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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auch unter Fürst Hohenlohe siud die beiden Bestandteile des Auswärtigen
Amts, der reichsdeutsche und der preußischdeutsche, ungetrennt geblieben. Es
war das auch natürlich, denn Fürst Hohenlohe ist sich ohne Zweifel ihres
verschiednen Wesens bewußt, aber er hatte keine Veranlassung, die Verschieden¬
heit äußerlich auszuprägen. Im Gegenteil; entsprachen doch dem status auc-
die beiden Umstände, die ihn selber zur Leitung der Geschäfte vorzugsweise
befähigten: seine besondre Erfahrung in der auswärtigen Politik und sein all¬
gemeines Ansehen in allem, was das Reich als Buudesstacit betraf. Auch sür
die eigentümliche Mittellinie, die er bei seiner unmittelbaren Einwirkung einer¬
seits, bei der Zulassung und Verwendung fremder Thätigkeit andrerseits ein¬
gehalten hat, war es so, wie es war, bequemer, als wenn neue Einrichtungen
getroffen worden wären. Theoretisch vollends war die ganze Frage ein
auiswili, und an dergleichen zu rühren widerstrebt bei Fürst Hohenlohe nicht
nur, wie bei Fürst Bismarck, die politische Einsicht, sondern auch die ange-
borne Gemütsart, das Temperament.

Den Geschäften kam es zu gute, daß sich Fürst Hohenlohe nicht erst
lange einzuarbeiten brauchte, er konnte seine Aufgabe sofort anfassen. In der
Auslandspolitik sowohl als in der Buudcspolitik sah man wieder Erfolge, und
in kluger Weise kehrte die Leitung in die alten Geleise zurück, unter Wahrung
der erforderlichen Selbständigkeit. Die öffentliche Meinung beruhigte sich
wieder, ohne gerade in allem freudig zu folgen. Aber freilich nur auf diesen
beiden Gebieten; in dem Teil der Reichsangelegenheiten dagegen, wo mit dem
Reichstag zu rechnen ist, und auch in preußischen Landessachen verbreitete sich
mehr und mehr das Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit. Jetzt ist
die zornige Volksstimmung wieder da, die Graf Caprivi so schwer zu fühlen
bekommen hat, und hat nur die Stelle gewechselt; Fürst Hohenlohe hat seine
einst sehr große Volkstümlichkeit verloren, er ist fast ebenso unpopulär, wie
es sein Vorgänger zuletzt war. Man kann hinzufügen, seine eigne Mitschuld
daran sei geringer, weil sich vieles lange und ohne sein Zuthun oder Hin¬
gehenlassen vorbereitet hat; man wird aber doch zugeben müssen, daß seiner
großen Klugheit und Menschenkenntnis kein gleiches Maß von Kraft und Ge¬
mütswärme entspricht, und daß es ihm namentlich an Initiative fehlt, daß
er die Dinge gar zu sehr an sich herankommen läßt. Die Mischung von
Geistes- und Charaktereigenschaften, die ihm seinen Platz als Staatsmann
zuweist, ist überhaupt mehr auf Zeiten berechnet, die eine behutsame Lenkung
mit starkem Bremsen empfehlen, als auf solche, die entschlossenes und schnelles
Vorwärtskommen erfordern. Er scheint deshalb der Ergänzung zu bedürfen,
auch darin, daß ihn die Geschäfte des Innern nach seiner ganzen staatsmän¬
nischen Vergangenheit erst in zweiter Reihe interessiren. Dagegen ist er nichts
weniger als ein "müder Greis," er kann noch manchen seiner politischen Toten¬
gräber überdauern, und daß er mehr für sich reden läßt als selbst redet,


Auch unter Fürst Hohenlohe siud die beiden Bestandteile des Auswärtigen
Amts, der reichsdeutsche und der preußischdeutsche, ungetrennt geblieben. Es
war das auch natürlich, denn Fürst Hohenlohe ist sich ohne Zweifel ihres
verschiednen Wesens bewußt, aber er hatte keine Veranlassung, die Verschieden¬
heit äußerlich auszuprägen. Im Gegenteil; entsprachen doch dem status auc-
die beiden Umstände, die ihn selber zur Leitung der Geschäfte vorzugsweise
befähigten: seine besondre Erfahrung in der auswärtigen Politik und sein all¬
gemeines Ansehen in allem, was das Reich als Buudesstacit betraf. Auch sür
die eigentümliche Mittellinie, die er bei seiner unmittelbaren Einwirkung einer¬
seits, bei der Zulassung und Verwendung fremder Thätigkeit andrerseits ein¬
gehalten hat, war es so, wie es war, bequemer, als wenn neue Einrichtungen
getroffen worden wären. Theoretisch vollends war die ganze Frage ein
auiswili, und an dergleichen zu rühren widerstrebt bei Fürst Hohenlohe nicht
nur, wie bei Fürst Bismarck, die politische Einsicht, sondern auch die ange-
borne Gemütsart, das Temperament.

