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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Das politische Papsttum

ohne Land, entwickelt und nnter die andern europäischen Mächte eingeführt,
dessen Einfluß ebenso groß ist, wie der irgend eines frühern Papsttums,
und dessen Macht für den Inhaber leichter, einfacher und gefahrloser aus¬
zuüben ist.

Daß das so ist, kann man sich bald vergegenwärtigen. Der Papst und
sein Hof haben nach den Garantiegesetzen ein solches Maß von Sicherheit und
Freiheit, und die italienische Regierung verführt praktisch so peinlich behutsam
und korrekt, daß sich daraus mit der Zeit folgender merkwürdige Zustand er¬
geben hat. Die Kurie schadet dem Staat, der sie schützen muß, wo sie kann,
in schwierigen innern Angelegenheiten, in Fragen auswärtiger Politik, öffent¬
lich und im Verborgnen, und der Staat ist wehrlos, denn der Angreifer ist
durch seine Waffen und durch seine Exemtion gleichermaßen gegen ihn im
Vorteil. Man weiß, wie schwer die italienische Staatsleitnng an diesem Ge¬
wicht zu tragen hat, es will sich sogar die Meinung einzelner Kreise nicht
beschwichtigen lassen, der pflichttreue und gemütswarme König Humbert sei, tief
verstimmt über die Ränke seiner Kirche, längst heimlich für seine Person zum
evangelischem Glauben übergetreten. Von solchen Zuständen konnte niemand
in den ersten Jahren nach 1870 etwas ahnen, sie sind der Erfolg der
Politischen Kunst Leos XIII. Über Leos Erfolge in Deutschland brauchen wir
nun kein Wort mehr zu verlieren. Wie gut sich aber die Kurie mit der
französischen Republik trotz der anfänglich großen Schwierigkeiten und der sich
immer wieder erhebenden, wie es schien, nicht ausgleichbaren Differenzen
schließlich gestellt hat, erfahren wir fast täglich. Das ist doch wahrhaftig eine
politische Kombination, mit der als dem Ergebnis seiner Staatskunst der Papst
zufrieden sein kann. Und er ist es auch sicherlich, und die Kurie mit ihm,
aber die traurigen Gesichter und der Habitus des Gefangnen gehören nun
einmal zum Ritus, genau wie für deu türkischen Sultan die niedergebeugte
Haltung, wenn er sich, angeblich von Regierungssorgen belastet, öffentlich
seinem Volte zeigt. Und diese Gesichter werden nach außen hin weiter gemacht
werden, und die Politik wird weiter wachsen und nach so schönen Erfolgen
noch mehr verlangen. In Rankes Geschichte der Päpste sindet sich (noch 1889)
folgende, schon um ihrer eigentümlichen Fassung willen merkwürdige Stelle.
"In denselben Tagen, in welchen der Papst seine Jnfallibilität verkünden ließ
und bestätigte, brach der Krieg zwischen Frankreich und Preußen aus. Mit
Bestimmtheit finde ich nicht(!), daß bei der französischen Aggression religiöse
Motive mitgewirkt haben. Aber wer wollte sagen, wohin es geführt hätte,
wenn das Glück der Waffen zu Gunsten der katholischen Nation ausgefallen
wäre, welches neue Übergewicht dem Papsttum. auch in der Haltung, die es
annahm, dadurch hätte zu teil werden können?" Wir bezweifeln, daß dies
vorausgesetzte Übergewicht das politische Papsttum stärker hätte machen können,
als es heute ist. Es liegt Italien schwer im Magen, und schon mancher hat


Das politische Papsttum

ohne Land, entwickelt und nnter die andern europäischen Mächte eingeführt,
dessen Einfluß ebenso groß ist, wie der irgend eines frühern Papsttums,
und dessen Macht für den Inhaber leichter, einfacher und gefahrloser aus¬
zuüben ist.

