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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vels politische Papsttum

einmal vor, was sie wollen, und wie sie es zu erreichen denken. Sie sagen,
es sei Leos XIII. heißester Wunsch, wieder Herr über Rom zu werden, und
jedenfalls wird ihnen diese Parole aus dem Vatikan gegeben. Aber die Kurie
wäre nicht so klug, wie sie ist, und sie kennte ihre eigne vielhundertjährige
Geschichte schlecht, wenn sie nicht ganz genau wüßte, daß ihr mit einer neuen
weltlichen Papstherrschaft ein sehr zweifelhaftes Gut zuwüchse. Der erste als
Territorialfürst starke Papst. Julius II. im Anfange des fünfzehnten Jahr¬
hunderts, hatte doch nicht entfernt die Herrschaft über die Geister, wie sie
einzelne seiner großen geistlichen Vorgänger im Mittelalter ausübten, wenn sie
sich gleichzeitig nicht einmal in ihrem engen Patrimonum Petri gegen die
kaiserlichen Kriegsscharen oder gegen italienische Rebellen behaupten konnten.
Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtskundige, daß die geistliche Herrschaft
des Papstes nicht an dem winzigen Territorialfürsteutum hängt, ja sie weiß
noch viel mehr. Der Papst hat leicht Encykliken erlassen über die heute so
schwere Regierungskunst der weltlichen Herrscher, über die soziale Frage und
ihre vielen ungelösten Aufgaben, er hat ja den xriinatns ma^isterii, er muß
es wissen. Aber keiner kann ihm sagen: Mache du es doch erst einmal so,
wie es nach deiner unfehlbaren Einsicht sein muß -- denn er hat ja kein
Versuchsfeld, er hat kein Reich, er kann sich ja nicht einmal in Rom
"frei bewegen." Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtsforscher oder
Nationalökonom, wie jeder von uns Ältern, die es noch mit eignen Augen
erlebt haben, was für ein Bild der Mißwirtschaft und Mißregierung der
Kirchenstaat bis in seine letzten Zeiten geboten hat. In was für Verlegen¬
heiten würde es den Papst bringen, wenn er jetzt, wo die Schwierigkeiten ins
unendliche gewachsen sind, plötzlich als weltlicher Regent wieder selbst Probiren
sollte: Hi<z Iiliocw8, tuo sMg.! Da wäre es wohl bald um den primg.w8
mgMt<zrii in unserm praktischen und reell denkenden Zeitalter geschehen, während
andrerseits unsre deutsche Zentrumspartei zeigt, daß die Herrschaft des geistlichen
Papstes über die Geister der Christenheit so stark und so wohl organisirt ist,
wie es wohl niemals in den Zeiten der weltlichen Papstherrschaft der Fall war.

Also der Kurie, die klüger ist als das Zentrum, ist es in Wirklichkeit
nicht um das bischen Patrimonium Petri zu thun, sondern um etwas ganz
andres. Sie weiß ganz gut, daß der Papst, wenn er sich außerhalb des
Vatikans zeigte, nicht nur von den italienischen amtlichen Kreisen, denen nichts
lieber wäre, sondern von dem ganzen Volke mit Ehrerbietung und allen seinem
hohen Rang zukommenden Ehren und zunächst mit einem wahren Jubel überall
aufgenommen werden würde (vor einzelnen Pöbelhaftigkeiten ist bekanntlich kein
noch so mächtiger Souverän geschützt), aber nach der Auffassung der Kurie
ist es für das Papsttum vorteilhafter, wenn eine solche Beruhigung und
Befriedigung, die die meisten Katholiken Italiens ersehnen, nicht eintritt. Ob
der Papst eine weltliche Herrschaft habe oder nicht, das kann uns Dentschen


Vels politische Papsttum

einmal vor, was sie wollen, und wie sie es zu erreichen denken. Sie sagen,
es sei Leos XIII. heißester Wunsch, wieder Herr über Rom zu werden, und
jedenfalls wird ihnen diese Parole aus dem Vatikan gegeben. Aber die Kurie
wäre nicht so klug, wie sie ist, und sie kennte ihre eigne vielhundertjährige
Geschichte schlecht, wenn sie nicht ganz genau wüßte, daß ihr mit einer neuen
weltlichen Papstherrschaft ein sehr zweifelhaftes Gut zuwüchse. Der erste als
Territorialfürst starke Papst. Julius II. im Anfange des fünfzehnten Jahr¬
hunderts, hatte doch nicht entfernt die Herrschaft über die Geister, wie sie
einzelne seiner großen geistlichen Vorgänger im Mittelalter ausübten, wenn sie
sich gleichzeitig nicht einmal in ihrem engen Patrimonum Petri gegen die
kaiserlichen Kriegsscharen oder gegen italienische Rebellen behaupten konnten.
Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtskundige, daß die geistliche Herrschaft
des Papstes nicht an dem winzigen Territorialfürsteutum hängt, ja sie weiß
noch viel mehr. Der Papst hat leicht Encykliken erlassen über die heute so
schwere Regierungskunst der weltlichen Herrscher, über die soziale Frage und
ihre vielen ungelösten Aufgaben, er hat ja den xriinatns ma^isterii, er muß
es wissen. Aber keiner kann ihm sagen: Mache du es doch erst einmal so,
wie es nach deiner unfehlbaren Einsicht sein muß — denn er hat ja kein
Versuchsfeld, er hat kein Reich, er kann sich ja nicht einmal in Rom
„frei bewegen." Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtsforscher oder
Nationalökonom, wie jeder von uns Ältern, die es noch mit eignen Augen
erlebt haben, was für ein Bild der Mißwirtschaft und Mißregierung der
Kirchenstaat bis in seine letzten Zeiten geboten hat. In was für Verlegen¬
heiten würde es den Papst bringen, wenn er jetzt, wo die Schwierigkeiten ins
unendliche gewachsen sind, plötzlich als weltlicher Regent wieder selbst Probiren
sollte: Hi<z Iiliocw8, tuo sMg.! Da wäre es wohl bald um den primg.w8
mgMt<zrii in unserm praktischen und reell denkenden Zeitalter geschehen, während
andrerseits unsre deutsche Zentrumspartei zeigt, daß die Herrschaft des geistlichen
Papstes über die Geister der Christenheit so stark und so wohl organisirt ist,
wie es wohl niemals in den Zeiten der weltlichen Papstherrschaft der Fall war.

