meinung, der Streiter von Frankfurt unter den Eingeweihten
stand, die tiefe Abneigung der Königin, die Scheu vor dem Eindrucke, den
Bismarcks Ernennung also machen mußte, und den Wilhelm noch nicht wagen
mochte, das kam zu jenem Hauptmotive wohl nur hinzu."

Bismarckische Ideen — und daneben Moltkische Thaten — treten nun
sachlich immer mehr in den Vordergrund der Darstellung. Oft genug hat es
den König Zeit und Selbstüberwindung gekostet, sich mit ihnen vertraut zu
machen. In der Angelegenheit des Frankfurter Fürstentages von 1863, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/186>, abgerufen am 29.06.2024.