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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

halte, daß auswärtige Angelegenheiten in Deutschland nie andre sein sollten,
wie solche jenseits der deutschen Grenzen." Er wollte es lieber "Ministerium
für die Reichsangelegenheiten" oder "für die deutschen Angelegenheiten" genannt
wissen; die Benennung "Ministerium für die Bundesnngelegenheiten" würde
wohl ebenso bezeichnend sein, aber von vornherein preußische und außer¬
preußische Empfindlichkeiten, die Fürst Bismarck gefürchtet zu haben scheint,
beschwichtigt haben. 1890 waren solche Empfindlichkeiten übrigens kaum mehr
zu befürchten, und jede der drei Benennungen würde dazu beigetragen haben,
die "reinliche" Scheidung der öffentlichen Meinung zu empfehlen.

Die äußern Verhältnisse waren also der Neuerung günstig, ihre von ver¬
nünftiger Selbstbegrenzung geforderte Durchführung aber war ganz in Graf
Caprivis Hand gegeben, denn für den Vorschlag an entscheidender Stelle stand
ihm der durchschlagende Grund zu Gebote, daß seine Arbeitskraft menschlich
begrenzt sei. Er hatte ja als Chef der Admiralität das Terrain im Bundesrat
und im Reichstag einigermaßen kennen lernen, aber nunmehr handelte es sich
darum, dieses Terrain zu beherrschen und auch in den Reichsämtern, die er
noch nicht kannte, Einsicht und Übersicht zu gewinnen. Dcizn kamen noch in
Preußen das Ressort und das Ministerpräsidium, die schwierigsten und ver¬
antwortlichsten Geschäfte, ihm nach Inhalt und Form gleich fremd. Das
alles verlangte zur Einarbeitung ein Maß vou Anstrengung, vor dem die
meisten zurückgeschreckt wären; dieses Arbeitspensum jedoch mußte er bewältigen,
wollte er sein Amt nur verwalten, geschweige denn ausfüllen. Dagegen noch
mehr auf sich zu nehmen, sich auch noch in den diplomatischen Dienst mit
seinen zahllosen sachlichen und persönlichen Einzelheiten zu vertiefen, das konnte
er mit Erfolg ablehnen. Dazu riet sowohl sein eignes Interesse wie das
seines Amts. Er konnte dann, von der Überlast befreit, doch einmal fertig
werden und mit freiem Blick an die eigentliche Aufgabe der Leitung heran¬
treten. Er rückte dadurch auch mehr aus der Schußlinie der Kritik heraus,
und das war kein bloß persönlicher Gewinn. Er hatte ja die Nachfolge
weniger aus Ehrgeiz als aus militärischem Gehorsam übernommen, das wußte
man in allen politischen Kreisen und dachte auch nicht daran, vom Nachfolger
so viel zu fordern, wie man es vom Vorgänger gewöhnt gewesen war. In
dem Gebiet der innern Politik ist dem zweiten Kanzler diese resignirte Stim¬
mung in der That bis zuletzt treu geblieben, aber in dem der auswärtigen
schlug sie um, sobald als er auch darin als vollberechtigter Erbe auftrat.
Das machte auf die Vvlksempfiudung, innerhalb und außerhalb des Parlaments
und der Presse, den Eindruck der Vermessenheit, zumal dann, als er die Wege
seines Vorgängers verließ und durchkreuzte. Hiergegen half ihm keine Be¬
wunderung feiner außerordentlichen Arbeitskraft, keine Anerkennung seiner
Schlagfertigkeit und Redegewandtheit; das große Talent wurde von der Nach¬
wirkung, von dem Schatten des Genius erdrückt.


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

halte, daß auswärtige Angelegenheiten in Deutschland nie andre sein sollten,
wie solche jenseits der deutschen Grenzen." Er wollte es lieber „Ministerium
für die Reichsangelegenheiten" oder „für die deutschen Angelegenheiten" genannt
wissen; die Benennung „Ministerium für die Bundesnngelegenheiten" würde
wohl ebenso bezeichnend sein, aber von vornherein preußische und außer¬
preußische Empfindlichkeiten, die Fürst Bismarck gefürchtet zu haben scheint,
beschwichtigt haben. 1890 waren solche Empfindlichkeiten übrigens kaum mehr
zu befürchten, und jede der drei Benennungen würde dazu beigetragen haben,
die „reinliche" Scheidung der öffentlichen Meinung zu empfehlen.

