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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

schadet, wie die Dinge stehen, sehr wenig, schließt aber herabsetzende Vergleiche
aus. In einem ist Fürst Hohenlohe jedenfalls Meister, in kühler Selbst¬
bescheidung, und das ist eine sehr staatsmünnische Tugend.

Dadurch, daß Herr von Miquel aus seiner bisherigen Zurückhaltung in
den Vordergrund getreten ist, ist die staatsmännische Ergänzung Fürst Hohen-
lohes eingeleitet worden. Das dauernde Zusammenwirken beider Männer ist wohl
kaum dadurch gefährdet, daß sie etwa daran dächten, einander zu überflügeln, denn
der erste und der zweite Minister haben mehr Takt als ein Teil ihres Ge¬
folges, und beiden ist genügender Raum gegeben, sich zu bethätigen. Aber
trotzdem ist die Lage prekär, aus einer ganzen Reihe von Ursachen, von denen
hier zwei zu erwähnen sind. Zunächst fragt es sich, ob es gelingen wird, die
Ausblicke, die Herr von Miquel eröffnet hat, zu einem festen Negierungs-
programm zu gestalten, rechtzeitig, vor dem Zusammentreten des Reichstags,
oder ob man sich wieder, wie bei der Militärprozeßordnung und in der Frage
des Vereinsrechts, das Kampffeld von der Opposition bestimmen lassen wird.
Sodann ist zwar Fürst Hohenlohe durchaus rüstig, steht aber doch in sehr
hohen Jahren, und auch Herr von Miquel ist ein bejahrter Mann. Unter
allen Umstanden liegt die Möglichkeit, daß das eingeleitete Zusammenwirken
plötzlich abgebrochen werde, so nahe, daß man damit rechnen muß. Kommt
es zur Erledigung der Reichskanzlerstelle, so werden für die Besetzung, wie
bestimmt anzunehmen ist, nicht bloß hochgestellte Diplomaten in Betracht
kommen, es mag sogar eine Nachfolge "aus Züchtung des innern Dienstes,"
wie sich einmal Fürst Bismarck in scherzhafter Form ausgedrückt hat, das
Wahrscheinlichere sein. Diese Lösung wird auf vielen Seiten erwartet, sie liegt
in der Luft.

Sich mit den darüber umlaufenden Gerüchten, mit solchen Personenfragen
überhaupt zu beschäftigen, ist teils zwecklos, teils unzulässig, der Verfasser
würde auch dadurch den festen Boden verlassen, auf dem er sich durchaus ge¬
halten hat. Wohl aber sind im Hinblick auf die augenblickliche Lage die Er¬
gebnisse der bisherigen Erörterung zusammenzufassen und noch weitere Erörte¬
rungen anzuknüpfen. Wenn dabei Personen genannt und beurteilt werden, so
dient das, wie im bisherigen, nur dazu, die Sache zu veranschaulichen.

(Schluß folgt)




Grenzboten IV 139721
Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

schadet, wie die Dinge stehen, sehr wenig, schließt aber herabsetzende Vergleiche
aus. In einem ist Fürst Hohenlohe jedenfalls Meister, in kühler Selbst¬
bescheidung, und das ist eine sehr staatsmünnische Tugend.

Dadurch, daß Herr von Miquel aus seiner bisherigen Zurückhaltung in
den Vordergrund getreten ist, ist die staatsmännische Ergänzung Fürst Hohen-
lohes eingeleitet worden. Das dauernde Zusammenwirken beider Männer ist wohl
kaum dadurch gefährdet, daß sie etwa daran dächten, einander zu überflügeln, denn
der erste und der zweite Minister haben mehr Takt als ein Teil ihres Ge¬
folges, und beiden ist genügender Raum gegeben, sich zu bethätigen. Aber
trotzdem ist die Lage prekär, aus einer ganzen Reihe von Ursachen, von denen
hier zwei zu erwähnen sind. Zunächst fragt es sich, ob es gelingen wird, die
Ausblicke, die Herr von Miquel eröffnet hat, zu einem festen Negierungs-
programm zu gestalten, rechtzeitig, vor dem Zusammentreten des Reichstags,
oder ob man sich wieder, wie bei der Militärprozeßordnung und in der Frage
des Vereinsrechts, das Kampffeld von der Opposition bestimmen lassen wird.
Sodann ist zwar Fürst Hohenlohe durchaus rüstig, steht aber doch in sehr
hohen Jahren, und auch Herr von Miquel ist ein bejahrter Mann. Unter
allen Umstanden liegt die Möglichkeit, daß das eingeleitete Zusammenwirken
plötzlich abgebrochen werde, so nahe, daß man damit rechnen muß. Kommt
es zur Erledigung der Reichskanzlerstelle, so werden für die Besetzung, wie
bestimmt anzunehmen ist, nicht bloß hochgestellte Diplomaten in Betracht
kommen, es mag sogar eine Nachfolge „aus Züchtung des innern Dienstes,"
wie sich einmal Fürst Bismarck in scherzhafter Form ausgedrückt hat, das
Wahrscheinlichere sein. Diese Lösung wird auf vielen Seiten erwartet, sie liegt
in der Luft.

