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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguaygebiets

Revolution die Kriegsfurie im wesentlichen von der deutschen Koloniezone fern
zu halten, so ist doch die Sachlage für so weit ins Innere vorgeschobne Posten
wie die neue Kolonie wesentlich anders. Es wäre im Interesse des Staats¬
oberhaupts, dessen Leitung der Provinz von der großen Mehrzahl der Deutsch¬
brasilianer willig anerkannt wird, in diesen Ländergebieten eine ihm ergebne,
friedliebende Bevölkerung zu wissen, die auf seinen Ruf im Falle der Not
bereit wäre, etwaige Friedensstörer von ihren Grenzen fernzuhalten.

Zur Lösung der zweiten Aufgabe, der Unterbringung von Kolonisten in
Privcitländereien, ist vor allem die Verfügung über ein größeres Areal erforder¬
lich. Mittellose Kolonisten würden hier umsonst oder gegen eine kleine An¬
zahlung Kolonielosc angewiesen bekommen, deren Wert bis zur völligen Ab¬
zahlung mit sieben Prozent zu verzinsen wäre. Mit Zunahme der Besiedlung
ist ein Steigen des Wertes der noch nicht abgegebnen Lündereien zu erwarten.
Auf diesen würden Vendas, Geschäfte, die den Kolonisten ihre Erzeugnisse ab¬
laufen, sowie deren Bedürfnisse decken, zu errichten sein. An dem Risiko, soweit
von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, und an dem Gewinn können,
wie schon erwähnt, Mitglieder der ersten Gruppe privatim sich beteiligen.

In diesem Nahmen denken wir uns etwa die Organisation einer Gesell¬
schaft gehalten, die es sich zur Aufgabe machte, nicht nur wie der Hamburger
Verein auf den erworbnen Ländereien Kolonisten anzusiedeln, sondern auch eine
gewisse Vermittlung zwischen der Negierung und den auf deu Staatsländereien
anzusiedelnden Kolonisten des Hinterlandes von Rio Grande zu übernehmen.
Eine strenge Sonderung der Arbeits- und Interessengebiete der beiden Gruppen
ist nötig, um den drüben wirkenden möglichst Freiheit der Bewegung zu lassen.
Freilich müßte dann auch umso mehr Wert darauf gelegt werden, zuverlässige
und tüchtige Kräfte aus den einflußreichen Kreisen des Porto-Alegreuser
Deutschtums zu gewinnen. Wie uus aber von drüben versichert worden ist,
böte das angesichts der großen Vorteile, die sich die Deutschen in Porto Alegre
von einer vermehrten Einwanderung versprechen können, keine Schwierigkeiten.

Daß es aber nachgerade hohe Zeit ist, durch reichlichen Nachschub der
deutschen Kolonisation in Rio Grande neue Kräfte zuzuführen, beweisen schon
die Zahlen der Auswanderungsstatistik, wonach die Auswanderung von Deutsch¬
land nach ganz Brasilien in den Jahren 1891 bis 1896 von 3710 auf
986 Köpfe zurückgegangen ist, wogegen sich die italienische Auswanderung nach
Brasilien in den letzten Jahren verzehnfacht hat. Nun ist ja teilweise richtig,
was Garibaldi, der einstige Kämpfer für die Unabhängigkeit Rio Grandes, in
seiner Selbstbiographie von seinen drüben weilenden Landsleuten sagt. "Der
Italiener ergötzt sich nicht am blauen Himmel des Auslandes, an den Reizen
einer fremden Schönen; er verpflanzt sich nicht wie die Söhne des Nordens
auf immer in ein fremdes Land. Er vegetirt, er wandelt düster und gedanken¬
schwer auf der fremden Erde, und nie verläßt ihn das Heimweh nach dem


Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguaygebiets

Revolution die Kriegsfurie im wesentlichen von der deutschen Koloniezone fern
zu halten, so ist doch die Sachlage für so weit ins Innere vorgeschobne Posten
wie die neue Kolonie wesentlich anders. Es wäre im Interesse des Staats¬
oberhaupts, dessen Leitung der Provinz von der großen Mehrzahl der Deutsch¬
brasilianer willig anerkannt wird, in diesen Ländergebieten eine ihm ergebne,
friedliebende Bevölkerung zu wissen, die auf seinen Ruf im Falle der Not
bereit wäre, etwaige Friedensstörer von ihren Grenzen fernzuhalten.

Zur Lösung der zweiten Aufgabe, der Unterbringung von Kolonisten in
Privcitländereien, ist vor allem die Verfügung über ein größeres Areal erforder¬
lich. Mittellose Kolonisten würden hier umsonst oder gegen eine kleine An¬
zahlung Kolonielosc angewiesen bekommen, deren Wert bis zur völligen Ab¬
zahlung mit sieben Prozent zu verzinsen wäre. Mit Zunahme der Besiedlung
ist ein Steigen des Wertes der noch nicht abgegebnen Lündereien zu erwarten.
Auf diesen würden Vendas, Geschäfte, die den Kolonisten ihre Erzeugnisse ab¬
laufen, sowie deren Bedürfnisse decken, zu errichten sein. An dem Risiko, soweit
von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, und an dem Gewinn können,
wie schon erwähnt, Mitglieder der ersten Gruppe privatim sich beteiligen.

