Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kornpreise und Industrie

Brot und Vrotkorn haben für das Volksleben ohne Zweifel eine andre
Bedeutung als Streichhölzer, Uhren oder auch Eisenbahnen. Sie sind das
erste, wichtigste Lebensbedürfnis des Volkes; der Staat hat dafür zu sorgen, daß
sie dem Volke niemals fehlen, und daß sie jedermann zugänglich seien. Schon
dieser Umstand deutet auf eine bevorzugte Stellung hin, die dem Erzeuger
dieses notwendigsten Lebensmittcls im Volksleben gebührt. Aber auch abge¬
sehen davon ist der Ackerbau ein Gewerbe wie ein andres und hat Anspruch
darauf, für seine Interessen gleichen Schutz wie die andern zu genießen. Nun
spricht man immer von dem Streben nach Brotvertcuerung durch den Acker¬
bauer, während es sich doch nur um bessere Verwertung, bessere Preise für
das Korn handelt. Das Korn ist für den Ackerbauer ebenso Erzeugnis seiner
Arbeit, gefertigte Ware, wie die Eisenstange für den Hüttenbesitzer, das Garn
für den Spinner. Hat man jemals vom Hüttenbesitzer verlangt, daß er auf
Erhöhung der Eisenpreisc durch staatliche Maßnahme" aus Rücksicht auf den
armen Mann verzichte, dessen Gabel, Spaten, Kochkessel dadurch verteuert
werde? Hat man es je dem Spinner zum Attentat auf das Volkswohl und
Volksrecht angerechnet, daß er den Preis seines Garns durch Schutzzölle zu
erhöhen strebte? Und doch bedarf der arme und der reiche Mann fast gleich
sehr des Rockes und des Kochkessels wie des Brotes. Hat der Landmann eine
moralische Verpflichtung mehr als andre Gewerbtreibende, für das Wohl des
Volkes zu sorgen? Ist der Charakter seiner Ware, im privaten Sinne, ein andrer
als der andrer Gewerbtreibenden? Wenn Korn in der That für das Volksleben
einen andern Charakter hat als Eisen und Baumwolle, so hat es ihn doch nur
von dem Gesichtspunkte der Volkswirtschaft, des Staates, aber nicht von dem des
Erzeugers, des Ackerbauers. Dieser denkt gar nicht daran, wie das Brot, in das
sich sein Korn verwandeln soll, in den Mund des Essers gelangen wird, und
soll nicht daran denken. Er sucht die Frucht seiner Arbeit so lohnend als
möglich zu verwerten und soll darnach suchen. Man führt Eisenzölle und
Textilzölle und Zölle zum Schutz von Erzeugnissen ein, die kaum entbehrlicher
sind als Brot, ohne die der arme Mann nicht oder kaum menschlich leben
kann, und verliert kein Wort über die Verteuerung: der Kornzoll aber ruft die
ganze Pharisüerentrüstung gegen Junker und Großbesitzer hervor, die sich un¬
erlaubter-, schändlicherwcise auf fremde Kosten bereichern wollen. Wo ist da
eine Gerechtigkeit? Auch wenn die Kornzölle das Brot verteuert hätten, was
sie nicht gethan haben, auch wenn Maßregeln wirksamerer Art demnächst er¬
griffen würden, um die Kornpreise auf einer gewissen Höhe zu halten, man
wende sich doch mit seinem Zorn an die rechte Adresse. Dem Landmann
geschähe nur sein Recht, wenn man sein Gewerbe vor übermäßiger Konkurrenz
schützte wie andre Gewerbe; ihm geschähe nur sein Recht, wenn man es weit
stärker als andre Gewerbe stützte, eben weil es das wichtigste Gewerbe ist.