Also der Kurie, die klüger ist als das Zentrum, ist es in Wirklichkeit
nicht um das bischen Patrimonium Petri zu thun, sondern um etwas ganz
andres. Sie weiß ganz gut, daß der Papst, wenn er sich außerhalb des
Vatikans zeigte, nicht nur von den italienischen amtlichen Kreisen, denen nichts
lieber wäre, sondern von dem ganzen Volke mit Ehrerbietung und allen seinem
hohen Rang zukommenden Ehren und zunächst mit einem wahren Jubel überall
aufgenommen werden würde (vor einzelnen Pöbelhaftigkeiten ist bekanntlich kein
noch so mächtiger Souverän geschützt), aber nach der Auffassung der Kurie
ist es für das Papsttum vorteilhafter, wenn eine solche Beruhigung und
Befriedigung, die die meisten Katholiken Italiens ersehnen, nicht eintritt. Ob
der Papst eine weltliche Herrschaft habe oder nicht, das kann uns Dentschen


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[0539] Vels politische Papsttum einmal vor, was sie wollen, und wie sie es zu erreichen denken. Sie sagen, es sei Leos XIII. heißester Wunsch, wieder Herr über Rom zu werden, und jedenfalls wird ihnen diese Parole aus dem Vatikan gegeben. Aber die Kurie wäre nicht so klug, wie sie ist, und sie kennte ihre eigne vielhundertjährige Geschichte schlecht, wenn sie nicht ganz genau wüßte, daß ihr mit einer neuen weltlichen Papstherrschaft ein sehr zweifelhaftes Gut zuwüchse. Der erste als Territorialfürst starke Papst. Julius II. im Anfange des fünfzehnten Jahr¬ hunderts, hatte doch nicht entfernt die Herrschaft über die Geister, wie sie einzelne seiner großen geistlichen Vorgänger im Mittelalter ausübten, wenn sie sich gleichzeitig nicht einmal in ihrem engen Patrimonum Petri gegen die kaiserlichen Kriegsscharen oder gegen italienische Rebellen behaupten konnten. Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtskundige, daß die geistliche Herrschaft des Papstes nicht an dem winzigen Territorialfürsteutum hängt, ja sie weiß noch viel mehr. Der Papst hat leicht Encykliken erlassen über die heute so schwere Regierungskunst der weltlichen Herrscher, über die soziale Frage und ihre vielen ungelösten Aufgaben, er hat ja den xriinatns ma^isterii, er muß es wissen. Aber keiner kann ihm sagen: Mache du es doch erst einmal so, wie es nach deiner unfehlbaren Einsicht sein muß — denn er hat ja kein Versuchsfeld, er hat kein Reich, er kann sich ja nicht einmal in Rom „frei bewegen." Die Kurie weiß so gut wie jeder Geschichtsforscher oder Nationalökonom, wie jeder von uns Ältern, die es noch mit eignen Augen erlebt haben, was für ein Bild der Mißwirtschaft und Mißregierung der Kirchenstaat bis in seine letzten Zeiten geboten hat. In was für Verlegen¬ heiten würde es den Papst bringen, wenn er jetzt, wo die Schwierigkeiten ins unendliche gewachsen sind, plötzlich als weltlicher Regent wieder selbst Probiren sollte: Hi<z Iiliocw8, tuo sMg.! Da wäre es wohl bald um den primg.w8 mgMt<zrii in unserm praktischen und reell denkenden Zeitalter geschehen, während andrerseits unsre deutsche Zentrumspartei zeigt, daß die Herrschaft des geistlichen Papstes über die Geister der Christenheit so stark und so wohl organisirt ist, wie es wohl niemals in den Zeiten der weltlichen Papstherrschaft der Fall war. Also der Kurie, die klüger ist als das Zentrum, ist es in Wirklichkeit nicht um das bischen Patrimonium Petri zu thun, sondern um etwas ganz andres. Sie weiß ganz gut, daß der Papst, wenn er sich außerhalb des Vatikans zeigte, nicht nur von den italienischen amtlichen Kreisen, denen nichts lieber wäre, sondern von dem ganzen Volke mit Ehrerbietung und allen seinem hohen Rang zukommenden Ehren und zunächst mit einem wahren Jubel überall aufgenommen werden würde (vor einzelnen Pöbelhaftigkeiten ist bekanntlich kein noch so mächtiger Souverän geschützt), aber nach der Auffassung der Kurie ist es für das Papsttum vorteilhafter, wenn eine solche Beruhigung und Befriedigung, die die meisten Katholiken Italiens ersehnen, nicht eintritt. Ob der Papst eine weltliche Herrschaft habe oder nicht, das kann uns Dentschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/539>, abgerufen am 24.07.2024.