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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aornpreise und Industrie

nur mit Selbstbeschränkung, mit Kompromissen ein dauernd heilsamer Aus¬
gleich zu erlangen ist.

In jüngerer Zeit ist das "ostelbische" Junkertum zum Sündenbock für
alles ausersehen worden, was der Landmann in diesen Kämpfen an unver¬
ständigen Eigennutz aufgewiesen hat. Die Notlage des Ackerbaus macht sich
natürlich am stärkste" fühlbar in den Landesteilen, die, von der Natur am
meisten auf Körnerbau angewiesen, zugleich den geringsten Absatz in industriellen
Städten haben. Im Osten kann der Gutsbesitzer seine großen Acker nicht in
Weinberge oder Tabakfelder verwandeln, der Bauer nur selteu durch Vieh-
Wirtschaft den Korubciu ersetzen. So leidet der Osten besonders empfindlich
unter Preisen, die bei seiner Hauptfrucht, dem Roggen, im Jahre 1896 bis
auf 107 Mark für die Tonne, d. h. um 100 Prozent gegen frühere Jahre
gefallen sind. Aber wenn der Ostelbier mit gutem Recht nach Hilfe rief,
so fragt es sich doch, ob er sich auch stets an die rechte Stelle wandte,
und ob seine Not nicht in mancher Beziehung durch eigne Schuld verstärkt
wurde. Ist das letzte Mittel der Selbsthilfe erschöpft worden? Hat man ver¬
sucht, sich mit geeinter Kraft von der Alleinherrschaft der Berliner Kornbörse
zu befreien? Sind die Versuche, die man mit genossenschaftlichem Betriebe von
Kornhandel und Molkerei, von Mutterei und Bäckerei unternommen hat, etwa
so unbefriedigend ausgefallen, daß man schon auf Hilfe von solchen Organisationen
verzichten müßte? Hat nicht vielmehr der Ende August in Dresden cibgehciltne
dreizehnte Vcreinstag der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften das
Gegenteil gezeigt? Sollte es unmöglich sein, daß aus der Vergesellschaftung
der landwirtschaftlichen Gewerbe dein Ackerbau eine ähnliche Kraft erwüchse,
wie sie sich Industrie und Kapital in ihren Aktiengesellschaften und Ringen
längst geschafft haben? Ist der Staat nicht willig, auf diesem Boden der
Landwirtschaft mit seinem Geld und seiner Macht Hilfe zu leisten? ,

Hat man ferner ernstlich gesucht, der Überschuldung entgegenzutreten in
der Haushaltung, beim Güterkauf, durch das Bestreben, mit gemeinsamen
Opfern gegen Wucher und Ausbeutung vorzugehen? Hat man angefangen
einzusehen, daß die Heimat des Junkers die väterliche Scholle sein und bleiben
sollte, nicht aber das Kavallerieregiment und die Garnisonstadt? Mag
der Soldatenrock noch so viel Ehre bringen -- er zehrt doch an der Lebens¬
kraft des Landjunkers. Mag der Königsdieust des preußischen Junkers seit
zwei Jahrhunderten noch so große Verdienste um Preußen und Deutschland
gehabt haben: heute ist die Tradition, die jeden preußischen Landjunker in die
Kaserne zwingt, eine Ursache ostelbischer Landnot, die nicht viel weniger ver¬
hängnisvoll ist als die schlechten Kornpreise. Wenn die Mehrzahl der Landjunker,
die die besten Lebensjahre und ihrer Väter Geld im Dienste des Staates verthun,
um endlich als Majore das väterliche Gut widerwillig und verschuldet zu über¬
nehmen, statt dessen irgend einen Erwerb gesucht hätten, wie viele ostelbische Güter


Aornpreise und Industrie

nur mit Selbstbeschränkung, mit Kompromissen ein dauernd heilsamer Aus¬
gleich zu erlangen ist.

In jüngerer Zeit ist das „ostelbische" Junkertum zum Sündenbock für
alles ausersehen worden, was der Landmann in diesen Kämpfen an unver¬
ständigen Eigennutz aufgewiesen hat. Die Notlage des Ackerbaus macht sich
natürlich am stärkste» fühlbar in den Landesteilen, die, von der Natur am
meisten auf Körnerbau angewiesen, zugleich den geringsten Absatz in industriellen
Städten haben. Im Osten kann der Gutsbesitzer seine großen Acker nicht in
Weinberge oder Tabakfelder verwandeln, der Bauer nur selteu durch Vieh-
Wirtschaft den Korubciu ersetzen. So leidet der Osten besonders empfindlich
unter Preisen, die bei seiner Hauptfrucht, dem Roggen, im Jahre 1896 bis
auf 107 Mark für die Tonne, d. h. um 100 Prozent gegen frühere Jahre
gefallen sind. Aber wenn der Ostelbier mit gutem Recht nach Hilfe rief,
so fragt es sich doch, ob er sich auch stets an die rechte Stelle wandte,
und ob seine Not nicht in mancher Beziehung durch eigne Schuld verstärkt
wurde. Ist das letzte Mittel der Selbsthilfe erschöpft worden? Hat man ver¬
sucht, sich mit geeinter Kraft von der Alleinherrschaft der Berliner Kornbörse
zu befreien? Sind die Versuche, die man mit genossenschaftlichem Betriebe von
Kornhandel und Molkerei, von Mutterei und Bäckerei unternommen hat, etwa
so unbefriedigend ausgefallen, daß man schon auf Hilfe von solchen Organisationen
verzichten müßte? Hat nicht vielmehr der Ende August in Dresden cibgehciltne
dreizehnte Vcreinstag der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften das
Gegenteil gezeigt? Sollte es unmöglich sein, daß aus der Vergesellschaftung
der landwirtschaftlichen Gewerbe dein Ackerbau eine ähnliche Kraft erwüchse,
wie sie sich Industrie und Kapital in ihren Aktiengesellschaften und Ringen
längst geschafft haben? Ist der Staat nicht willig, auf diesem Boden der
Landwirtschaft mit seinem Geld und seiner Macht Hilfe zu leisten? ,