Wird dadurch das Brot künstlich verteuert, nun so mag man es doch kunst-


Kornpreise und Industrie

Brot und Vrotkorn haben für das Volksleben ohne Zweifel eine andre
Bedeutung als Streichhölzer, Uhren oder auch Eisenbahnen. Sie sind das
erste, wichtigste Lebensbedürfnis des Volkes; der Staat hat dafür zu sorgen, daß
sie dem Volke niemals fehlen, und daß sie jedermann zugänglich seien. Schon
dieser Umstand deutet auf eine bevorzugte Stellung hin, die dem Erzeuger
dieses notwendigsten Lebensmittcls im Volksleben gebührt. Aber auch abge¬
sehen davon ist der Ackerbau ein Gewerbe wie ein andres und hat Anspruch
darauf, für seine Interessen gleichen Schutz wie die andern zu genießen. Nun
spricht man immer von dem Streben nach Brotvertcuerung durch den Acker¬
bauer, während es sich doch nur um bessere Verwertung, bessere Preise für
das Korn handelt. Das Korn ist für den Ackerbauer ebenso Erzeugnis seiner
Arbeit, gefertigte Ware, wie die Eisenstange für den Hüttenbesitzer, das Garn
für den Spinner. Hat man jemals vom Hüttenbesitzer verlangt, daß er auf
Erhöhung der Eisenpreisc durch staatliche Maßnahme» aus Rücksicht auf den
armen Mann verzichte, dessen Gabel, Spaten, Kochkessel dadurch verteuert
werde? Hat man es je dem Spinner zum Attentat auf das Volkswohl und
Volksrecht angerechnet, daß er den Preis seines Garns durch Schutzzölle zu
erhöhen strebte? Und doch bedarf der arme und der reiche Mann fast gleich
sehr des Rockes und des Kochkessels wie des Brotes. Hat der Landmann eine
moralische Verpflichtung mehr als andre Gewerbtreibende, für das Wohl des
Volkes zu sorgen? Ist der Charakter seiner Ware, im privaten Sinne, ein andrer
als der andrer Gewerbtreibenden? Wenn Korn in der That für das Volksleben
einen andern Charakter hat als Eisen und Baumwolle, so hat es ihn doch nur
von dem Gesichtspunkte der Volkswirtschaft, des Staates, aber nicht von dem des
Erzeugers, des Ackerbauers. Dieser denkt gar nicht daran, wie das Brot, in das
sich sein Korn verwandeln soll, in den Mund des Essers gelangen wird, und
soll nicht daran denken. Er sucht die Frucht seiner Arbeit so lohnend als
möglich zu verwerten und soll darnach suchen. Man führt Eisenzölle und
Textilzölle und Zölle zum Schutz von Erzeugnissen ein, die kaum entbehrlicher
sind als Brot, ohne die der arme Mann nicht oder kaum menschlich leben
kann, und verliert kein Wort über die Verteuerung: der Kornzoll aber ruft die
ganze Pharisüerentrüstung gegen Junker und Großbesitzer hervor, die sich un¬
erlaubter-, schändlicherwcise auf fremde Kosten bereichern wollen. Wo ist da
eine Gerechtigkeit? Auch wenn die Kornzölle das Brot verteuert hätten, was
sie nicht gethan haben, auch wenn Maßregeln wirksamerer Art demnächst er¬
griffen würden, um die Kornpreise auf einer gewissen Höhe zu halten, man
wende sich doch mit seinem Zorn an die rechte Adresse. Dem Landmann
geschähe nur sein Recht, wenn man sein Gewerbe vor übermäßiger Konkurrenz
schützte wie andre Gewerbe; ihm geschähe nur sein Recht, wenn man es weit
stärker als andre Gewerbe stützte, eben weil es das wichtigste Gewerbe ist.
