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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Einiges von der deutschen Rechtseinheit

des Hauswirth. Bis zum 1. Oktober 1894 hatte der Hauswirt das Recht,
seinen mit der Mietzahluug säumigen Mieter nackt auf die Straße zu setzen --
buchstäblich und thatsächlich nackt, denn dem Zurückbehaltungsrechte des Ver¬
mieters unterlagen auch die der Zwangsvollstreckung entzvgnen notwendigsten
Kleidungsstücke und sonstigen Sachen des Mieters. Das Gesetz vom 12. Juni
1894 hat sür Preußen das Pfandrecht des Vermieters auf die entbehrlichen
Vermögensstücke des Mieters beschränkt, und in diesem Umfange ist es in das
bürgerliche Gesetzbuch übergegangen. Seine geschichtliche Quelle hat dieses
Recht in Rom; es stammt aus einer Zeit, wo nur der besitzlose "Proletarier"
zur Miete zu wohnen pflegte. Man kann billig fragen, ob es darnach für
unsre Zeit überhaupt noch berechtigt sei; die Begründung des bürgerlichen
Gesetzbuchs meint, daß seine Beseitigung infolge der geschmälerten Sicherheit
des Hauswirth eine allzu große Steigerung der Wohnungspreise befürchten
lasse. Wie verschiedner Ansicht man darüber sein kann, zeigt das Verhalten
der deutschsozialeu Reformpartei, die dem Pfandrechte des Vermieters sogar
den frühern unbegrenzten Umfang geben wollte. Im Anschluß an ein Reichs¬
gesetz von 1894 giebt das bürgerliche Gesetzbuch dem Hauswirt das Zurück-
behaltungsrecht und damit den Vorzug vor den sonstigen Gläubigern nur sür
den wirklich abgewohuteu Mietzins, uicht für künftige Entschädigungsforde-
rungcn. Die praktische Wichtigkeit dieser Vorschrift werden viele Geschäftsleute
ein eignen Erfahrungen ermessen können. Die Eröffnung des Konkurses bietet
die Möglichkeit, auch einen langjährigen Mietvertrag in kurzer Frist auf¬
zukündigen; früher gingen in solchen Fällen, wie z. B. vor mehreren Jahren
beim Zusammenbruche des Nonachertheaters, gerade die kleinern Lieferanten
leer aus, weil vor ihnen an erster Stelle der Vermieter mit seiner vollen Ent-
schädiguugsfvrderung für die gesamte Vertragsdauer sichergestellt werde" mußte;
jetzt erhält der Vermieter nur die bereits abgewohnte Miete vorweg, bei
seiner Entschädigungsforderuug muß er mit allen andern Gläubigern teilen.
Auch durch ausdrückliche Vertrngsbestimmung kann sich der Vermieter für
diesen Fall nicht besser sichern; denn er hat an den Sachen des Mieters keinen
Besitz und demnach kein Pfandrecht.

Ob das vom Reichstage schließlich durchgesetzte handschriftliche Testament
(es genügt fortan zur Testamentserrichtung "eine von dem Erblasser unter
Angabe des Ortes und Tages eigenhändig geschriebne und uutcrschriebne Er¬
klärung") mehr Nutzen oder mehr Schaden stiften wird, muß die Zukunft
lehren; der landrcchtliche Jurist, gewöhnt an die vorsichtige Förmlichkeit des
gerichtlichen Testaments, wird der neuen Einrichtung natürlich mit einigem
Mißtrauen gegenüberstehen. Immerhin ist damit gerade bei bescheidner" Ver¬
hältnissen eine bequeme Möglichkeit geschaffen, ohne Umstünde und Kosten
letztwillige Verfügungen zu treffen, z. V. der Witwe den Nießbrauch des Nach¬
lasses auf Lebenszeit zu sichern und dergleichen.


