Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I. und ehe wir uns den Schleier heben lassen, halten wir einen Augenblick inne, Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I. und ehe wir uns den Schleier heben lassen, halten wir einen Augenblick inne, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226413"/> <fw type="header" place="top"> Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.</fw><lb/> <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441" next="#ID_443"> und ehe wir uns den Schleier heben lassen, halten wir einen Augenblick inne,<lb/> um den Worten zu lauschen, mit denen Mcircks den Prinzen schildert in dem<lb/> Augenblick, wo er das Szepter Friedrichs des Großen zu ergreifen sich anschickt:<lb/> „Jetzt, im Jahre 1857, war seine Persönlichkeit längst ausgewachsen; sie war<lb/> es seit zwei Jahrzehnten, und was sie seit 1840 neu erfahren hatte — fiir<lb/> ein Leben beinahe genug hatte sie uoch voller gereift. Auch jetzt noch<lb/> war er vor allem der Offizier ans königlichem Geschlechte, die Gestalt hoch<lb/> und kräftig, ritterlich und sicher, das Antlitz von großen und schlichten Zügen,<lb/> das blaue Auge gütig, frei und fest, ein volles Abbild seines Wesens. Auch<lb/> ein kritischer Beobachter empfand die »Vornehmheit« des Prinzen, der bei<lb/> aller ungezwungner und ungewollten Freundlichkeit, bei aller Milde gegen<lb/> seine Umgebung, bei aller Bescheidenheit und Heiterkeit doch stets der große Herr<lb/> war, geboren und herangebildet zum Befehlen; vornehm in aller äußern Würde<lb/> der Erscheinung, des Auftretens, des Wortes, das er wohl zu handhaben<lb/> wußte, in cilledem ganz ohne Pomp und Pose, durchaus echt; vornehm zumal<lb/> in der sachlichen Klarheit und Reinheit seines Willens, seiner Seele. Die<lb/> bittern Jahre, die er hinter sich hatte, hatten den Adel seines Gefühls nicht<lb/> getrübt; er war durch gehässige Feindseligkeiten hindurchgeschritten, hatte, da<lb/> er der Zweite war und man ihn zurückschob, Groll und etwas wie Eifersucht<lb/> nicht aus seinem Herzen fern halten können: es sollte sich zeigen, daß die<lb/> Erinnerung daran alsbald, da er der Herr wurde, wesenlos von ihm abfiel<lb/> und er innerlich er selber geblieben war, unfähig zu allem Niedern und allem<lb/> Kleinen, großmütig im Vergeben, neidlos und selbstlos, zartsinnig und gerade.<lb/> Seine Nächsten empfanden den einfachen Reichtum, die Wärme und Weichheit<lb/> seines Herzens; bis in das hohe Alter hinein blieb ihm die rückhaltlose Aus¬<lb/> sprache seiner Empfindungen in stillen, schriftlichen Selbstgesprächen, in ver¬<lb/> trauten Briefen ein Bedürfnis. Er folgte diesem nicht mit der Überschwäng-<lb/> lichkeit seines ältesten Bruders, aber an Temperament fehlte es auch ihm<lb/> keineswegs. Die Erregung konnte ihn in wichtigen Augenblicken, in Stunden<lb/> einsamer Überlegung, aber auch bei Beratungen mit andern übermannen, sich<lb/> in heftige Worte, in Thränen ergießen. Er rang sich dann wohl im Gebete<lb/> Wieder zu ruhiger Klarheit durch: die blieb der letzte Grundzug seines Wesens,<lb/> im menschlichen und auch im religiösen Empfinden. Er behielt jene einfache,<lb/> helle, zweifelsfreie Frömmigkeit, die er 1815 bekannt hatte, einen Glauben, der<lb/> ihm »das Brot seines Lebens, der Trost seiner Schmerzen, das Nichtmaß<lb/> seines Handelns,« die Stütze in jeder schweren Entscheidung war. Er war<lb/> wohlthätig, sparsam, bedürfnislos, unendlich fleißig, ein Mann der strengsten<lb/> militärisch-sittlichen Selbstzucht, die der eignen Bequemlichkeit niemals schwäch¬<lb/> lich nachgab, der Pflicht und der Treue im kleinen und großen, von empfind¬<lb/> lichen Gerechtigkeitgefühl und unbedingter Wahrhaftigkeit. In allem aus¬<lb/> geglichen und maßvoll, nicht leicht zu verkenne», aber schwer zu beschreiben,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.