Wird dadurch das Brot künstlich verteuert, nun so mag man es doch kunst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226246"/>
          <fw type="header" place="top"> Kornpreise und Industrie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Brot und Vrotkorn haben für das Volksleben ohne Zweifel eine andre<lb/>
Bedeutung als Streichhölzer, Uhren oder auch Eisenbahnen. Sie sind das<lb/>
erste, wichtigste Lebensbedürfnis des Volkes; der Staat hat dafür zu sorgen, daß<lb/>
sie dem Volke niemals fehlen, und daß sie jedermann zugänglich seien. Schon<lb/>
dieser Umstand deutet auf eine bevorzugte Stellung hin, die dem Erzeuger<lb/>
dieses notwendigsten Lebensmittcls im Volksleben gebührt. Aber auch abge¬<lb/>
sehen davon ist der Ackerbau ein Gewerbe wie ein andres und hat Anspruch<lb/>
darauf, für seine Interessen gleichen Schutz wie die andern zu genießen. Nun<lb/>
spricht man immer von dem Streben nach Brotvertcuerung durch den Acker¬<lb/>
bauer, während es sich doch nur um bessere Verwertung, bessere Preise für<lb/>
das Korn handelt. Das Korn ist für den Ackerbauer ebenso Erzeugnis seiner<lb/>
Arbeit, gefertigte Ware, wie die Eisenstange für den Hüttenbesitzer, das Garn<lb/>
für den Spinner. Hat man jemals vom Hüttenbesitzer verlangt, daß er auf<lb/>
Erhöhung der Eisenpreisc durch staatliche Maßnahme» aus Rücksicht auf den<lb/>
armen Mann verzichte, dessen Gabel, Spaten, Kochkessel dadurch verteuert<lb/>
werde? Hat man es je dem Spinner zum Attentat auf das Volkswohl und<lb/>
Volksrecht angerechnet, daß er den Preis seines Garns durch Schutzzölle zu<lb/>
erhöhen strebte? Und doch bedarf der arme und der reiche Mann fast gleich<lb/>
sehr des Rockes und des Kochkessels wie des Brotes. Hat der Landmann eine<lb/>
moralische Verpflichtung mehr als andre Gewerbtreibende, für das Wohl des<lb/>
Volkes zu sorgen? Ist der Charakter seiner Ware, im privaten Sinne, ein andrer<lb/>
als der andrer Gewerbtreibenden? Wenn Korn in der That für das Volksleben<lb/>
einen andern Charakter hat als Eisen und Baumwolle, so hat es ihn doch nur<lb/>
von dem Gesichtspunkte der Volkswirtschaft, des Staates, aber nicht von dem des<lb/>
Erzeugers, des Ackerbauers. Dieser denkt gar nicht daran, wie das Brot, in das<lb/>
sich sein Korn verwandeln soll, in den Mund des Essers gelangen wird, und<lb/>
soll nicht daran denken. Er sucht die Frucht seiner Arbeit so lohnend als<lb/>
möglich zu verwerten und soll darnach suchen. Man führt Eisenzölle und<lb/>
Textilzölle und Zölle zum Schutz von Erzeugnissen ein, die kaum entbehrlicher<lb/>
sind als Brot, ohne die der arme Mann nicht oder kaum menschlich leben<lb/>
kann, und verliert kein Wort über die Verteuerung: der Kornzoll aber ruft die<lb/>
ganze Pharisüerentrüstung gegen Junker und Großbesitzer hervor, die sich un¬<lb/>
erlaubter-, schändlicherwcise auf fremde Kosten bereichern wollen. Wo ist da<lb/>
eine Gerechtigkeit? Auch wenn die Kornzölle das Brot verteuert hätten, was<lb/>
sie nicht gethan haben, auch wenn Maßregeln wirksamerer Art demnächst er¬<lb/>
griffen würden, um die Kornpreise auf einer gewissen Höhe zu halten, man<lb/>
wende sich doch mit seinem Zorn an die rechte Adresse. Dem Landmann<lb/>
geschähe nur sein Recht, wenn man sein Gewerbe vor übermäßiger Konkurrenz<lb/>
schützte wie andre Gewerbe; ihm geschähe nur sein Recht, wenn man es weit<lb/>
