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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Uoriipreise und Industrie

verteuern. Nun wird dabei zunächst verschwiegen, daß die Kornpreise aus- und
abgehen können, ohne das; sich die Brotpreise des Bäckers ändern; daß wir
den Weizen in Berlin einmal mit 260 Mark und ein andermal mit 160 die
Tonne notirt sahen, das Weizenbrod des Bäckers aber nur wenig im Preise
schwankte, nur bei steigendem Weizenpreise einschrumpfte, ohne sich bei fallenden
entsprechend zu dehnen. Das gilt freilich weniger für deu Teil der Arbeiter¬
masse, der sein Brot nach Gewicht kauft, aber doch für einen großen Teil der
auf den Bueler angewiesenen Konsumenten.

Das Geschrei über Brvtverteucrung aber hat noch einen andern Übeln
Ncbentvn. Sobald der Ackerbau über zu geringen Preis seiner Brotfrucht
klagt und nach Schutz gegen die fremde Konkurrenz verlangt, erhebt sich auf
der andern Seite ein Geschrei über den Eigennutz des Junkers, der sich auf
Kosten des armen Mannes bereichern wolle. Sein Verlangen wird als ein
Attentat gegen das Recht, sogar gegen die Moral dargestellt: das Volk habe
ein Recht auf möglichst billiges Brot, jede künstliche Verteuerung sei ein Raub,
am armen Manne begangen, ein Verbrechen gegen die Volkswohlfahrt, ein
unsittliches Beginnen. Nun, mau denkt dabei wohl weniger an den armen
Mann als an den Arbeiter, der bei verteuertem Brot geneigt sein könnte,
höhern Lohn zu fordern. Es handelt sich im Grunde nicht so sehr um
billiges Brot, als um billige Arbeit für die Jndustrieherren, um jenen Pfennig,
der aus der Tasche des Jndustrieherru durch die Hand des Arbeiters in die
Tasche des Gutsherrn spazieren könnte. Es, ist einfach Vorteil gegen Vorteil
oder, wenn man will, Eigennutz gegen Eigennutz; und um seinen Eigennutz
zu verdenke", schiebt man den armen Mann vor und redet von Humanität,
Patriotismus u. dergl. Der Landarbeiter empfindet die Verteuerung des
Brotes, soweit er Tagelöhner ist, auch, aber er Streikt nicht; der Fabrikarbeiter
Streikt, wenn es die Umstände gebieten oder erlauben, und fordert den auf das
Brot Verlornen Pfennig von seinem Brodherrn zurück. Deshalb Fluch und
Schande dem Gutsherrn, der durch Hilfe des Staats bessere Preise für seine
Brotfrucht zu erlangen sucht!

Was ist nun dieses Verbrechen des Landmannes? Worin liegt das Un¬
moralische, Volksfeindliche seines Begehrens? Ist denn Brot nicht etwa eine
Ware wie eine andre auch? Und der Landmann macht ja kein Brot, sondern
der Bäcker. Warum hält sich denn der moderne Volksvormuud nicht an
den? Möge er doch die Brvttaxe wieder fordern, die oft recht Wohl an¬
gebracht wäre. Der Bäcker, der Müller kann weit eher als der Ackerbauer
das Brot willkürlich und ohne alle staatliche Hilfe verteuern; möge man
solcher Willkür Schranken ziehen, wenn es nötig wird. Die Willkür des
Bäckers wird nicht für unsittlich gehalten, noch die des Müllers oder Händlers;
nur wenn der Ackerbauer deu Staat zu Hilfe ruft, dann ists schändlicher
junkerlicher Eigennutz.


Uoriipreise und Industrie

verteuern. Nun wird dabei zunächst verschwiegen, daß die Kornpreise aus- und
abgehen können, ohne das; sich die Brotpreise des Bäckers ändern; daß wir
den Weizen in Berlin einmal mit 260 Mark und ein andermal mit 160 die
Tonne notirt sahen, das Weizenbrod des Bäckers aber nur wenig im Preise
schwankte, nur bei steigendem Weizenpreise einschrumpfte, ohne sich bei fallenden
entsprechend zu dehnen. Das gilt freilich weniger für deu Teil der Arbeiter¬
masse, der sein Brot nach Gewicht kauft, aber doch für einen großen Teil der
auf den Bueler angewiesenen Konsumenten.

Das Geschrei über Brvtverteucrung aber hat noch einen andern Übeln
Ncbentvn. Sobald der Ackerbau über zu geringen Preis seiner Brotfrucht
klagt und nach Schutz gegen die fremde Konkurrenz verlangt, erhebt sich auf
der andern Seite ein Geschrei über den Eigennutz des Junkers, der sich auf
Kosten des armen Mannes bereichern wolle. Sein Verlangen wird als ein
Attentat gegen das Recht, sogar gegen die Moral dargestellt: das Volk habe
ein Recht auf möglichst billiges Brot, jede künstliche Verteuerung sei ein Raub,
am armen Manne begangen, ein Verbrechen gegen die Volkswohlfahrt, ein
unsittliches Beginnen. Nun, mau denkt dabei wohl weniger an den armen
Mann als an den Arbeiter, der bei verteuertem Brot geneigt sein könnte,
höhern Lohn zu fordern. Es handelt sich im Grunde nicht so sehr um
billiges Brot, als um billige Arbeit für die Jndustrieherren, um jenen Pfennig,
der aus der Tasche des Jndustrieherru durch die Hand des Arbeiters in die
Tasche des Gutsherrn spazieren könnte. Es, ist einfach Vorteil gegen Vorteil
oder, wenn man will, Eigennutz gegen Eigennutz; und um seinen Eigennutz
zu verdenke», schiebt man den armen Mann vor und redet von Humanität,
Patriotismus u. dergl. Der Landarbeiter empfindet die Verteuerung des
Brotes, soweit er Tagelöhner ist, auch, aber er Streikt nicht; der Fabrikarbeiter
Streikt, wenn es die Umstände gebieten oder erlauben, und fordert den auf das
Brot Verlornen Pfennig von seinem Brodherrn zurück. Deshalb Fluch und
Schande dem Gutsherrn, der durch Hilfe des Staats bessere Preise für seine
Brotfrucht zu erlangen sucht!

Was ist nun dieses Verbrechen des Landmannes? Worin liegt das Un¬
moralische, Volksfeindliche seines Begehrens? Ist denn Brot nicht etwa eine
Ware wie eine andre auch? Und der Landmann macht ja kein Brot, sondern
der Bäcker. Warum hält sich denn der moderne Volksvormuud nicht an
den? Möge er doch die Brvttaxe wieder fordern, die oft recht Wohl an¬
gebracht wäre. Der Bäcker, der Müller kann weit eher als der Ackerbauer
das Brot willkürlich und ohne alle staatliche Hilfe verteuern; möge man
solcher Willkür Schranken ziehen, wenn es nötig wird. Die Willkür des
Bäckers wird nicht für unsittlich gehalten, noch die des Müllers oder Händlers;
nur wenn der Ackerbauer deu Staat zu Hilfe ruft, dann ists schändlicher
junkerlicher Eigennutz.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/13>, abgerufen am 22.07.2024.