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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Idealismus und Akademismus

innern an die Bilder der spätern Nafaeliten des Cincquecento, und der Cor-
nelicmer von König Ludwigs I. Neumünchen. Niemand wird sagen, daß es
diesen Künstlern an großer Auffassung ihrer Kunst, an weltgeschichtlichen Aus¬
blicken und Hintergründen, an Gedankengehalt gefehlt habe. Aber ihre Bereit¬
willigkeit, die Natur selbst zu studiren, die höhere Bedeutung der einzelnen Er¬
scheinung aus deren treuem Erfassung zu gewinnen, die Fülle der charakte¬
ristischen Einzelheiten zu beobachten und das einfache Lebensgesetz in all
dieser verwirrenden Mannichfaltigkeit wiederzuerkennen, kam ihrer Lust an der
großen Konzeption und der stilvollen Andeutung ihres Gedankenreichtums oder
auch ihrer Bravour niemals gleich. Da schließlich alle Kunst nur Symbol
bleibt, hielten sie den Punkt für unwesentlich, wo das Zeichen für die Sache
gesetzt wird, und anstatt aus ihrer eignen Seele, ihrer eignen Nachempfindung
der Natur ideale Formen zu entwickeln, bedienten sie sich der Formen, die
große Vorfahren und Vorbilder für sich selbst erobert hatten. Wer sich in
die epischen und dramatischen Dichtungen Schacks hineinliest, wird alle Züge
dieses Übergangs des Idealismus zum Akademismus in ihnen wiedererkennen,
und es wird höchstens nur uoch darauf ankommen, wie stark sein eignes Be¬
dürfnis nach Unmittelbarkeit der Natur und eignem Lebensgehalt in der Kunst
ist, um den Dichter der "Nächte des Orients" und der "Plejaden" je nach
Umstünden als einen idealistischen oder einen akademischen Dichter zu bezeichnen.
Wir selbst tragen Bedenken, ihm in allen Fällen und allen Einzelleistnngen
seiner reichen Produktion mir den zweiten Namen zuzusprechen. Soll er aber
noch deu idealistische" Dichtern zugezählt werden, so steht sein Idealismus
nicht grün im sommerlichen Laube, sondern trägt schon alle herbstlichen Kenn¬
zeichen des Akademismus.

Eine gewisse Gruppe der Ästhetik und Kritik nimmt sich allerdings das
Recht, einzelne poetische Talente von der Forderung eignen Lebens und innern
Erlebens loszusprechen und den oben gezeichneten, nicht unwesentlichen Eigen¬
schaften der Muse Schnals eine Bedeutung zu geben, die für den Grundmängel
angeblich vollen Ersatz leisten soll. Das ist aber um so weniger gerechtfertigt,
als der Dichter in einzelnen Episoden seiner Werke (namentlich in dem Roman
w Versen "Durch alle Wetter") in der That Keime zu selbständigem poetischem
Leben, selbständiger künstlerischer Darstellung zeigt, sodaß man sagen kann:
diese Keime sind infolge einer falschen Lebens- und Kunstanschauung unent¬
wickelt geblieben. Die hauptsächliche Wirkung ist nicht in die Steigerung des
eignen innern Lebens, in die Verschmelzung des subjektiven poetischen Dranges
mit vertieften Welt- und Natureindrücken, sondern in schwungvolle Linien¬
führung, in Äußerlichkeiten gesetzt. Natürlich sind bei so großer Kenntnis und
bei so feinem Geschmack, wie sie Schack hatte, unter Äußerlichkeiten nicht grobe
Effekte und verzerrte Bewegungen zu verstehen, in denen der rohe Naturalist
fein Heil sucht. Aber das Streben des Dichters bleibt bei dem Schein des


Idealismus und Akademismus

innern an die Bilder der spätern Nafaeliten des Cincquecento, und der Cor-
nelicmer von König Ludwigs I. Neumünchen. Niemand wird sagen, daß es
diesen Künstlern an großer Auffassung ihrer Kunst, an weltgeschichtlichen Aus¬
blicken und Hintergründen, an Gedankengehalt gefehlt habe. Aber ihre Bereit¬
willigkeit, die Natur selbst zu studiren, die höhere Bedeutung der einzelnen Er¬
scheinung aus deren treuem Erfassung zu gewinnen, die Fülle der charakte¬
ristischen Einzelheiten zu beobachten und das einfache Lebensgesetz in all
dieser verwirrenden Mannichfaltigkeit wiederzuerkennen, kam ihrer Lust an der
großen Konzeption und der stilvollen Andeutung ihres Gedankenreichtums oder
auch ihrer Bravour niemals gleich. Da schließlich alle Kunst nur Symbol
bleibt, hielten sie den Punkt für unwesentlich, wo das Zeichen für die Sache
gesetzt wird, und anstatt aus ihrer eignen Seele, ihrer eignen Nachempfindung
der Natur ideale Formen zu entwickeln, bedienten sie sich der Formen, die
große Vorfahren und Vorbilder für sich selbst erobert hatten. Wer sich in
die epischen und dramatischen Dichtungen Schacks hineinliest, wird alle Züge
dieses Übergangs des Idealismus zum Akademismus in ihnen wiedererkennen,
und es wird höchstens nur uoch darauf ankommen, wie stark sein eignes Be¬
dürfnis nach Unmittelbarkeit der Natur und eignem Lebensgehalt in der Kunst
ist, um den Dichter der „Nächte des Orients" und der „Plejaden" je nach
Umstünden als einen idealistischen oder einen akademischen Dichter zu bezeichnen.
Wir selbst tragen Bedenken, ihm in allen Fällen und allen Einzelleistnngen
seiner reichen Produktion mir den zweiten Namen zuzusprechen. Soll er aber
noch deu idealistische» Dichtern zugezählt werden, so steht sein Idealismus
nicht grün im sommerlichen Laube, sondern trägt schon alle herbstlichen Kenn¬
zeichen des Akademismus.