Sich mit den darüber umlaufenden Gerüchten, mit solchen Personenfragen
überhaupt zu beschäftigen, ist teils zwecklos, teils unzulässig, der Verfasser
würde auch dadurch den festen Boden verlassen, auf dem er sich durchaus ge¬
halten hat. Wohl aber sind im Hinblick auf die augenblickliche Lage die Er¬
gebnisse der bisherigen Erörterung zusammenzufassen und noch weitere Erörte¬
rungen anzuknüpfen. Wenn dabei Personen genannt und beurteilt werden, so
dient das, wie im bisherigen, nur dazu, die Sache zu veranschaulichen.

(Schluß folgt)




Grenzboten IV 139721
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[0169] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium schadet, wie die Dinge stehen, sehr wenig, schließt aber herabsetzende Vergleiche aus. In einem ist Fürst Hohenlohe jedenfalls Meister, in kühler Selbst¬ bescheidung, und das ist eine sehr staatsmünnische Tugend. Dadurch, daß Herr von Miquel aus seiner bisherigen Zurückhaltung in den Vordergrund getreten ist, ist die staatsmännische Ergänzung Fürst Hohen- lohes eingeleitet worden. Das dauernde Zusammenwirken beider Männer ist wohl kaum dadurch gefährdet, daß sie etwa daran dächten, einander zu überflügeln, denn der erste und der zweite Minister haben mehr Takt als ein Teil ihres Ge¬ folges, und beiden ist genügender Raum gegeben, sich zu bethätigen. Aber trotzdem ist die Lage prekär, aus einer ganzen Reihe von Ursachen, von denen hier zwei zu erwähnen sind. Zunächst fragt es sich, ob es gelingen wird, die Ausblicke, die Herr von Miquel eröffnet hat, zu einem festen Negierungs- programm zu gestalten, rechtzeitig, vor dem Zusammentreten des Reichstags, oder ob man sich wieder, wie bei der Militärprozeßordnung und in der Frage des Vereinsrechts, das Kampffeld von der Opposition bestimmen lassen wird. Sodann ist zwar Fürst Hohenlohe durchaus rüstig, steht aber doch in sehr hohen Jahren, und auch Herr von Miquel ist ein bejahrter Mann. Unter allen Umstanden liegt die Möglichkeit, daß das eingeleitete Zusammenwirken plötzlich abgebrochen werde, so nahe, daß man damit rechnen muß. Kommt es zur Erledigung der Reichskanzlerstelle, so werden für die Besetzung, wie bestimmt anzunehmen ist, nicht bloß hochgestellte Diplomaten in Betracht kommen, es mag sogar eine Nachfolge „aus Züchtung des innern Dienstes," wie sich einmal Fürst Bismarck in scherzhafter Form ausgedrückt hat, das Wahrscheinlichere sein. Diese Lösung wird auf vielen Seiten erwartet, sie liegt in der Luft. Sich mit den darüber umlaufenden Gerüchten, mit solchen Personenfragen überhaupt zu beschäftigen, ist teils zwecklos, teils unzulässig, der Verfasser würde auch dadurch den festen Boden verlassen, auf dem er sich durchaus ge¬ halten hat. Wohl aber sind im Hinblick auf die augenblickliche Lage die Er¬ gebnisse der bisherigen Erörterung zusammenzufassen und noch weitere Erörte¬ rungen anzuknüpfen. Wenn dabei Personen genannt und beurteilt werden, so dient das, wie im bisherigen, nur dazu, die Sache zu veranschaulichen. (Schluß folgt) Grenzboten IV 139721

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/169>, abgerufen am 29.06.2024.