stärker als andre Gewerbe stützte, eben weil es das wichtigste Gewerbe ist.<lb/>
Wird dadurch das Brot künstlich verteuert, nun so mag man es doch kunst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Kornpreise und Industrie Brot und Vrotkorn haben für das Volksleben ohne Zweifel eine andre Bedeutung als Streichhölzer, Uhren oder auch Eisenbahnen. Sie sind das erste, wichtigste Lebensbedürfnis des Volkes; der Staat hat dafür zu sorgen, daß sie dem Volke niemals fehlen, und daß sie jedermann zugänglich seien. Schon dieser Umstand deutet auf eine bevorzugte Stellung hin, die dem Erzeuger dieses notwendigsten Lebensmittcls im Volksleben gebührt. Aber auch abge¬ sehen davon ist der Ackerbau ein Gewerbe wie ein andres und hat Anspruch darauf, für seine Interessen gleichen Schutz wie die andern zu genießen. Nun spricht man immer von dem Streben nach Brotvertcuerung durch den Acker¬ bauer, während es sich doch nur um bessere Verwertung, bessere Preise für das Korn handelt. Das Korn ist für den Ackerbauer ebenso Erzeugnis seiner Arbeit, gefertigte Ware, wie die Eisenstange für den Hüttenbesitzer, das Garn für den Spinner. Hat man jemals vom Hüttenbesitzer verlangt, daß er auf Erhöhung der Eisenpreisc durch staatliche Maßnahme» aus Rücksicht auf den armen Mann verzichte, dessen Gabel, Spaten, Kochkessel dadurch verteuert werde? Hat man es je dem Spinner zum Attentat auf das Volkswohl und Volksrecht angerechnet, daß er den Preis seines Garns durch Schutzzölle zu erhöhen strebte? Und doch bedarf der arme und der reiche Mann fast gleich sehr des Rockes und des Kochkessels wie des Brotes. Hat der Landmann eine moralische Verpflichtung mehr als andre Gewerbtreibende, für das Wohl des Volkes zu sorgen? Ist der Charakter seiner Ware, im privaten Sinne, ein andrer als der andrer Gewerbtreibenden? Wenn Korn in der That für das Volksleben einen andern Charakter hat als Eisen und Baumwolle, so hat es ihn doch nur von dem Gesichtspunkte der Volkswirtschaft, des Staates, aber nicht von dem des Erzeugers, des Ackerbauers. Dieser denkt gar nicht daran, wie das Brot, in das sich sein Korn verwandeln soll, in den Mund des Essers gelangen wird, und soll nicht daran denken. Er sucht die Frucht seiner Arbeit so lohnend als möglich zu verwerten und soll darnach suchen. Man führt Eisenzölle und Textilzölle und Zölle zum Schutz von Erzeugnissen ein, die kaum entbehrlicher sind als Brot, ohne die der arme Mann nicht oder kaum menschlich leben kann, und verliert kein Wort über die Verteuerung: der Kornzoll aber ruft die ganze Pharisüerentrüstung gegen Junker und Großbesitzer hervor, die sich un¬ erlaubter-, schändlicherwcise auf fremde Kosten bereichern wollen. Wo ist da eine Gerechtigkeit? Auch wenn die Kornzölle das Brot verteuert hätten, was sie nicht gethan haben, auch wenn Maßregeln wirksamerer Art demnächst er¬ griffen würden, um die Kornpreise auf einer gewissen Höhe zu halten, man wende sich doch mit seinem Zorn an die rechte Adresse. Dem Landmann geschähe nur sein Recht, wenn man sein Gewerbe vor übermäßiger Konkurrenz schützte wie andre Gewerbe; ihm geschähe nur sein Recht, wenn man es weit stärker als andre Gewerbe stützte, eben weil es das wichtigste Gewerbe ist. Wird dadurch das Brot künstlich verteuert, nun so mag man es doch kunst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/14>, abgerufen am 22.07.2024.