Eine gewisse Gruppe der Ästhetik und Kritik nimmt sich allerdings das
Recht, einzelne poetische Talente von der Forderung eignen Lebens und innern
Erlebens loszusprechen und den oben gezeichneten, nicht unwesentlichen Eigen¬
schaften der Muse Schnals eine Bedeutung zu geben, die für den Grundmängel
angeblich vollen Ersatz leisten soll. Das ist aber um so weniger gerechtfertigt,
als der Dichter in einzelnen Episoden seiner Werke (namentlich in dem Roman
w Versen „Durch alle Wetter") in der That Keime zu selbständigem poetischem
Leben, selbständiger künstlerischer Darstellung zeigt, sodaß man sagen kann:
diese Keime sind infolge einer falschen Lebens- und Kunstanschauung unent¬
wickelt geblieben. Die hauptsächliche Wirkung ist nicht in die Steigerung des
eignen innern Lebens, in die Verschmelzung des subjektiven poetischen Dranges
mit vertieften Welt- und Natureindrücken, sondern in schwungvolle Linien¬
führung, in Äußerlichkeiten gesetzt. Natürlich sind bei so großer Kenntnis und
bei so feinem Geschmack, wie sie Schack hatte, unter Äußerlichkeiten nicht grobe
Effekte und verzerrte Bewegungen zu verstehen, in denen der rohe Naturalist
fein Heil sucht. Aber das Streben des Dichters bleibt bei dem Schein des


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[0565] Idealismus und Akademismus innern an die Bilder der spätern Nafaeliten des Cincquecento, und der Cor- nelicmer von König Ludwigs I. Neumünchen. Niemand wird sagen, daß es diesen Künstlern an großer Auffassung ihrer Kunst, an weltgeschichtlichen Aus¬ blicken und Hintergründen, an Gedankengehalt gefehlt habe. Aber ihre Bereit¬ willigkeit, die Natur selbst zu studiren, die höhere Bedeutung der einzelnen Er¬ scheinung aus deren treuem Erfassung zu gewinnen, die Fülle der charakte¬ ristischen Einzelheiten zu beobachten und das einfache Lebensgesetz in all dieser verwirrenden Mannichfaltigkeit wiederzuerkennen, kam ihrer Lust an der großen Konzeption und der stilvollen Andeutung ihres Gedankenreichtums oder auch ihrer Bravour niemals gleich. Da schließlich alle Kunst nur Symbol bleibt, hielten sie den Punkt für unwesentlich, wo das Zeichen für die Sache gesetzt wird, und anstatt aus ihrer eignen Seele, ihrer eignen Nachempfindung der Natur ideale Formen zu entwickeln, bedienten sie sich der Formen, die große Vorfahren und Vorbilder für sich selbst erobert hatten. Wer sich in die epischen und dramatischen Dichtungen Schacks hineinliest, wird alle Züge dieses Übergangs des Idealismus zum Akademismus in ihnen wiedererkennen, und es wird höchstens nur uoch darauf ankommen, wie stark sein eignes Be¬ dürfnis nach Unmittelbarkeit der Natur und eignem Lebensgehalt in der Kunst ist, um den Dichter der „Nächte des Orients" und der „Plejaden" je nach Umstünden als einen idealistischen oder einen akademischen Dichter zu bezeichnen. Wir selbst tragen Bedenken, ihm in allen Fällen und allen Einzelleistnngen seiner reichen Produktion mir den zweiten Namen zuzusprechen. Soll er aber noch deu idealistische» Dichtern zugezählt werden, so steht sein Idealismus nicht grün im sommerlichen Laube, sondern trägt schon alle herbstlichen Kenn¬ zeichen des Akademismus. Eine gewisse Gruppe der Ästhetik und Kritik nimmt sich allerdings das Recht, einzelne poetische Talente von der Forderung eignen Lebens und innern Erlebens loszusprechen und den oben gezeichneten, nicht unwesentlichen Eigen¬ schaften der Muse Schnals eine Bedeutung zu geben, die für den Grundmängel angeblich vollen Ersatz leisten soll. Das ist aber um so weniger gerechtfertigt, als der Dichter in einzelnen Episoden seiner Werke (namentlich in dem Roman w Versen „Durch alle Wetter") in der That Keime zu selbständigem poetischem Leben, selbständiger künstlerischer Darstellung zeigt, sodaß man sagen kann: diese Keime sind infolge einer falschen Lebens- und Kunstanschauung unent¬ wickelt geblieben. Die hauptsächliche Wirkung ist nicht in die Steigerung des eignen innern Lebens, in die Verschmelzung des subjektiven poetischen Dranges mit vertieften Welt- und Natureindrücken, sondern in schwungvolle Linien¬ führung, in Äußerlichkeiten gesetzt. Natürlich sind bei so großer Kenntnis und bei so feinem Geschmack, wie sie Schack hatte, unter Äußerlichkeiten nicht grobe Effekte und verzerrte Bewegungen zu verstehen, in denen der rohe Naturalist fein Heil sucht. Aber das Streben des Dichters bleibt bei dem Schein des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/565>, abgerufen am 24.07.2024.