Den Geschäften kam es zu gute, daß sich Fürst Hohenlohe nicht erst
lange einzuarbeiten brauchte, er konnte seine Aufgabe sofort anfassen. In der
Auslandspolitik sowohl als in der Buudcspolitik sah man wieder Erfolge, und
in kluger Weise kehrte die Leitung in die alten Geleise zurück, unter Wahrung
der erforderlichen Selbständigkeit. Die öffentliche Meinung beruhigte sich
wieder, ohne gerade in allem freudig zu folgen. Aber freilich nur auf diesen
beiden Gebieten; in dem Teil der Reichsangelegenheiten dagegen, wo mit dem
Reichstag zu rechnen ist, und auch in preußischen Landessachen verbreitete sich
mehr und mehr das Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit. Jetzt ist
die zornige Volksstimmung wieder da, die Graf Caprivi so schwer zu fühlen
bekommen hat, und hat nur die Stelle gewechselt; Fürst Hohenlohe hat seine
einst sehr große Volkstümlichkeit verloren, er ist fast ebenso unpopulär, wie
es sein Vorgänger zuletzt war. Man kann hinzufügen, seine eigne Mitschuld
daran sei geringer, weil sich vieles lange und ohne sein Zuthun oder Hin¬
gehenlassen vorbereitet hat; man wird aber doch zugeben müssen, daß seiner
großen Klugheit und Menschenkenntnis kein gleiches Maß von Kraft und Ge¬
mütswärme entspricht, und daß es ihm namentlich an Initiative fehlt, daß
er die Dinge gar zu sehr an sich herankommen läßt. Die Mischung von
Geistes- und Charaktereigenschaften, die ihm seinen Platz als Staatsmann
zuweist, ist überhaupt mehr auf Zeiten berechnet, die eine behutsame Lenkung
mit starkem Bremsen empfehlen, als auf solche, die entschlossenes und schnelles
Vorwärtskommen erfordern. Er scheint deshalb der Ergänzung zu bedürfen,
auch darin, daß ihn die Geschäfte des Innern nach seiner ganzen staatsmän¬
nischen Vergangenheit erst in zweiter Reihe interessiren. Dagegen ist er nichts
weniger als ein „müder Greis," er kann noch manchen seiner politischen Toten¬
gräber überdauern, und daß er mehr für sich reden läßt als selbst redet,


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[0168] Auch unter Fürst Hohenlohe siud die beiden Bestandteile des Auswärtigen Amts, der reichsdeutsche und der preußischdeutsche, ungetrennt geblieben. Es war das auch natürlich, denn Fürst Hohenlohe ist sich ohne Zweifel ihres verschiednen Wesens bewußt, aber er hatte keine Veranlassung, die Verschieden¬ heit äußerlich auszuprägen. Im Gegenteil; entsprachen doch dem status auc- die beiden Umstände, die ihn selber zur Leitung der Geschäfte vorzugsweise befähigten: seine besondre Erfahrung in der auswärtigen Politik und sein all¬ gemeines Ansehen in allem, was das Reich als Buudesstacit betraf. Auch sür die eigentümliche Mittellinie, die er bei seiner unmittelbaren Einwirkung einer¬ seits, bei der Zulassung und Verwendung fremder Thätigkeit andrerseits ein¬ gehalten hat, war es so, wie es war, bequemer, als wenn neue Einrichtungen getroffen worden wären. Theoretisch vollends war die ganze Frage ein auiswili, und an dergleichen zu rühren widerstrebt bei Fürst Hohenlohe nicht nur, wie bei Fürst Bismarck, die politische Einsicht, sondern auch die ange- borne Gemütsart, das Temperament. Den Geschäften kam es zu gute, daß sich Fürst Hohenlohe nicht erst lange einzuarbeiten brauchte, er konnte seine Aufgabe sofort anfassen. In der Auslandspolitik sowohl als in der Buudcspolitik sah man wieder Erfolge, und in kluger Weise kehrte die Leitung in die alten Geleise zurück, unter Wahrung der erforderlichen Selbständigkeit. Die öffentliche Meinung beruhigte sich wieder, ohne gerade in allem freudig zu folgen. Aber freilich nur auf diesen beiden Gebieten; in dem Teil der Reichsangelegenheiten dagegen, wo mit dem Reichstag zu rechnen ist, und auch in preußischen Landessachen verbreitete sich mehr und mehr das Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit. Jetzt ist die zornige Volksstimmung wieder da, die Graf Caprivi so schwer zu fühlen bekommen hat, und hat nur die Stelle gewechselt; Fürst Hohenlohe hat seine einst sehr große Volkstümlichkeit verloren, er ist fast ebenso unpopulär, wie es sein Vorgänger zuletzt war. Man kann hinzufügen, seine eigne Mitschuld daran sei geringer, weil sich vieles lange und ohne sein Zuthun oder Hin¬ gehenlassen vorbereitet hat; man wird aber doch zugeben müssen, daß seiner großen Klugheit und Menschenkenntnis kein gleiches Maß von Kraft und Ge¬ mütswärme entspricht, und daß es ihm namentlich an Initiative fehlt, daß er die Dinge gar zu sehr an sich herankommen läßt. Die Mischung von Geistes- und Charaktereigenschaften, die ihm seinen Platz als Staatsmann zuweist, ist überhaupt mehr auf Zeiten berechnet, die eine behutsame Lenkung mit starkem Bremsen empfehlen, als auf solche, die entschlossenes und schnelles Vorwärtskommen erfordern. Er scheint deshalb der Ergänzung zu bedürfen, auch darin, daß ihn die Geschäfte des Innern nach seiner ganzen staatsmän¬ nischen Vergangenheit erst in zweiter Reihe interessiren. Dagegen ist er nichts weniger als ein „müder Greis," er kann noch manchen seiner politischen Toten¬ gräber überdauern, und daß er mehr für sich reden läßt als selbst redet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/168>, abgerufen am 29.06.2024.