Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I. Weit härtere Kämpfe aber sollte ihm die Auseinandersetzung mit den Die nächsten "trüben, bleiernen" Jahre der Reaktion ini Innern, der Ein müder Mann, der keine Zukunft mehr erwartete -- so meinte er Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I. Weit härtere Kämpfe aber sollte ihm die Auseinandersetzung mit den Die nächsten „trüben, bleiernen" Jahre der Reaktion ini Innern, der Ein müder Mann, der keine Zukunft mehr erwartete — so meinte er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226412"/> <fw type="header" place="top"> Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.</fw><lb/> <p xml:id="ID_439"> Weit härtere Kämpfe aber sollte ihm die Auseinandersetzung mit den<lb/> neuen Ideen bringen, die nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. unaufhaltsam<lb/> über Preußen hereinbrachen. Mit Besorgnis blickte er ans den Gährungsprozeß<lb/> der Zeit, mit Widerstreben folgte er den Experimenten des Königlichen Bruders,<lb/> die ungerufuen Geister zu bannen, und heiß wallte sein ritterliches Soldateu-<lb/> blut auf, als der 19. März 1848 der Krone Preußens ihre tiefste Demütigung,<lb/> die selbstverschuldete, schmachvolle Kapitulation vor der Revolution brachte.<lb/> Aber seine gesunde Natur überwand auch diese Niederlage trotz all der bittern<lb/> persönlichen Kränkungen, die sie für ihn zur Folge hatte. Nicht völlig ge¬<lb/> brochen wie Friedrich Wilhelm IV., sondern umgewandelt und den Anforde¬<lb/> rungen der neuen Zeit gewachsen ging er aus der Krisis dieses heißen Jahres<lb/> hervor. Der Schmerz um das Verlorne, patriarchalisch-absolutistische Königtum<lb/> zuckte in seiner Seele noch eine Weile nach, aber verhinderte ihn nicht, die Ver¬<lb/> fassung als vollendete Thatsache offen anzuerkennen und ehrlich zu halten. Um¬<lb/> gekehrt begeisterte er sich anfangs warm für die gewaltige nationale Bewegung,<lb/> die Deutschland durchströmte, während er dnrch den Fortgang der Arbeiten in<lb/> der Paulskirche immer mehr ernüchtert und auf die altprcußische Bahn zurück¬<lb/> gelenkt wurde, freilich auch hier bereit, neuen Most in die alten Schläuche zu<lb/> füllen. „Wer Deutschland regieren will, schrieb er im Mai 1849, muß es<lb/> sich erobern; u. I». Gagern geht es nun einmal nicht. Ob die Zeit zu dieser<lb/> Einheit schon gekommen ist, weiß Gott allein! Aber daß Preußen bestimmt<lb/> ist, an die Spitze Deutschlands zu kommen, liegt in unsrer ganzen Geschichte —<lb/> aber das Wann und Wie? darauf kommt es an." Mit diesen, Bekenntnis<lb/> schloß er seine Rechnung mit den Ideen von 1848 ab. „Er hatte die<lb/> Schicksalsfrage seiner eignen Zukunft gestellt."</p><lb/> <p xml:id="ID_440"> Die nächsten „trüben, bleiernen" Jahre der Reaktion ini Innern, der<lb/> Schwäche nach außen verbrachte der Prinz vou Preußen in stiller Zurück¬<lb/> gezogenheit, aber in wachsendem Unmut über die Leitung der preußischen<lb/> Politik. Mit heftigem Groll erfüllt ihn die Niederlage von Olmütz. Im<lb/> Krimkrieg erblickt er „einen liberalen Kulturkampf des Westens gegen den<lb/> Osten." Im Gegensatz zur preußischen Regierung und zur Kreuzzeitungspartei,<lb/> im Gegensatz also auch zu Bismarck, dem er Gymnasiastenpolitik vorwarf,<lb/> stand er auf der Seite der Westmüchte, des liberalen, zivilisirten Europas.<lb/> Die Hauptsorge und die Hauptthütigkeit widmete er aber auch während dieser<lb/> Zeit den heimischen Militärverhältnissen, deren schwere Schäden sich ihm immer<lb/> deutlicher offenbarten.</p><lb/> <p xml:id="ID_441" next="#ID_442"> Ein müder Mann, der keine Zukunft mehr erwartete — so meinte er<lb/> beim Eintritt in das siebente Jahrzehnt seines „vielbewegten Lebens" seine<lb/> Tage bald abschließen zu müssen. Aber „da er dem Ende zuzuschreiten glaubte,<lb/> eröffnete sich dem Sechziger erst seine eigne Wirkenszeit: eine weltweite Zukunft,<lb/> unvergeßlich in aller Geschichte." Noch lag sie dicht verschleiert vor seinem Blick,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.