und ehe wir uns den Schleier heben lassen, halten wir einen Augenblick inne,
um den Worten zu lauschen, mit denen Mcircks den Prinzen schildert in dem
Augenblick, wo er das Szepter Friedrichs des Großen zu ergreifen sich anschickt:
„Jetzt, im Jahre 1857, war seine Persönlichkeit längst ausgewachsen; sie war
es seit zwei Jahrzehnten, und was sie seit 1840 neu erfahren hatte — fiir
ein Leben beinahe genug hatte sie uoch voller gereift. Auch jetzt noch
war er vor allem der Offizier ans königlichem Geschlechte, die Gestalt hoch
und kräftig, ritterlich und sicher, das Antlitz von großen und schlichten Zügen,
das blaue Auge gütig, frei und fest, ein volles Abbild seines Wesens. Auch
ein kritischer Beobachter empfand die »Vornehmheit« des Prinzen, der bei
aller ungezwungner und ungewollten Freundlichkeit, bei aller Milde gegen
seine Umgebung, bei aller Bescheidenheit und Heiterkeit doch stets der große Herr
war, geboren und herangebildet zum Befehlen; vornehm in aller äußern Würde
der Erscheinung, des Auftretens, des Wortes, das er wohl zu handhaben
wußte, in cilledem ganz ohne Pomp und Pose, durchaus echt; vornehm zumal
in der sachlichen Klarheit und Reinheit seines Willens, seiner Seele. Die
bittern Jahre, die er hinter sich hatte, hatten den Adel seines Gefühls nicht
getrübt; er war durch gehässige Feindseligkeiten hindurchgeschritten, hatte, da
er der Zweite war und man ihn zurückschob, Groll und etwas wie Eifersucht
nicht aus seinem Herzen fern halten können: es sollte sich zeigen, daß die
Erinnerung daran alsbald, da er der Herr wurde, wesenlos von ihm abfiel
und er innerlich er selber geblieben war, unfähig zu allem Niedern und allem
Kleinen, großmütig im Vergeben, neidlos und selbstlos, zartsinnig und gerade.
Seine Nächsten empfanden den einfachen Reichtum, die Wärme und Weichheit
seines Herzens; bis in das hohe Alter hinein blieb ihm die rückhaltlose Aus¬
sprache seiner Empfindungen in stillen, schriftlichen Selbstgesprächen, in ver¬
trauten Briefen ein Bedürfnis. Er folgte diesem nicht mit der Überschwäng-
lichkeit seines ältesten Bruders, aber an Temperament fehlte es auch ihm
keineswegs. Die Erregung konnte ihn in wichtigen Augenblicken, in Stunden
einsamer Überlegung, aber auch bei Beratungen mit andern übermannen, sich
in heftige Worte, in Thränen ergießen. Er rang sich dann wohl im Gebete
Wieder zu ruhiger Klarheit durch: die blieb der letzte Grundzug seines Wesens,
im menschlichen und auch im religiösen Empfinden. Er behielt jene einfache,
helle, zweifelsfreie Frömmigkeit, die er 1815 bekannt hatte, einen Glauben, der
ihm »das Brot seines Lebens, der Trost seiner Schmerzen, das Nichtmaß
seines Handelns,« die Stütze in jeder schweren Entscheidung war. Er war
wohlthätig, sparsam, bedürfnislos, unendlich fleißig, ein Mann der strengsten
militärisch-sittlichen Selbstzucht, die der eignen Bequemlichkeit niemals schwäch¬
lich nachgab, der Pflicht und der Treue im kleinen und großen, von empfind¬
lichen Gerechtigkeitgefühl und unbedingter Wahrhaftigkeit. In allem aus¬
geglichen und maßvoll, nicht leicht zu verkenne», aber schwer zu beschreiben,
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