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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

eine Erklärung möglich wäre. Alle diese Theorien leisten weiter nichts, als
daß sie den Knäuel der Geheimnisse auseinanderlegen und "zeigen, welche Er¬
scheinungen alle zu erklären seien, und welche Annahmen man machen mutzte,
wenn man sie erklären wollte." Es ist erstaunlich, wie Weismann seine eignen,
mit einem gewaltigen Aufwand von Arbeit und bewundrungswürdigen Scharfsinn
ermittelten Fragen für Antworten halten kann. Als ob er uns sagte, "durch
welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt." daß seine Determinanten
.stets an der rechten Stelle vorhanden sind" und zur rechten Zeit den ^an
der ihnen befohlnen Zellen leiten! Als ob er uns auch nur im mindesten
begreiflich machen könnte, wie Molekelgruppen, die unterhalb der Grenze der
mikroskopischen Sichtbarkeit liegen, es anfangen, dahin zu gelangen, wohin sie
gehören, die einen ins Innere des Embryos, die andern an das vordere oder
Hintere Ende, auf die rechte oder auf die linke Seite; wie es die eme solche
Molekelgrnppe anfängt, ans vier einfachen Stoffen eine Muskelfaser zu bilden,
und wie die andre Phosphorsäure und Kalk zusammenbringt, um ein mikrosko¬
pisches Stückchen Knochenmasse herzustellen; wie dann tausende solcher Deter¬
minanten einander in die Hände arbeiten, um einen Muskel zu stände zu bringen,
und andre tausende, um°jenes früher erwähnte Hänge- und Sprengewerk der
Knochenmasse aufzubauen, das, nachdem es entdeckt worden ist. die Bewundrung
der Architekten und Mechaniker erregt; wie endlich die Determinanten der
Knochen-, Muskel-, Blut-, Nerven- und Hautzellen sich unter einander ver¬
ständigen, um das wunderbare Gebilde eines Armes, eines Beines zu schaffen,
das dann, wenn es einem wohlgebildeten Menschen angehört, außerdem noch
durch seine Form und Farbe das Entzücken des ästhetisch gebildeten Beschauers
erregt! Sind sie nicht lauter kleine Götter und Demiurgen, diese Determinanten,
und die Biophoren ihre dienstbaren Geister? Darf man ein Wesen nicht Gott
nennen, das vermag, was kein Mensch vermag? Vermag ein Mensch, und
lasse man auch den Menschen erst beim Professor anfangen, eine Zelle aus¬
zubauen? Was haben wir also mit der Ausschaltung Gottes gewonnen?
Statt des einen Herrgotts hat man uns Billionen und Trillionen Herrgötter
beschert, deren jeder ein genau so unbegreifliches Wunder ist wie der Gott
des alten Glaubens. Statt des einen Weltwunders haben wir also Billionen
und Trillionen Wunder bekommen, und dazu das Wunder aller Wunder, daß
alle diese Trillionen. Quadrillionen, Dezillioncn Herrgötter sich von Ewigkeit
unter einander verständigt und hübsch einträchtig zusammengewirkt haben!
Nun nehme man noch dazu das Wunder oder vielmehr die Wunder der Re¬
produktion, die nach Weismann von Ersatzdeterminanten besorgt werden,
sodaß also diese Herrgöttergesellschaften dutzendweise im Salamanderbeine vor¬
handen sind, wo sie sich ganz ruhig Verhalten, wenn sie nicht gebraucht werden,
aber sofort zu bauen anfangen, sobald das Tierchen ein Stück Bein verloren
hat; man nehme das Wunder einer Gesellschaft von Ahnendeterminanten, die


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eine Erklärung möglich wäre. Alle diese Theorien leisten weiter nichts, als
daß sie den Knäuel der Geheimnisse auseinanderlegen und „zeigen, welche Er¬
scheinungen alle zu erklären seien, und welche Annahmen man machen mutzte,
wenn man sie erklären wollte." Es ist erstaunlich, wie Weismann seine eignen,
mit einem gewaltigen Aufwand von Arbeit und bewundrungswürdigen Scharfsinn
ermittelten Fragen für Antworten halten kann. Als ob er uns sagte, „durch
welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt." daß seine Determinanten
.stets an der rechten Stelle vorhanden sind" und zur rechten Zeit den ^an
der ihnen befohlnen Zellen leiten! Als ob er uns auch nur im mindesten
begreiflich machen könnte, wie Molekelgruppen, die unterhalb der Grenze der
mikroskopischen Sichtbarkeit liegen, es anfangen, dahin zu gelangen, wohin sie
gehören, die einen ins Innere des Embryos, die andern an das vordere oder
Hintere Ende, auf die rechte oder auf die linke Seite; wie es die eme solche
Molekelgrnppe anfängt, ans vier einfachen Stoffen eine Muskelfaser zu bilden,
und wie die andre Phosphorsäure und Kalk zusammenbringt, um ein mikrosko¬
pisches Stückchen Knochenmasse herzustellen; wie dann tausende solcher Deter¬
minanten einander in die Hände arbeiten, um einen Muskel zu stände zu bringen,
und andre tausende, um°jenes früher erwähnte Hänge- und Sprengewerk der
Knochenmasse aufzubauen, das, nachdem es entdeckt worden ist. die Bewundrung
der Architekten und Mechaniker erregt; wie endlich die Determinanten der
Knochen-, Muskel-, Blut-, Nerven- und Hautzellen sich unter einander ver¬
ständigen, um das wunderbare Gebilde eines Armes, eines Beines zu schaffen,
das dann, wenn es einem wohlgebildeten Menschen angehört, außerdem noch
durch seine Form und Farbe das Entzücken des ästhetisch gebildeten Beschauers
erregt! Sind sie nicht lauter kleine Götter und Demiurgen, diese Determinanten,
und die Biophoren ihre dienstbaren Geister? Darf man ein Wesen nicht Gott
nennen, das vermag, was kein Mensch vermag? Vermag ein Mensch, und
lasse man auch den Menschen erst beim Professor anfangen, eine Zelle aus¬
zubauen? Was haben wir also mit der Ausschaltung Gottes gewonnen?