In diesem Nahmen denken wir uns etwa die Organisation einer Gesell¬
schaft gehalten, die es sich zur Aufgabe machte, nicht nur wie der Hamburger
Verein auf den erworbnen Ländereien Kolonisten anzusiedeln, sondern auch eine
gewisse Vermittlung zwischen der Negierung und den auf deu Staatsländereien
anzusiedelnden Kolonisten des Hinterlandes von Rio Grande zu übernehmen.
Eine strenge Sonderung der Arbeits- und Interessengebiete der beiden Gruppen
ist nötig, um den drüben wirkenden möglichst Freiheit der Bewegung zu lassen.
Freilich müßte dann auch umso mehr Wert darauf gelegt werden, zuverlässige
und tüchtige Kräfte aus den einflußreichen Kreisen des Porto-Alegreuser
Deutschtums zu gewinnen. Wie uus aber von drüben versichert worden ist,
böte das angesichts der großen Vorteile, die sich die Deutschen in Porto Alegre
von einer vermehrten Einwanderung versprechen können, keine Schwierigkeiten.

Daß es aber nachgerade hohe Zeit ist, durch reichlichen Nachschub der
deutschen Kolonisation in Rio Grande neue Kräfte zuzuführen, beweisen schon
die Zahlen der Auswanderungsstatistik, wonach die Auswanderung von Deutsch¬
land nach ganz Brasilien in den Jahren 1891 bis 1896 von 3710 auf
986 Köpfe zurückgegangen ist, wogegen sich die italienische Auswanderung nach
Brasilien in den letzten Jahren verzehnfacht hat. Nun ist ja teilweise richtig,
was Garibaldi, der einstige Kämpfer für die Unabhängigkeit Rio Grandes, in
seiner Selbstbiographie von seinen drüben weilenden Landsleuten sagt. „Der
Italiener ergötzt sich nicht am blauen Himmel des Auslandes, an den Reizen
einer fremden Schönen; er verpflanzt sich nicht wie die Söhne des Nordens
auf immer in ein fremdes Land. Er vegetirt, er wandelt düster und gedanken¬
schwer auf der fremden Erde, und nie verläßt ihn das Heimweh nach dem


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[0175] Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguaygebiets Revolution die Kriegsfurie im wesentlichen von der deutschen Koloniezone fern zu halten, so ist doch die Sachlage für so weit ins Innere vorgeschobne Posten wie die neue Kolonie wesentlich anders. Es wäre im Interesse des Staats¬ oberhaupts, dessen Leitung der Provinz von der großen Mehrzahl der Deutsch¬ brasilianer willig anerkannt wird, in diesen Ländergebieten eine ihm ergebne, friedliebende Bevölkerung zu wissen, die auf seinen Ruf im Falle der Not bereit wäre, etwaige Friedensstörer von ihren Grenzen fernzuhalten. Zur Lösung der zweiten Aufgabe, der Unterbringung von Kolonisten in Privcitländereien, ist vor allem die Verfügung über ein größeres Areal erforder¬ lich. Mittellose Kolonisten würden hier umsonst oder gegen eine kleine An¬ zahlung Kolonielosc angewiesen bekommen, deren Wert bis zur völligen Ab¬ zahlung mit sieben Prozent zu verzinsen wäre. Mit Zunahme der Besiedlung ist ein Steigen des Wertes der noch nicht abgegebnen Lündereien zu erwarten. Auf diesen würden Vendas, Geschäfte, die den Kolonisten ihre Erzeugnisse ab¬ laufen, sowie deren Bedürfnisse decken, zu errichten sein. An dem Risiko, soweit von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, und an dem Gewinn können, wie schon erwähnt, Mitglieder der ersten Gruppe privatim sich beteiligen. In diesem Nahmen denken wir uns etwa die Organisation einer Gesell¬ schaft gehalten, die es sich zur Aufgabe machte, nicht nur wie der Hamburger Verein auf den erworbnen Ländereien Kolonisten anzusiedeln, sondern auch eine gewisse Vermittlung zwischen der Negierung und den auf deu Staatsländereien anzusiedelnden Kolonisten des Hinterlandes von Rio Grande zu übernehmen. Eine strenge Sonderung der Arbeits- und Interessengebiete der beiden Gruppen ist nötig, um den drüben wirkenden möglichst Freiheit der Bewegung zu lassen. Freilich müßte dann auch umso mehr Wert darauf gelegt werden, zuverlässige und tüchtige Kräfte aus den einflußreichen Kreisen des Porto-Alegreuser Deutschtums zu gewinnen. Wie uus aber von drüben versichert worden ist, böte das angesichts der großen Vorteile, die sich die Deutschen in Porto Alegre von einer vermehrten Einwanderung versprechen können, keine Schwierigkeiten. Daß es aber nachgerade hohe Zeit ist, durch reichlichen Nachschub der deutschen Kolonisation in Rio Grande neue Kräfte zuzuführen, beweisen schon die Zahlen der Auswanderungsstatistik, wonach die Auswanderung von Deutsch¬ land nach ganz Brasilien in den Jahren 1891 bis 1896 von 3710 auf 986 Köpfe zurückgegangen ist, wogegen sich die italienische Auswanderung nach Brasilien in den letzten Jahren verzehnfacht hat. Nun ist ja teilweise richtig, was Garibaldi, der einstige Kämpfer für die Unabhängigkeit Rio Grandes, in seiner Selbstbiographie von seinen drüben weilenden Landsleuten sagt. „Der Italiener ergötzt sich nicht am blauen Himmel des Auslandes, an den Reizen einer fremden Schönen; er verpflanzt sich nicht wie die Söhne des Nordens auf immer in ein fremdes Land. Er vegetirt, er wandelt düster und gedanken¬ schwer auf der fremden Erde, und nie verläßt ihn das Heimweh nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/175>, abgerufen am 28.09.2024.