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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguayzebiets

Wandrer, die bisher den Vereinigten Staaten und andern Ländern mit vor¬
wiegend angelsächsischer Bevölkerung zu gute kamen, der für die deutsche Sache
und auch sür sie selbst ersprießlichern Kulturarbeit in Südbrasilien zuzuführen.
Sodnnn ist zu bedenken, daß sich z. B. in Württemberg fortwährend zahlreiche
tüchtige Bauernsöhne dem Handwerk und auch der Fabrikarbeit zuwenden, weil
ihnen diese ein besseres Fortkommen versprechen. Bei günstigen Auswande¬
rungsaussichten würden viele dem Berufe des Ackerbaus treu bleiben oder
zu ihm zurückkehren. Aber gerade Leute, die sich zugleich auf Landbau und
auf ein Handwerk verstehen, eignen sich wieder ganz besonders für die süd¬
brasilische Kolonisation.

Da der Bremer Lloyd und die Hamburg-südamerikanische Dampfschiff¬
fahrtsgesellschaft dem genannten Hamburger Verein für die Beförderung einer
erwachsenen Person im Zwischendeck auf die nächsten drei Jahre eine Er¬
mäßigung bis auf hundert Mark zugestanden haben, dürfte eine ähnliche Ver¬
einigung auf dieselbe Vergünstigung zu rechnen haben. An die Stelle der
bisherigen Agentcnwirtschaft, die so viel zur Befestigung der gegen Brasilien
herrschenden Vorurteile beigetragen hat, würde damit eine Vertretung kommen,
die dem Auswandrer wieder Vertrauen einzuflößen und auch seine Interessen
zu fördern geeignet wäre. Gebildet werden könnte sie vielleicht im Anschluß
um bestehende Zweigvereine des handelsgeographischen Vereins oder der deutschen
Kolonisationsgesellschaft. Für die Verlegung des Hauptsitzes nach Süddeutsch¬
land spricht neben der Dichtigkeit der kleinbäuerlichen Bevölkerung die Ver¬
wendbarkeit der hier anzuwerbenden Kolonisten für Weinbau und andre land¬
wirtschaftliche Zweige, die bisher drüben fast ausschließlich in den Händen der
italienischen Ansiedler waren.

Die Thätigkeit der zweiten Gruppe mit dem Sitz in Porto Alegre hätte
zwei verschiednen Aufgaben gerecht zu werden: die Kolonisten, die den neu er¬
schlossenen Staatsländereien im Uruguaygebiet zugeführt werden sollen, zu
unterstützen und solche auf Privatlündereien innerhalb der sogenannten deutschen
Kolouiezone oder weiter im Innern anzusiedeln. Sie hätte also die An¬
kömmlinge in Empfang zu nehmen und für die pünktliche Einhaltung der
Versprechungen der Smatsregierung oder für das einstweilige Unterkommen
bis zur Weiterreise ins Innere zu sorgen. Sodann hätte sie darauf zu achten,
daß die deutschen Ackerbauer drüben in geschlossenen Massen angesiedelt und
nicht mit Angehörigen eines fremden Volkstums vermischt werden. Die
Wichtigkeit einer solchen Maßregel wird auch von vorurteilsloser Lusobrasiliern
zugegeben, wie ja auch für die neue Staatskolonie eine geschlossene Ansiedlung
von Deutschen geplant ist. Eine solche erscheint aber auch mit Rücksicht auf
eine etwaige spätere Erneuerung der politischen Unruhen dringend geboten.
Denn wenn es auch den Bemühungen des jetzigen thatkräftigen Präsidenten
von Rio Grande, Dr. Julio de Castilhos, gelungen ist, während der letzten


Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguayzebiets

Wandrer, die bisher den Vereinigten Staaten und andern Ländern mit vor¬
wiegend angelsächsischer Bevölkerung zu gute kamen, der für die deutsche Sache
und auch sür sie selbst ersprießlichern Kulturarbeit in Südbrasilien zuzuführen.
Sodnnn ist zu bedenken, daß sich z. B. in Württemberg fortwährend zahlreiche
tüchtige Bauernsöhne dem Handwerk und auch der Fabrikarbeit zuwenden, weil
ihnen diese ein besseres Fortkommen versprechen. Bei günstigen Auswande¬
rungsaussichten würden viele dem Berufe des Ackerbaus treu bleiben oder
zu ihm zurückkehren. Aber gerade Leute, die sich zugleich auf Landbau und
auf ein Handwerk verstehen, eignen sich wieder ganz besonders für die süd¬
brasilische Kolonisation.

Da der Bremer Lloyd und die Hamburg-südamerikanische Dampfschiff¬
fahrtsgesellschaft dem genannten Hamburger Verein für die Beförderung einer
erwachsenen Person im Zwischendeck auf die nächsten drei Jahre eine Er¬
mäßigung bis auf hundert Mark zugestanden haben, dürfte eine ähnliche Ver¬
einigung auf dieselbe Vergünstigung zu rechnen haben. An die Stelle der
bisherigen Agentcnwirtschaft, die so viel zur Befestigung der gegen Brasilien
herrschenden Vorurteile beigetragen hat, würde damit eine Vertretung kommen,
die dem Auswandrer wieder Vertrauen einzuflößen und auch seine Interessen
zu fördern geeignet wäre. Gebildet werden könnte sie vielleicht im Anschluß
um bestehende Zweigvereine des handelsgeographischen Vereins oder der deutschen
Kolonisationsgesellschaft. Für die Verlegung des Hauptsitzes nach Süddeutsch¬
land spricht neben der Dichtigkeit der kleinbäuerlichen Bevölkerung die Ver¬
wendbarkeit der hier anzuwerbenden Kolonisten für Weinbau und andre land¬
wirtschaftliche Zweige, die bisher drüben fast ausschließlich in den Händen der
italienischen Ansiedler waren.