Daß das so ist, kann man sich bald vergegenwärtigen. Der Papst und
sein Hof haben nach den Garantiegesetzen ein solches Maß von Sicherheit und
Freiheit, und die italienische Regierung verführt praktisch so peinlich behutsam
und korrekt, daß sich daraus mit der Zeit folgender merkwürdige Zustand er¬
geben hat. Die Kurie schadet dem Staat, der sie schützen muß, wo sie kann,
in schwierigen innern Angelegenheiten, in Fragen auswärtiger Politik, öffent¬
lich und im Verborgnen, und der Staat ist wehrlos, denn der Angreifer ist
durch seine Waffen und durch seine Exemtion gleichermaßen gegen ihn im
Vorteil. Man weiß, wie schwer die italienische Staatsleitnng an diesem Ge¬
wicht zu tragen hat, es will sich sogar die Meinung einzelner Kreise nicht
beschwichtigen lassen, der pflichttreue und gemütswarme König Humbert sei, tief
verstimmt über die Ränke seiner Kirche, längst heimlich für seine Person zum
evangelischem Glauben übergetreten. Von solchen Zuständen konnte niemand
in den ersten Jahren nach 1870 etwas ahnen, sie sind der Erfolg der
Politischen Kunst Leos XIII. Über Leos Erfolge in Deutschland brauchen wir
nun kein Wort mehr zu verlieren. Wie gut sich aber die Kurie mit der
französischen Republik trotz der anfänglich großen Schwierigkeiten und der sich
immer wieder erhebenden, wie es schien, nicht ausgleichbaren Differenzen
schließlich gestellt hat, erfahren wir fast täglich. Das ist doch wahrhaftig eine
politische Kombination, mit der als dem Ergebnis seiner Staatskunst der Papst
zufrieden sein kann. Und er ist es auch sicherlich, und die Kurie mit ihm,
aber die traurigen Gesichter und der Habitus des Gefangnen gehören nun
einmal zum Ritus, genau wie für deu türkischen Sultan die niedergebeugte
Haltung, wenn er sich, angeblich von Regierungssorgen belastet, öffentlich
seinem Volte zeigt. Und diese Gesichter werden nach außen hin weiter gemacht
werden, und die Politik wird weiter wachsen und nach so schönen Erfolgen
noch mehr verlangen. In Rankes Geschichte der Päpste sindet sich (noch 1889)
folgende, schon um ihrer eigentümlichen Fassung willen merkwürdige Stelle.
«In denselben Tagen, in welchen der Papst seine Jnfallibilität verkünden ließ
und bestätigte, brach der Krieg zwischen Frankreich und Preußen aus. Mit
Bestimmtheit finde ich nicht(!), daß bei der französischen Aggression religiöse
Motive mitgewirkt haben. Aber wer wollte sagen, wohin es geführt hätte,
wenn das Glück der Waffen zu Gunsten der katholischen Nation ausgefallen
wäre, welches neue Übergewicht dem Papsttum. auch in der Haltung, die es
annahm, dadurch hätte zu teil werden können?" Wir bezweifeln, daß dies
vorausgesetzte Übergewicht das politische Papsttum stärker hätte machen können,
als es heute ist. Es liegt Italien schwer im Magen, und schon mancher hat


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[0541] Das politische Papsttum ohne Land, entwickelt und nnter die andern europäischen Mächte eingeführt, dessen Einfluß ebenso groß ist, wie der irgend eines frühern Papsttums, und dessen Macht für den Inhaber leichter, einfacher und gefahrloser aus¬ zuüben ist. Daß das so ist, kann man sich bald vergegenwärtigen. Der Papst und sein Hof haben nach den Garantiegesetzen ein solches Maß von Sicherheit und Freiheit, und die italienische Regierung verführt praktisch so peinlich behutsam und korrekt, daß sich daraus mit der Zeit folgender merkwürdige Zustand er¬ geben hat. Die Kurie schadet dem Staat, der sie schützen muß, wo sie kann, in schwierigen innern Angelegenheiten, in Fragen auswärtiger Politik, öffent¬ lich und im Verborgnen, und der Staat ist wehrlos, denn der Angreifer ist durch seine Waffen und durch seine Exemtion gleichermaßen gegen ihn im Vorteil. Man weiß, wie schwer die italienische Staatsleitnng an diesem Ge¬ wicht zu tragen hat, es will sich sogar die Meinung einzelner Kreise nicht beschwichtigen lassen, der pflichttreue und gemütswarme König Humbert sei, tief verstimmt über die Ränke seiner Kirche, längst heimlich für seine Person zum evangelischem Glauben übergetreten. Von solchen Zuständen konnte niemand in den ersten Jahren nach 1870 etwas ahnen, sie sind der Erfolg der Politischen Kunst Leos XIII. Über Leos Erfolge in Deutschland brauchen wir nun kein Wort mehr zu verlieren. Wie gut sich aber die Kurie mit der französischen Republik trotz der anfänglich großen Schwierigkeiten und der sich immer wieder erhebenden, wie es schien, nicht ausgleichbaren Differenzen schließlich gestellt hat, erfahren wir fast täglich. Das ist doch wahrhaftig eine politische Kombination, mit der als dem Ergebnis seiner Staatskunst der Papst zufrieden sein kann. Und er ist es auch sicherlich, und die Kurie mit ihm, aber die traurigen Gesichter und der Habitus des Gefangnen gehören nun einmal zum Ritus, genau wie für deu türkischen Sultan die niedergebeugte Haltung, wenn er sich, angeblich von Regierungssorgen belastet, öffentlich seinem Volte zeigt. Und diese Gesichter werden nach außen hin weiter gemacht werden, und die Politik wird weiter wachsen und nach so schönen Erfolgen noch mehr verlangen. In Rankes Geschichte der Päpste sindet sich (noch 1889) folgende, schon um ihrer eigentümlichen Fassung willen merkwürdige Stelle. «In denselben Tagen, in welchen der Papst seine Jnfallibilität verkünden ließ und bestätigte, brach der Krieg zwischen Frankreich und Preußen aus. Mit Bestimmtheit finde ich nicht(!), daß bei der französischen Aggression religiöse Motive mitgewirkt haben. Aber wer wollte sagen, wohin es geführt hätte, wenn das Glück der Waffen zu Gunsten der katholischen Nation ausgefallen wäre, welches neue Übergewicht dem Papsttum. auch in der Haltung, die es annahm, dadurch hätte zu teil werden können?" Wir bezweifeln, daß dies vorausgesetzte Übergewicht das politische Papsttum stärker hätte machen können, als es heute ist. Es liegt Italien schwer im Magen, und schon mancher hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/541>, abgerufen am 28.12.2024.