Die äußern Verhältnisse waren also der Neuerung günstig, ihre von ver¬
nünftiger Selbstbegrenzung geforderte Durchführung aber war ganz in Graf
Caprivis Hand gegeben, denn für den Vorschlag an entscheidender Stelle stand
ihm der durchschlagende Grund zu Gebote, daß seine Arbeitskraft menschlich
begrenzt sei. Er hatte ja als Chef der Admiralität das Terrain im Bundesrat
und im Reichstag einigermaßen kennen lernen, aber nunmehr handelte es sich
darum, dieses Terrain zu beherrschen und auch in den Reichsämtern, die er
noch nicht kannte, Einsicht und Übersicht zu gewinnen. Dcizn kamen noch in
Preußen das Ressort und das Ministerpräsidium, die schwierigsten und ver¬
antwortlichsten Geschäfte, ihm nach Inhalt und Form gleich fremd. Das
alles verlangte zur Einarbeitung ein Maß vou Anstrengung, vor dem die
meisten zurückgeschreckt wären; dieses Arbeitspensum jedoch mußte er bewältigen,
wollte er sein Amt nur verwalten, geschweige denn ausfüllen. Dagegen noch
mehr auf sich zu nehmen, sich auch noch in den diplomatischen Dienst mit
seinen zahllosen sachlichen und persönlichen Einzelheiten zu vertiefen, das konnte
er mit Erfolg ablehnen. Dazu riet sowohl sein eignes Interesse wie das
seines Amts. Er konnte dann, von der Überlast befreit, doch einmal fertig
werden und mit freiem Blick an die eigentliche Aufgabe der Leitung heran¬
treten. Er rückte dadurch auch mehr aus der Schußlinie der Kritik heraus,
und das war kein bloß persönlicher Gewinn. Er hatte ja die Nachfolge
weniger aus Ehrgeiz als aus militärischem Gehorsam übernommen, das wußte
man in allen politischen Kreisen und dachte auch nicht daran, vom Nachfolger
so viel zu fordern, wie man es vom Vorgänger gewöhnt gewesen war. In
dem Gebiet der innern Politik ist dem zweiten Kanzler diese resignirte Stim¬
mung in der That bis zuletzt treu geblieben, aber in dem der auswärtigen
schlug sie um, sobald als er auch darin als vollberechtigter Erbe auftrat.
Das machte auf die Vvlksempfiudung, innerhalb und außerhalb des Parlaments
und der Presse, den Eindruck der Vermessenheit, zumal dann, als er die Wege
seines Vorgängers verließ und durchkreuzte. Hiergegen half ihm keine Be¬
wunderung feiner außerordentlichen Arbeitskraft, keine Anerkennung seiner
Schlagfertigkeit und Redegewandtheit; das große Talent wurde von der Nach¬
wirkung, von dem Schatten des Genius erdrückt.


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[0167] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium halte, daß auswärtige Angelegenheiten in Deutschland nie andre sein sollten, wie solche jenseits der deutschen Grenzen." Er wollte es lieber „Ministerium für die Reichsangelegenheiten" oder „für die deutschen Angelegenheiten" genannt wissen; die Benennung „Ministerium für die Bundesnngelegenheiten" würde wohl ebenso bezeichnend sein, aber von vornherein preußische und außer¬ preußische Empfindlichkeiten, die Fürst Bismarck gefürchtet zu haben scheint, beschwichtigt haben. 1890 waren solche Empfindlichkeiten übrigens kaum mehr zu befürchten, und jede der drei Benennungen würde dazu beigetragen haben, die „reinliche" Scheidung der öffentlichen Meinung zu empfehlen. Die äußern Verhältnisse waren also der Neuerung günstig, ihre von ver¬ nünftiger Selbstbegrenzung geforderte Durchführung aber war ganz in Graf Caprivis Hand gegeben, denn für den Vorschlag an entscheidender Stelle stand ihm der durchschlagende Grund zu Gebote, daß seine Arbeitskraft menschlich begrenzt sei. Er hatte ja als Chef der Admiralität das Terrain im Bundesrat und im Reichstag einigermaßen kennen lernen, aber nunmehr handelte es sich darum, dieses Terrain zu beherrschen und auch in den Reichsämtern, die er noch nicht kannte, Einsicht und Übersicht zu gewinnen. Dcizn kamen noch in Preußen das Ressort und das Ministerpräsidium, die schwierigsten und ver¬ antwortlichsten Geschäfte, ihm nach Inhalt und Form gleich fremd. Das alles verlangte zur Einarbeitung ein Maß vou Anstrengung, vor dem die meisten zurückgeschreckt wären; dieses Arbeitspensum jedoch mußte er bewältigen, wollte er sein Amt nur verwalten, geschweige denn ausfüllen. Dagegen noch mehr auf sich zu nehmen, sich auch noch in den diplomatischen Dienst mit seinen zahllosen sachlichen und persönlichen Einzelheiten zu vertiefen, das konnte er mit Erfolg ablehnen. Dazu riet sowohl sein eignes Interesse wie das seines Amts. Er konnte dann, von der Überlast befreit, doch einmal fertig werden und mit freiem Blick an die eigentliche Aufgabe der Leitung heran¬ treten. Er rückte dadurch auch mehr aus der Schußlinie der Kritik heraus, und das war kein bloß persönlicher Gewinn. Er hatte ja die Nachfolge weniger aus Ehrgeiz als aus militärischem Gehorsam übernommen, das wußte man in allen politischen Kreisen und dachte auch nicht daran, vom Nachfolger so viel zu fordern, wie man es vom Vorgänger gewöhnt gewesen war. In dem Gebiet der innern Politik ist dem zweiten Kanzler diese resignirte Stim¬ mung in der That bis zuletzt treu geblieben, aber in dem der auswärtigen schlug sie um, sobald als er auch darin als vollberechtigter Erbe auftrat. Das machte auf die Vvlksempfiudung, innerhalb und außerhalb des Parlaments und der Presse, den Eindruck der Vermessenheit, zumal dann, als er die Wege seines Vorgängers verließ und durchkreuzte. Hiergegen half ihm keine Be¬ wunderung feiner außerordentlichen Arbeitskraft, keine Anerkennung seiner Schlagfertigkeit und Redegewandtheit; das große Talent wurde von der Nach¬ wirkung, von dem Schatten des Genius erdrückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/167>, abgerufen am 28.09.2024.