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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aornpreise und Industrie

lich wieder verbilligen, indem man den Lohn des armen Mcinnes in der Industrie
erhöht, oder auch indem man Mutterei und Bäckerei in den Stand setzt,
billiger zu arbeiten als bisher, oder auch indem man zugleich Brottaxen und
Mehltaxen einführt. Aber man sucht lieber dem Landmann den Hals zu¬
zuschnüren, damit -- der Fabrikarbeiter nicht schreie; dieses Schreien könnte
dem Fabrikherrn den Pfennig Lohnerhöhung kosten, um den das Brot ge¬
stiegen ist.

Auf welcher Seite ist da der krasse Eigennutz, die verwerfliche Sucht, sich
zu bereichern? Was ist da der "arme Mann" anders als der Tölpel, hinter
dem man sich verstecken will? Der Tölpel läßt sich leicht genug gegen das
"Junkertum" oder gelegentlich auch gegen die Negierung verwenden. Eben
sehen wir das in Paris, wo die Brotpreise seit Mitte August plötzlich und
schnell gestiegen sind. Sie waren seit Jahren niedrig, der industrielle Brodherr
hatte sich darnach eingerichtet mit seinen Löhnen, und der Arbeiter auch. Aber
der Landmann verdarb dabei, und die Regierung setzte deshalb hohe Kornzölle
durch. Kaum sind sie eingeführt, so kommt ein Mißjahr, und die Kornpreise
steigen im Auslande und dann auch im Inlande. Nun soll dem Landmann
seine Entschädigung werden. Aber das ist nicht die Meinung derer, die voraus¬
sehen, daß uun mit den Brotprcisen auch die Arbeitslöhne steigen, und sie
diese Erhöhung bezahlen müssen. "Fort mit den Kornzöllen!" heißt es vor
allem, und gegen diese, gegen die Regierung wird der Tölpel gehetzt. Dabei
übernimmt wieder der Handel, der durch die Kornzölle große Verluste erlitten
hatte, die Führung; denn ihm winkt zu allererst der Gewinn von der Auf-
hebung der Kornzölle. Je weniger im Inlande erzeugt wird, um so größer
die Einfuhr von außen, je billiger das fremde Korn, um so leichter die Ein¬
fuhr, die Konkurrenz mit dem inländischen Erzeuger. Der Handel mit fremdem
Korn hat eben ein deutliches und unmittelbares Interesse daran, daß im Inlande
möglichst wenig Getreide erzeugt werde, er ist der natürliche Feind des hei¬
mischen Kornbaues. Hinter ihm aber steht, zwar nicht notwendig oder be¬
dingungslos, aber doch leicht durch die Not des Augenblicks bedrängt, die
Industrie. Es ist so einfach: kommt der Tölpel daher und fordert höhern
Lohn bei dem teuern Brot, dann sagt man ihm, an dem teuern Brot seien
Gutsbesitzer und Regierung mit ihren Kvrnzöllen schuld, gegen die möge er
vorgehen. Denn wie könne der Fabrikherr, die Aktiengesellschaft höhern Lohn
zahlen bei den schlechten Preisen für die Fabrikate? Sie müßten zu Grunde
gehen, wenn sie das thäten, und der Arbeiter werde dann mit ruinirt sein.
Das leuchtet dem Tölpel ein, und er läßt sich vorwärts schieben, bis der
Staat für gefährdet erklärt und der Kornzoll abgeschafft wird. Die Negierung
einschüchtern, den Staat bedrohen, das bringt ja der Landmann mit seinen
Ackerknechten nicht so leicht fertig.

Die Führung in diesem Kampfe um die Kornpreise hat bei uns und


Aornpreise und Industrie

lich wieder verbilligen, indem man den Lohn des armen Mcinnes in der Industrie
erhöht, oder auch indem man Mutterei und Bäckerei in den Stand setzt,
billiger zu arbeiten als bisher, oder auch indem man zugleich Brottaxen und
Mehltaxen einführt. Aber man sucht lieber dem Landmann den Hals zu¬
zuschnüren, damit — der Fabrikarbeiter nicht schreie; dieses Schreien könnte
dem Fabrikherrn den Pfennig Lohnerhöhung kosten, um den das Brot ge¬
stiegen ist.

Auf welcher Seite ist da der krasse Eigennutz, die verwerfliche Sucht, sich
zu bereichern? Was ist da der „arme Mann" anders als der Tölpel, hinter
dem man sich verstecken will? Der Tölpel läßt sich leicht genug gegen das
„Junkertum" oder gelegentlich auch gegen die Negierung verwenden. Eben
sehen wir das in Paris, wo die Brotpreise seit Mitte August plötzlich und
schnell gestiegen sind. Sie waren seit Jahren niedrig, der industrielle Brodherr
hatte sich darnach eingerichtet mit seinen Löhnen, und der Arbeiter auch. Aber
der Landmann verdarb dabei, und die Regierung setzte deshalb hohe Kornzölle
durch. Kaum sind sie eingeführt, so kommt ein Mißjahr, und die Kornpreise
steigen im Auslande und dann auch im Inlande. Nun soll dem Landmann
seine Entschädigung werden. Aber das ist nicht die Meinung derer, die voraus¬
sehen, daß uun mit den Brotprcisen auch die Arbeitslöhne steigen, und sie
diese Erhöhung bezahlen müssen. „Fort mit den Kornzöllen!" heißt es vor
allem, und gegen diese, gegen die Regierung wird der Tölpel gehetzt. Dabei
übernimmt wieder der Handel, der durch die Kornzölle große Verluste erlitten
hatte, die Führung; denn ihm winkt zu allererst der Gewinn von der Auf-
hebung der Kornzölle. Je weniger im Inlande erzeugt wird, um so größer
die Einfuhr von außen, je billiger das fremde Korn, um so leichter die Ein¬
fuhr, die Konkurrenz mit dem inländischen Erzeuger. Der Handel mit fremdem
Korn hat eben ein deutliches und unmittelbares Interesse daran, daß im Inlande
möglichst wenig Getreide erzeugt werde, er ist der natürliche Feind des hei¬
mischen Kornbaues. Hinter ihm aber steht, zwar nicht notwendig oder be¬
dingungslos, aber doch leicht durch die Not des Augenblicks bedrängt, die
Industrie. Es ist so einfach: kommt der Tölpel daher und fordert höhern
Lohn bei dem teuern Brot, dann sagt man ihm, an dem teuern Brot seien
Gutsbesitzer und Regierung mit ihren Kvrnzöllen schuld, gegen die möge er
vorgehen. Denn wie könne der Fabrikherr, die Aktiengesellschaft höhern Lohn
zahlen bei den schlechten Preisen für die Fabrikate? Sie müßten zu Grunde
gehen, wenn sie das thäten, und der Arbeiter werde dann mit ruinirt sein.
Das leuchtet dem Tölpel ein, und er läßt sich vorwärts schieben, bis der
Staat für gefährdet erklärt und der Kornzoll abgeschafft wird. Die Negierung
einschüchtern, den Staat bedrohen, das bringt ja der Landmann mit seinen
Ackerknechten nicht so leicht fertig.

Die Führung in diesem Kampfe um die Kornpreise hat bei uns und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/15>, abgerufen am 22.07.2024.