Hat man ferner ernstlich gesucht, der Überschuldung entgegenzutreten in
der Haushaltung, beim Güterkauf, durch das Bestreben, mit gemeinsamen
Opfern gegen Wucher und Ausbeutung vorzugehen? Hat man angefangen
einzusehen, daß die Heimat des Junkers die väterliche Scholle sein und bleiben
sollte, nicht aber das Kavallerieregiment und die Garnisonstadt? Mag
der Soldatenrock noch so viel Ehre bringen — er zehrt doch an der Lebens¬
kraft des Landjunkers. Mag der Königsdieust des preußischen Junkers seit
zwei Jahrhunderten noch so große Verdienste um Preußen und Deutschland
gehabt haben: heute ist die Tradition, die jeden preußischen Landjunker in die
Kaserne zwingt, eine Ursache ostelbischer Landnot, die nicht viel weniger ver¬
hängnisvoll ist als die schlechten Kornpreise. Wenn die Mehrzahl der Landjunker,
die die besten Lebensjahre und ihrer Väter Geld im Dienste des Staates verthun,
um endlich als Majore das väterliche Gut widerwillig und verschuldet zu über¬
nehmen, statt dessen irgend einen Erwerb gesucht hätten, wie viele ostelbische Güter


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[0011] Aornpreise und Industrie nur mit Selbstbeschränkung, mit Kompromissen ein dauernd heilsamer Aus¬ gleich zu erlangen ist. In jüngerer Zeit ist das „ostelbische" Junkertum zum Sündenbock für alles ausersehen worden, was der Landmann in diesen Kämpfen an unver¬ ständigen Eigennutz aufgewiesen hat. Die Notlage des Ackerbaus macht sich natürlich am stärkste» fühlbar in den Landesteilen, die, von der Natur am meisten auf Körnerbau angewiesen, zugleich den geringsten Absatz in industriellen Städten haben. Im Osten kann der Gutsbesitzer seine großen Acker nicht in Weinberge oder Tabakfelder verwandeln, der Bauer nur selteu durch Vieh- Wirtschaft den Korubciu ersetzen. So leidet der Osten besonders empfindlich unter Preisen, die bei seiner Hauptfrucht, dem Roggen, im Jahre 1896 bis auf 107 Mark für die Tonne, d. h. um 100 Prozent gegen frühere Jahre gefallen sind. Aber wenn der Ostelbier mit gutem Recht nach Hilfe rief, so fragt es sich doch, ob er sich auch stets an die rechte Stelle wandte, und ob seine Not nicht in mancher Beziehung durch eigne Schuld verstärkt wurde. Ist das letzte Mittel der Selbsthilfe erschöpft worden? Hat man ver¬ sucht, sich mit geeinter Kraft von der Alleinherrschaft der Berliner Kornbörse zu befreien? Sind die Versuche, die man mit genossenschaftlichem Betriebe von Kornhandel und Molkerei, von Mutterei und Bäckerei unternommen hat, etwa so unbefriedigend ausgefallen, daß man schon auf Hilfe von solchen Organisationen verzichten müßte? Hat nicht vielmehr der Ende August in Dresden cibgehciltne dreizehnte Vcreinstag der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften das Gegenteil gezeigt? Sollte es unmöglich sein, daß aus der Vergesellschaftung der landwirtschaftlichen Gewerbe dein Ackerbau eine ähnliche Kraft erwüchse, wie sie sich Industrie und Kapital in ihren Aktiengesellschaften und Ringen längst geschafft haben? Ist der Staat nicht willig, auf diesem Boden der Landwirtschaft mit seinem Geld und seiner Macht Hilfe zu leisten? , Hat man ferner ernstlich gesucht, der Überschuldung entgegenzutreten in der Haushaltung, beim Güterkauf, durch das Bestreben, mit gemeinsamen Opfern gegen Wucher und Ausbeutung vorzugehen? Hat man angefangen einzusehen, daß die Heimat des Junkers die väterliche Scholle sein und bleiben sollte, nicht aber das Kavallerieregiment und die Garnisonstadt? Mag der Soldatenrock noch so viel Ehre bringen — er zehrt doch an der Lebens¬ kraft des Landjunkers. Mag der Königsdieust des preußischen Junkers seit zwei Jahrhunderten noch so große Verdienste um Preußen und Deutschland gehabt haben: heute ist die Tradition, die jeden preußischen Landjunker in die Kaserne zwingt, eine Ursache ostelbischer Landnot, die nicht viel weniger ver¬ hängnisvoll ist als die schlechten Kornpreise. Wenn die Mehrzahl der Landjunker, die die besten Lebensjahre und ihrer Väter Geld im Dienste des Staates verthun, um endlich als Majore das väterliche Gut widerwillig und verschuldet zu über¬ nehmen, statt dessen irgend einen Erwerb gesucht hätten, wie viele ostelbische Güter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/11>, abgerufen am 26.06.2024.