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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Das politische Papsttum

ganz gleichgiltig sein (wobei wir nicht ein die Politik der Zentrumspartei denken,
sondern an die Interessen des deutschen Reichs); praktisches Interesse hat diese
Frage einzig für Italien. Es mag aber daran erinnert werden, daß Staats¬
männer, die jetzt noch leben, die Ansicht vertreten haben, das Königreich Italien
hätte ein bescheiden abgegrenztes Patrimonium Petri sehr wohl aushalten
können, vollends wenn dadurch die wirkliche Befriedigung des Papstes erreicht
worden mare. Seit der endgiltigen Gestaltung des Königreichs hat man auf
weltlicher Seite nie mehr ernstlich an eine solche Möglichkeit gedacht, und seit
mehr als fünfundzwanzig Jahren ist die Kurie unverdrossen an ihrer stillen
Arbeit, deren Ziel es ist, ja nichts zur Ruhe kommen zu lassen, ja nicht die
Vorstellung aufkommen zu lassen, als sei alles im Staate in der Ordnung,
solange nicht dein Papst sein Recht geworden ist. Und diese Arbeit leistet jetzt
seit einigen Jahren etwas geräuschvoller und in vorgeschriebnen Terminen die
katholische Zentrumspartei von Deutschland aus mit und behauptet dabei,
wer das Kriegführen mit Italien nenne, der sei ein Lügner. In Italien
haben sich inzwischen die Umstände für die Staatsregierung sehr verschlechtert.
So lange Pius IX. lebte, pflegte man von bestimmten Männern zu sagen,
sie seien päpstlicher, als der Papst selbst, das hieß in diesem Falle: .unversöhn¬
licher gegenüber der italienischen Negierung; ihn selbst hielt man wohl für
einen eigensinnigen oder eigenwilligen Mann, aber niemals für einen Politiker
mit klaren und bestimmten Zielen. Unter Leo XIII. hörte man die Rede
nicht mehr; es verlautete sehr bald und dann immer häufiger, dieser Papst
werde an allen seinen Rechten festhalten, was natürlich die Volksmeinung
hauptsächlich auf die weltliche Herrschaft bezog, und dazwischen hieß es denn
auch, Leo XIII. fasse seine Entschließungen immer selbst. Wer sich deutlich an die
Zeit erinnert, wo Bismarck dem Papste das Schiedsrichteramt übertrug in der
Angelegenheit der Philippinen zwischen Deutschland und Spanien, der weiß,
daß die Meinung ging, Bismarck wolle dem Papsttum als Ersatz der Ver¬
lornen weltlichen Herrschaft einen neuen politischen Inhalt mit andrer Richtung
zeigen, und daß man das später oft als einen großen politischen Fehler des
Reichskanzlers im Hinblick auf den kanonischen xrim^us jurisätetionis bezeichnet
hat. Warum Bismarck so handelte, ist bis heute nicht aufgeklärt worden
(vielleicht geschieht es einmal in seinen Memoiren), als Akt bloßer Höflichkeit
war es zu viel, als Handlung der Staatskunst aber viel zu wenig, denn es
hat keine politische Tragweite gehabt und ist darum auch kein schwerer Fehler
gewesen, von dem sich heute noch ernstlich sprechen ließe. Aber als einen
feinen, politischen Kopf hat sich Leo XIII. allerdings erwiesen, das wird man
am Vorabend seines zwanzigjährigen Jubiläums sagen müssen, als das richtige
Haupt sür die Kurie, die in den Künsten der Diplomatie von jeher aller welt¬
lichen Mächte Meisterin war, und durch ihn hat sich jetzt am Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts eine ganz neue Erscheinung, ein politisches Papsttum


Das politische Papsttum

ganz gleichgiltig sein (wobei wir nicht ein die Politik der Zentrumspartei denken,
sondern an die Interessen des deutschen Reichs); praktisches Interesse hat diese
Frage einzig für Italien. Es mag aber daran erinnert werden, daß Staats¬
männer, die jetzt noch leben, die Ansicht vertreten haben, das Königreich Italien
hätte ein bescheiden abgegrenztes Patrimonium Petri sehr wohl aushalten
können, vollends wenn dadurch die wirkliche Befriedigung des Papstes erreicht
worden mare. Seit der endgiltigen Gestaltung des Königreichs hat man auf
weltlicher Seite nie mehr ernstlich an eine solche Möglichkeit gedacht, und seit
mehr als fünfundzwanzig Jahren ist die Kurie unverdrossen an ihrer stillen
Arbeit, deren Ziel es ist, ja nichts zur Ruhe kommen zu lassen, ja nicht die
Vorstellung aufkommen zu lassen, als sei alles im Staate in der Ordnung,
solange nicht dein Papst sein Recht geworden ist. Und diese Arbeit leistet jetzt
seit einigen Jahren etwas geräuschvoller und in vorgeschriebnen Terminen die
katholische Zentrumspartei von Deutschland aus mit und behauptet dabei,
wer das Kriegführen mit Italien nenne, der sei ein Lügner. In Italien
haben sich inzwischen die Umstände für die Staatsregierung sehr verschlechtert.
So lange Pius IX. lebte, pflegte man von bestimmten Männern zu sagen,
sie seien päpstlicher, als der Papst selbst, das hieß in diesem Falle: .unversöhn¬
licher gegenüber der italienischen Negierung; ihn selbst hielt man wohl für
einen eigensinnigen oder eigenwilligen Mann, aber niemals für einen Politiker
mit klaren und bestimmten Zielen. Unter Leo XIII. hörte man die Rede
nicht mehr; es verlautete sehr bald und dann immer häufiger, dieser Papst
werde an allen seinen Rechten festhalten, was natürlich die Volksmeinung
hauptsächlich auf die weltliche Herrschaft bezog, und dazwischen hieß es denn
auch, Leo XIII. fasse seine Entschließungen immer selbst. Wer sich deutlich an die
Zeit erinnert, wo Bismarck dem Papste das Schiedsrichteramt übertrug in der
Angelegenheit der Philippinen zwischen Deutschland und Spanien, der weiß,
daß die Meinung ging, Bismarck wolle dem Papsttum als Ersatz der Ver¬
lornen weltlichen Herrschaft einen neuen politischen Inhalt mit andrer Richtung
zeigen, und daß man das später oft als einen großen politischen Fehler des
Reichskanzlers im Hinblick auf den kanonischen xrim^us jurisätetionis bezeichnet
hat. Warum Bismarck so handelte, ist bis heute nicht aufgeklärt worden
(vielleicht geschieht es einmal in seinen Memoiren), als Akt bloßer Höflichkeit
war es zu viel, als Handlung der Staatskunst aber viel zu wenig, denn es
hat keine politische Tragweite gehabt und ist darum auch kein schwerer Fehler
gewesen, von dem sich heute noch ernstlich sprechen ließe. Aber als einen
feinen, politischen Kopf hat sich Leo XIII. allerdings erwiesen, das wird man
am Vorabend seines zwanzigjährigen Jubiläums sagen müssen, als das richtige
Haupt sür die Kurie, die in den Künsten der Diplomatie von jeher aller welt¬
lichen Mächte Meisterin war, und durch ihn hat sich jetzt am Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts eine ganz neue Erscheinung, ein politisches Papsttum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/540>, abgerufen am 29.12.2024.