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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der persoiialkredit des ländliche" Uleingrnndbesitzes

Ferner fehlt der geistig schwerfälligen Bevölkerung -- ähnlich wie in Posen --
die Fähigkeit, die Kassenführung und die vorgelegten Bilanzen geschäftsmäßig
zu prüfen und die etwa in der Verwaltung eingerissenen Mißbräuche recht¬
zeitig zu erkennen. Es ist das große Verdienst des Geheimen Regierungsrath
Knebel, den öffentlichen Sparkassen eine solche Ausbildung gegeben zu haben,
daß sie durch die Gewährung eines billigen, den eigentümlichen Verhältnissen
des Saargebiets angemessenen Personalkredits die Bevölkerung den Klauen
jüdischer Wucherer entreißen konnten. Wie das durch die Einführung des
Instituts der Vczirksagcnten, dnrch die Übernahme der Steigpreise auf dem
Gebiet des Grundstücknmsatzes und durch Einrichtungen, die die allmähliche
Schuldenabtragung begünstigen und erleichtern, in segensreicher Weise geschehen
ist, das geht aus der klaren Schilderung hervor, die die Berichterstatter von
der trefflichen Einrichtung Knebels entworfen haben.

Dennoch entnimmt mau der ganzen Darstellung, daß im Saargebiete ganz
eigentümliche Ausnahmeverhältnisse, namentlich die sittliche Unreife der untern
Volksschichten für die genossenschaftliche Krcditeinrichtung, die öffentlichen Spar¬
kassen als Grundlage für den Personalkredit auch der ländlichen Bevölkerung
empfehlenswert erscheinen lassen. Im allgemeinen werden wir an unserm Er¬
gebnis festhalten: die Sparkassen sind zur Beschaffung des ländlichen Personal¬
kredits ihrem ganzen Wesen nach ungeeignet.

Wie steht es nun mit den Schulze-Delitzschschen Vorschußvereinen?

Auch diesen sprechen die Berichte bis auf eine Ausnahme die Fähigkeit
ab, das Bedürfnis nach Persvnnlkredit auf dem Lande zu befriedigen, und
zwar aus ähnlichen Gründen wie den Sparkassen. Der Wechsel, die Stellung
zweier Bürgen, die Provision, der hohe Zinsfuß, die kurze Darlehusdauer
von drei Monaten, die lästigen Verlängerungen, auch oft die weite Entfernung
der Kassen, alle diese Nachteile lassen die Vorschußvereine als eine schlechte
Form der landwirtschaftlichen Kreditgewährung erscheinen.

Nach ihren Grundlagen sind sie an die Verhältnisse des städtischen Er¬
werbslebens gebunden. Für die Handel- und gewerbtreibende Bevölkerung
mag der Kredit der Vorschußvereine trotz seiner kurzen Fristen und seines
hohen Zinses ganz geeignet sein- Daher wenden sie auch ihre Geldmittel
mehr dem lohnenden größer" Kreditbedürfnis der Gewerbtreibenden und In¬
dustriellen ihres Vereins zu, als dem weniger lohnenden und geringere Sicher¬
heit bietenden Kreditbedürfnis der kleinen Landwirte. Dieses Verhältnis findet
schon in der Thatsache seinen Ausdruck, daß die Vorsitzenden der Schulze-
Delitzschscheu Genossenschaften meist Kaufleute, sehr selten Landwirte sind. Ganz
kaufmännisch ist auch der Grundsatz der Vvrschnßvereine, eine möglichst hohe
Dividende der Geschäftsanteile herauszuschlagen, ein Grundsatz, der mit einem
uneigennützigen genossenschaftlichen Betrieb unvereinbar ist. Ferner begünstigen
die Vorschußvereine eine Tantieme für ihre Vorstandsmitglieder. Im Saar-


Der persoiialkredit des ländliche» Uleingrnndbesitzes

Ferner fehlt der geistig schwerfälligen Bevölkerung — ähnlich wie in Posen —
die Fähigkeit, die Kassenführung und die vorgelegten Bilanzen geschäftsmäßig
zu prüfen und die etwa in der Verwaltung eingerissenen Mißbräuche recht¬
zeitig zu erkennen. Es ist das große Verdienst des Geheimen Regierungsrath
Knebel, den öffentlichen Sparkassen eine solche Ausbildung gegeben zu haben,
daß sie durch die Gewährung eines billigen, den eigentümlichen Verhältnissen
des Saargebiets angemessenen Personalkredits die Bevölkerung den Klauen
jüdischer Wucherer entreißen konnten. Wie das durch die Einführung des
Instituts der Vczirksagcnten, dnrch die Übernahme der Steigpreise auf dem
Gebiet des Grundstücknmsatzes und durch Einrichtungen, die die allmähliche
Schuldenabtragung begünstigen und erleichtern, in segensreicher Weise geschehen
ist, das geht aus der klaren Schilderung hervor, die die Berichterstatter von
der trefflichen Einrichtung Knebels entworfen haben.

Dennoch entnimmt mau der ganzen Darstellung, daß im Saargebiete ganz
eigentümliche Ausnahmeverhältnisse, namentlich die sittliche Unreife der untern
Volksschichten für die genossenschaftliche Krcditeinrichtung, die öffentlichen Spar¬
kassen als Grundlage für den Personalkredit auch der ländlichen Bevölkerung
empfehlenswert erscheinen lassen. Im allgemeinen werden wir an unserm Er¬
gebnis festhalten: die Sparkassen sind zur Beschaffung des ländlichen Personal¬
kredits ihrem ganzen Wesen nach ungeeignet.

Wie steht es nun mit den Schulze-Delitzschschen Vorschußvereinen?

Auch diesen sprechen die Berichte bis auf eine Ausnahme die Fähigkeit
ab, das Bedürfnis nach Persvnnlkredit auf dem Lande zu befriedigen, und
zwar aus ähnlichen Gründen wie den Sparkassen. Der Wechsel, die Stellung
zweier Bürgen, die Provision, der hohe Zinsfuß, die kurze Darlehusdauer
von drei Monaten, die lästigen Verlängerungen, auch oft die weite Entfernung
der Kassen, alle diese Nachteile lassen die Vorschußvereine als eine schlechte
Form der landwirtschaftlichen Kreditgewährung erscheinen.

Nach ihren Grundlagen sind sie an die Verhältnisse des städtischen Er¬
werbslebens gebunden. Für die Handel- und gewerbtreibende Bevölkerung
mag der Kredit der Vorschußvereine trotz seiner kurzen Fristen und seines
hohen Zinses ganz geeignet sein- Daher wenden sie auch ihre Geldmittel
mehr dem lohnenden größer» Kreditbedürfnis der Gewerbtreibenden und In¬
dustriellen ihres Vereins zu, als dem weniger lohnenden und geringere Sicher¬
heit bietenden Kreditbedürfnis der kleinen Landwirte. Dieses Verhältnis findet
schon in der Thatsache seinen Ausdruck, daß die Vorsitzenden der Schulze-
Delitzschscheu Genossenschaften meist Kaufleute, sehr selten Landwirte sind. Ganz
kaufmännisch ist auch der Grundsatz der Vvrschnßvereine, eine möglichst hohe
Dividende der Geschäftsanteile herauszuschlagen, ein Grundsatz, der mit einem
uneigennützigen genossenschaftlichen Betrieb unvereinbar ist. Ferner begünstigen
die Vorschußvereine eine Tantieme für ihre Vorstandsmitglieder. Im Saar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/546>, abgerufen am 24.07.2024.