Die Thätigkeit der zweiten Gruppe mit dem Sitz in Porto Alegre hätte
zwei verschiednen Aufgaben gerecht zu werden: die Kolonisten, die den neu er¬
schlossenen Staatsländereien im Uruguaygebiet zugeführt werden sollen, zu
unterstützen und solche auf Privatlündereien innerhalb der sogenannten deutschen
Kolouiezone oder weiter im Innern anzusiedeln. Sie hätte also die An¬
kömmlinge in Empfang zu nehmen und für die pünktliche Einhaltung der
Versprechungen der Smatsregierung oder für das einstweilige Unterkommen
bis zur Weiterreise ins Innere zu sorgen. Sodann hätte sie darauf zu achten,
daß die deutschen Ackerbauer drüben in geschlossenen Massen angesiedelt und
nicht mit Angehörigen eines fremden Volkstums vermischt werden. Die
Wichtigkeit einer solchen Maßregel wird auch von vorurteilsloser Lusobrasiliern
zugegeben, wie ja auch für die neue Staatskolonie eine geschlossene Ansiedlung
von Deutschen geplant ist. Eine solche erscheint aber auch mit Rücksicht auf
eine etwaige spätere Erneuerung der politischen Unruhen dringend geboten.
Denn wenn es auch den Bemühungen des jetzigen thatkräftigen Präsidenten
von Rio Grande, Dr. Julio de Castilhos, gelungen ist, während der letzten


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[0174] Die Besiedlung des brasilischen Alto-Uruguayzebiets Wandrer, die bisher den Vereinigten Staaten und andern Ländern mit vor¬ wiegend angelsächsischer Bevölkerung zu gute kamen, der für die deutsche Sache und auch sür sie selbst ersprießlichern Kulturarbeit in Südbrasilien zuzuführen. Sodnnn ist zu bedenken, daß sich z. B. in Württemberg fortwährend zahlreiche tüchtige Bauernsöhne dem Handwerk und auch der Fabrikarbeit zuwenden, weil ihnen diese ein besseres Fortkommen versprechen. Bei günstigen Auswande¬ rungsaussichten würden viele dem Berufe des Ackerbaus treu bleiben oder zu ihm zurückkehren. Aber gerade Leute, die sich zugleich auf Landbau und auf ein Handwerk verstehen, eignen sich wieder ganz besonders für die süd¬ brasilische Kolonisation. Da der Bremer Lloyd und die Hamburg-südamerikanische Dampfschiff¬ fahrtsgesellschaft dem genannten Hamburger Verein für die Beförderung einer erwachsenen Person im Zwischendeck auf die nächsten drei Jahre eine Er¬ mäßigung bis auf hundert Mark zugestanden haben, dürfte eine ähnliche Ver¬ einigung auf dieselbe Vergünstigung zu rechnen haben. An die Stelle der bisherigen Agentcnwirtschaft, die so viel zur Befestigung der gegen Brasilien herrschenden Vorurteile beigetragen hat, würde damit eine Vertretung kommen, die dem Auswandrer wieder Vertrauen einzuflößen und auch seine Interessen zu fördern geeignet wäre. Gebildet werden könnte sie vielleicht im Anschluß um bestehende Zweigvereine des handelsgeographischen Vereins oder der deutschen Kolonisationsgesellschaft. Für die Verlegung des Hauptsitzes nach Süddeutsch¬ land spricht neben der Dichtigkeit der kleinbäuerlichen Bevölkerung die Ver¬ wendbarkeit der hier anzuwerbenden Kolonisten für Weinbau und andre land¬ wirtschaftliche Zweige, die bisher drüben fast ausschließlich in den Händen der italienischen Ansiedler waren. Die Thätigkeit der zweiten Gruppe mit dem Sitz in Porto Alegre hätte zwei verschiednen Aufgaben gerecht zu werden: die Kolonisten, die den neu er¬ schlossenen Staatsländereien im Uruguaygebiet zugeführt werden sollen, zu unterstützen und solche auf Privatlündereien innerhalb der sogenannten deutschen Kolouiezone oder weiter im Innern anzusiedeln. Sie hätte also die An¬ kömmlinge in Empfang zu nehmen und für die pünktliche Einhaltung der Versprechungen der Smatsregierung oder für das einstweilige Unterkommen bis zur Weiterreise ins Innere zu sorgen. Sodann hätte sie darauf zu achten, daß die deutschen Ackerbauer drüben in geschlossenen Massen angesiedelt und nicht mit Angehörigen eines fremden Volkstums vermischt werden. Die Wichtigkeit einer solchen Maßregel wird auch von vorurteilsloser Lusobrasiliern zugegeben, wie ja auch für die neue Staatskolonie eine geschlossene Ansiedlung von Deutschen geplant ist. Eine solche erscheint aber auch mit Rücksicht auf eine etwaige spätere Erneuerung der politischen Unruhen dringend geboten. Denn wenn es auch den Bemühungen des jetzigen thatkräftigen Präsidenten von Rio Grande, Dr. Julio de Castilhos, gelungen ist, während der letzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/174>, abgerufen am 29.06.2024.