Weit härtere Kämpfe aber sollte ihm die Auseinandersetzung mit den
neuen Ideen bringen, die nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. unaufhaltsam
über Preußen hereinbrachen. Mit Besorgnis blickte er ans den Gährungsprozeß
der Zeit, mit Widerstreben folgte er den Experimenten des Königlichen Bruders,
die ungerufuen Geister zu bannen, und heiß wallte sein ritterliches Soldateu-
blut auf, als der 19. März 1848 der Krone Preußens ihre tiefste Demütigung,
die selbstverschuldete, schmachvolle Kapitulation vor der Revolution brachte.
Aber seine gesunde Natur überwand auch diese Niederlage trotz all der bittern
persönlichen Kränkungen, die sie für ihn zur Folge hatte. Nicht völlig ge¬
brochen wie Friedrich Wilhelm IV., sondern umgewandelt und den Anforde¬
rungen der neuen Zeit gewachsen ging er aus der Krisis dieses heißen Jahres
hervor. Der Schmerz um das Verlorne, patriarchalisch-absolutistische Königtum
zuckte in seiner Seele noch eine Weile nach, aber verhinderte ihn nicht, die Ver¬
fassung als vollendete Thatsache offen anzuerkennen und ehrlich zu halten. Um¬
gekehrt begeisterte er sich anfangs warm für die gewaltige nationale Bewegung,
die Deutschland durchströmte, während er dnrch den Fortgang der Arbeiten in
der Paulskirche immer mehr ernüchtert und auf die altprcußische Bahn zurück¬
gelenkt wurde, freilich auch hier bereit, neuen Most in die alten Schläuche zu
füllen. „Wer Deutschland regieren will, schrieb er im Mai 1849, muß es
sich erobern; u. I». Gagern geht es nun einmal nicht. Ob die Zeit zu dieser
Einheit schon gekommen ist, weiß Gott allein! Aber daß Preußen bestimmt
ist, an die Spitze Deutschlands zu kommen, liegt in unsrer ganzen Geschichte —
aber das Wann und Wie? darauf kommt es an." Mit diesen, Bekenntnis
schloß er seine Rechnung mit den Ideen von 1848 ab. „Er hatte die
Schicksalsfrage seiner eignen Zukunft gestellt."
Die nächsten „trüben, bleiernen" Jahre der Reaktion ini Innern, der
Schwäche nach außen verbrachte der Prinz vou Preußen in stiller Zurück¬
gezogenheit, aber in wachsendem Unmut über die Leitung der preußischen
Politik. Mit heftigem Groll erfüllt ihn die Niederlage von Olmütz. Im
Krimkrieg erblickt er „einen liberalen Kulturkampf des Westens gegen den
Osten." Im Gegensatz zur preußischen Regierung und zur Kreuzzeitungspartei,
im Gegensatz also auch zu Bismarck, dem er Gymnasiastenpolitik vorwarf,
stand er auf der Seite der Westmüchte, des liberalen, zivilisirten Europas.
Die Hauptsorge und die Hauptthütigkeit widmete er aber auch während dieser
Zeit den heimischen Militärverhältnissen, deren schwere Schäden sich ihm immer
deutlicher offenbarten.
Ein müder Mann, der keine Zukunft mehr erwartete — so meinte er
beim Eintritt in das siebente Jahrzehnt seines „vielbewegten Lebens" seine
Tage bald abschließen zu müssen. Aber „da er dem Ende zuzuschreiten glaubte,
eröffnete sich dem Sechziger erst seine eigne Wirkenszeit: eine weltweite Zukunft,
unvergeßlich in aller Geschichte." Noch lag sie dicht verschleiert vor seinem Blick,
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