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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Kornpreise und Industrie

wären heute wenig oder gar nicht verschuldet, wie viel geringer wäre dort die
Not! Aber das Gelderwerben wird den Bürgerlichen, den Städtern, den Juden
überlassen, und man. kommt mit Schulden heim, wahrend die andern Ver¬
mögen erwarben. Wie kann es anders sein, als daß zuletzt der Major das
väterliche Gut dem Juden verkaufen muß, dem Fabrikherrn, dem Handelsherrn,
der zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Jahre zehn- und zwanzigfach so
viel verdient hat, als der Junker verzehrte? Es könnte Wohl sein, daß die Not
dieser Zeit die ostelbischen Herren lehrte, was der Junker andrer Länder längst
erkannt hat: daß ein Landadel zu Grunde geht, wenn auch mit Ehren, der
im Staatsdienst seinen vornehmsten Beruf sieht; ..daß der Landmann schlecht
beraten ist, der es heute versäumt, seine beste Kraft und Zeit vorzugsweise
erwerbender Arbeit zu widmen. Die Zeit, ist vorüber, wo der Gutsherr die
Bebauung des Ackers daheim dem Bauer überlassen, sich selbst und seine Söhne
für das Vaterland opfern konnte. Hier ist ein Stück Mittelalter, das abzu¬
streifen in der That den ostelbischen Herren mit mehr Recht angeraten werden
könnte als manches andre, was ihnen vorgeworfen wird. Wenn man erwidert,
diese preußische Tradition verleihe dem deutscheu Heere in seinem Offizierkorps
die Kraft, in der seine Überlegenheit über andre Heere wurzele, nun wohl, so
gestehe man sich anch ein, daß, indem der Stand der Großgrundbesitzer dem
Heere diese Kraft giebt, er sich selbst aus freiem Willen dem Staat und dem
Reiche opfert, und man trage dieses Opfer, ohne andre dafür verantwortlich zu
machen. Der ostelbische Junker schaut zu unverwandt rückwärts, und seine
Gegner schauen zu wenig vorwärts.

Die Industrie fordert billige Arbeiter, billiges Brot. Je weiter der
Arbeiter die Löhne steigert, umso mehr wünscht der Arbeitgeber die Preise der
Nahrung herabzusetzen. Der Pfennig, um den das Brot sinkt, ist zugleich der
Pfennig, um den der Brodherr die Lohnerhöhung verringert: die Interessen
von Ackerbauer und Jndnstricherr sind hier einander entgegengesetzt.

Je kleiner der Grundbesitz ist, umso geringer ist die Brvtmenge, die
von dem Morgen des Landes zum Verkauf an den industriellen Arbeiter ge¬
langt. Der Großgrundbesitz hat gegenüber dein Kleinbesitz das stärkere
Interesse an hohen Kornpreisen. Der Großbesitz ist der stärkere Erzeuger von
Handelsloru, der Großbesitz vermag auf gegebner Ackerfläche der Industrie
mehr Brot zu liefern als der Kleinbesitz. Die Ackerfläche ist aber in Deutsch¬
land eine gegebne, sie läßt sich uicht mehr beträchtlich ausdehnen. Je mehr der
Großbesitz verschwinden wird, umso weniger einheimisches Getreide wird der
Industrie zu Gebote stehen, umso mehr werden wir von fremder Einfuhr ab¬
hängen. Das kümmert die Industrie nicht, solange der Handel frei für Ein¬
fuhr sorgt, und andre Lander genügend Korn zum Kaufe bieten. Sobald der
Ackerbau, um sein Korn besser zu verwerten, den freien Handel mit einem
Einfuhrzoll beschränken will, heißt es in der Industrie, er wolle das Brot


Kornpreise und Industrie

wären heute wenig oder gar nicht verschuldet, wie viel geringer wäre dort die
Not! Aber das Gelderwerben wird den Bürgerlichen, den Städtern, den Juden
überlassen, und man. kommt mit Schulden heim, wahrend die andern Ver¬
mögen erwarben. Wie kann es anders sein, als daß zuletzt der Major das
väterliche Gut dem Juden verkaufen muß, dem Fabrikherrn, dem Handelsherrn,
der zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Jahre zehn- und zwanzigfach so
viel verdient hat, als der Junker verzehrte? Es könnte Wohl sein, daß die Not
dieser Zeit die ostelbischen Herren lehrte, was der Junker andrer Länder längst
erkannt hat: daß ein Landadel zu Grunde geht, wenn auch mit Ehren, der
im Staatsdienst seinen vornehmsten Beruf sieht; ..daß der Landmann schlecht
beraten ist, der es heute versäumt, seine beste Kraft und Zeit vorzugsweise
erwerbender Arbeit zu widmen. Die Zeit, ist vorüber, wo der Gutsherr die
Bebauung des Ackers daheim dem Bauer überlassen, sich selbst und seine Söhne
für das Vaterland opfern konnte. Hier ist ein Stück Mittelalter, das abzu¬
streifen in der That den ostelbischen Herren mit mehr Recht angeraten werden
könnte als manches andre, was ihnen vorgeworfen wird. Wenn man erwidert,
diese preußische Tradition verleihe dem deutscheu Heere in seinem Offizierkorps
die Kraft, in der seine Überlegenheit über andre Heere wurzele, nun wohl, so
gestehe man sich anch ein, daß, indem der Stand der Großgrundbesitzer dem
Heere diese Kraft giebt, er sich selbst aus freiem Willen dem Staat und dem
Reiche opfert, und man trage dieses Opfer, ohne andre dafür verantwortlich zu
machen. Der ostelbische Junker schaut zu unverwandt rückwärts, und seine
Gegner schauen zu wenig vorwärts.

Die Industrie fordert billige Arbeiter, billiges Brot. Je weiter der
Arbeiter die Löhne steigert, umso mehr wünscht der Arbeitgeber die Preise der
Nahrung herabzusetzen. Der Pfennig, um den das Brot sinkt, ist zugleich der
Pfennig, um den der Brodherr die Lohnerhöhung verringert: die Interessen
von Ackerbauer und Jndnstricherr sind hier einander entgegengesetzt.

Je kleiner der Grundbesitz ist, umso geringer ist die Brvtmenge, die
von dem Morgen des Landes zum Verkauf an den industriellen Arbeiter ge¬
langt. Der Großgrundbesitz hat gegenüber dein Kleinbesitz das stärkere
Interesse an hohen Kornpreisen. Der Großbesitz ist der stärkere Erzeuger von
Handelsloru, der Großbesitz vermag auf gegebner Ackerfläche der Industrie
mehr Brot zu liefern als der Kleinbesitz. Die Ackerfläche ist aber in Deutsch¬
land eine gegebne, sie läßt sich uicht mehr beträchtlich ausdehnen. Je mehr der
Großbesitz verschwinden wird, umso weniger einheimisches Getreide wird der
Industrie zu Gebote stehen, umso mehr werden wir von fremder Einfuhr ab¬
hängen. Das kümmert die Industrie nicht, solange der Handel frei für Ein¬
fuhr sorgt, und andre Lander genügend Korn zum Kaufe bieten. Sobald der
Ackerbau, um sein Korn besser zu verwerten, den freien Handel mit einem
Einfuhrzoll beschränken will, heißt es in der Industrie, er wolle das Brot


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/12>, abgerufen am 22.07.2024.