Statt des einen Herrgotts hat man uns Billionen und Trillionen Herrgötter
beschert, deren jeder ein genau so unbegreifliches Wunder ist wie der Gott
des alten Glaubens. Statt des einen Weltwunders haben wir also Billionen
und Trillionen Wunder bekommen, und dazu das Wunder aller Wunder, daß
alle diese Trillionen. Quadrillionen, Dezillioncn Herrgötter sich von Ewigkeit
unter einander verständigt und hübsch einträchtig zusammengewirkt haben!
Nun nehme man noch dazu das Wunder oder vielmehr die Wunder der Re¬
produktion, die nach Weismann von Ersatzdeterminanten besorgt werden,
sodaß also diese Herrgöttergesellschaften dutzendweise im Salamanderbeine vor¬
handen sind, wo sie sich ganz ruhig Verhalten, wenn sie nicht gebraucht werden,
aber sofort zu bauen anfangen, sobald das Tierchen ein Stück Bein verloren
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[0069] Vererbung eine Erklärung möglich wäre. Alle diese Theorien leisten weiter nichts, als daß sie den Knäuel der Geheimnisse auseinanderlegen und „zeigen, welche Er¬ scheinungen alle zu erklären seien, und welche Annahmen man machen mutzte, wenn man sie erklären wollte." Es ist erstaunlich, wie Weismann seine eignen, mit einem gewaltigen Aufwand von Arbeit und bewundrungswürdigen Scharfsinn ermittelten Fragen für Antworten halten kann. Als ob er uns sagte, „durch welche Ursachen, welchen Mechanismus es kommt." daß seine Determinanten .stets an der rechten Stelle vorhanden sind" und zur rechten Zeit den ^an der ihnen befohlnen Zellen leiten! Als ob er uns auch nur im mindesten begreiflich machen könnte, wie Molekelgruppen, die unterhalb der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit liegen, es anfangen, dahin zu gelangen, wohin sie gehören, die einen ins Innere des Embryos, die andern an das vordere oder Hintere Ende, auf die rechte oder auf die linke Seite; wie es die eme solche Molekelgrnppe anfängt, ans vier einfachen Stoffen eine Muskelfaser zu bilden, und wie die andre Phosphorsäure und Kalk zusammenbringt, um ein mikrosko¬ pisches Stückchen Knochenmasse herzustellen; wie dann tausende solcher Deter¬ minanten einander in die Hände arbeiten, um einen Muskel zu stände zu bringen, und andre tausende, um°jenes früher erwähnte Hänge- und Sprengewerk der Knochenmasse aufzubauen, das, nachdem es entdeckt worden ist. die Bewundrung der Architekten und Mechaniker erregt; wie endlich die Determinanten der Knochen-, Muskel-, Blut-, Nerven- und Hautzellen sich unter einander ver¬ ständigen, um das wunderbare Gebilde eines Armes, eines Beines zu schaffen, das dann, wenn es einem wohlgebildeten Menschen angehört, außerdem noch durch seine Form und Farbe das Entzücken des ästhetisch gebildeten Beschauers erregt! Sind sie nicht lauter kleine Götter und Demiurgen, diese Determinanten, und die Biophoren ihre dienstbaren Geister? Darf man ein Wesen nicht Gott nennen, das vermag, was kein Mensch vermag? Vermag ein Mensch, und lasse man auch den Menschen erst beim Professor anfangen, eine Zelle aus¬ zubauen? Was haben wir also mit der Ausschaltung Gottes gewonnen? Statt des einen Herrgotts hat man uns Billionen und Trillionen Herrgötter beschert, deren jeder ein genau so unbegreifliches Wunder ist wie der Gott des alten Glaubens. Statt des einen Weltwunders haben wir also Billionen und Trillionen Wunder bekommen, und dazu das Wunder aller Wunder, daß alle diese Trillionen. Quadrillionen, Dezillioncn Herrgötter sich von Ewigkeit unter einander verständigt und hübsch einträchtig zusammengewirkt haben! Nun nehme man noch dazu das Wunder oder vielmehr die Wunder der Re¬ produktion, die nach Weismann von Ersatzdeterminanten besorgt werden, sodaß also diese Herrgöttergesellschaften dutzendweise im Salamanderbeine vor¬ handen sind, wo sie sich ganz ruhig Verhalten, wenn sie nicht gebraucht werden, aber sofort zu bauen anfangen, sobald das Tierchen ein Stück Bein verloren hat; man nehme das Wunder einer Gesellschaft von Ahnendeterminanten, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/69>, abgerufen am 29.12.2024.