Einiges von der deutschen Rechtseinheit

des Hauswirth. Bis zum 1. Oktober 1894 hatte der Hauswirt das Recht,
seinen mit der Mietzahluug säumigen Mieter nackt auf die Straße zu setzen —
buchstäblich und thatsächlich nackt, denn dem Zurückbehaltungsrechte des Ver¬
mieters unterlagen auch die der Zwangsvollstreckung entzvgnen notwendigsten
Kleidungsstücke und sonstigen Sachen des Mieters. Das Gesetz vom 12. Juni
1894 hat sür Preußen das Pfandrecht des Vermieters auf die entbehrlichen
Vermögensstücke des Mieters beschränkt, und in diesem Umfange ist es in das
bürgerliche Gesetzbuch übergegangen. Seine geschichtliche Quelle hat dieses
Recht in Rom; es stammt aus einer Zeit, wo nur der besitzlose „Proletarier"
zur Miete zu wohnen pflegte. Man kann billig fragen, ob es darnach für
unsre Zeit überhaupt noch berechtigt sei; die Begründung des bürgerlichen
Gesetzbuchs meint, daß seine Beseitigung infolge der geschmälerten Sicherheit
des Hauswirth eine allzu große Steigerung der Wohnungspreise befürchten
lasse. Wie verschiedner Ansicht man darüber sein kann, zeigt das Verhalten
der deutschsozialeu Reformpartei, die dem Pfandrechte des Vermieters sogar
den frühern unbegrenzten Umfang geben wollte. Im Anschluß an ein Reichs¬
gesetz von 1894 giebt das bürgerliche Gesetzbuch dem Hauswirt das Zurück-
behaltungsrecht und damit den Vorzug vor den sonstigen Gläubigern nur sür
den wirklich abgewohuteu Mietzins, uicht für künftige Entschädigungsforde-
rungcn. Die praktische Wichtigkeit dieser Vorschrift werden viele Geschäftsleute
ein eignen Erfahrungen ermessen können. Die Eröffnung des Konkurses bietet
die Möglichkeit, auch einen langjährigen Mietvertrag in kurzer Frist auf¬
zukündigen; früher gingen in solchen Fällen, wie z. B. vor mehreren Jahren
beim Zusammenbruche des Nonachertheaters, gerade die kleinern Lieferanten
leer aus, weil vor ihnen an erster Stelle der Vermieter mit seiner vollen Ent-
schädiguugsfvrderung für die gesamte Vertragsdauer sichergestellt werde» mußte;
jetzt erhält der Vermieter nur die bereits abgewohnte Miete vorweg, bei
seiner Entschädigungsforderuug muß er mit allen andern Gläubigern teilen.
Auch durch ausdrückliche Vertrngsbestimmung kann sich der Vermieter für
diesen Fall nicht besser sichern; denn er hat an den Sachen des Mieters keinen
Besitz und demnach kein Pfandrecht.

Ob das vom Reichstage schließlich durchgesetzte handschriftliche Testament
(es genügt fortan zur Testamentserrichtung „eine von dem Erblasser unter
Angabe des Ortes und Tages eigenhändig geschriebne und uutcrschriebne Er¬
klärung") mehr Nutzen oder mehr Schaden stiften wird, muß die Zukunft
lehren; der landrcchtliche Jurist, gewöhnt an die vorsichtige Förmlichkeit des
gerichtlichen Testaments, wird der neuen Einrichtung natürlich mit einigem
Mißtrauen gegenüberstehen. Immerhin ist damit gerade bei bescheidner» Ver¬
hältnissen eine bequeme Möglichkeit geschaffen, ohne Umstünde und Kosten
letztwillige Verfügungen zu treffen, z. V. der Witwe den Nießbrauch des Nach¬
lasses auf Lebenszeit zu sichern und dergleichen.


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[0507] Einiges von der deutschen Rechtseinheit des Hauswirth. Bis zum 1. Oktober 1894 hatte der Hauswirt das Recht, seinen mit der Mietzahluug säumigen Mieter nackt auf die Straße zu setzen — buchstäblich und thatsächlich nackt, denn dem Zurückbehaltungsrechte des Ver¬ mieters unterlagen auch die der Zwangsvollstreckung entzvgnen notwendigsten Kleidungsstücke und sonstigen Sachen des Mieters. Das Gesetz vom 12. Juni 1894 hat sür Preußen das Pfandrecht des Vermieters auf die entbehrlichen Vermögensstücke des Mieters beschränkt, und in diesem Umfange ist es in das bürgerliche Gesetzbuch übergegangen. Seine geschichtliche Quelle hat dieses Recht in Rom; es stammt aus einer Zeit, wo nur der besitzlose „Proletarier" zur Miete zu wohnen pflegte. Man kann billig fragen, ob es darnach für unsre Zeit überhaupt noch berechtigt sei; die Begründung des bürgerlichen Gesetzbuchs meint, daß seine Beseitigung infolge der geschmälerten Sicherheit des Hauswirth eine allzu große Steigerung der Wohnungspreise befürchten lasse. Wie verschiedner Ansicht man darüber sein kann, zeigt das Verhalten der deutschsozialeu Reformpartei, die dem Pfandrechte des Vermieters sogar den frühern unbegrenzten Umfang geben wollte. Im Anschluß an ein Reichs¬ gesetz von 1894 giebt das bürgerliche Gesetzbuch dem Hauswirt das Zurück- behaltungsrecht und damit den Vorzug vor den sonstigen Gläubigern nur sür den wirklich abgewohuteu Mietzins, uicht für künftige Entschädigungsforde- rungcn. Die praktische Wichtigkeit dieser Vorschrift werden viele Geschäftsleute ein eignen Erfahrungen ermessen können. Die Eröffnung des Konkurses bietet die Möglichkeit, auch einen langjährigen Mietvertrag in kurzer Frist auf¬ zukündigen; früher gingen in solchen Fällen, wie z. B. vor mehreren Jahren beim Zusammenbruche des Nonachertheaters, gerade die kleinern Lieferanten leer aus, weil vor ihnen an erster Stelle der Vermieter mit seiner vollen Ent- schädiguugsfvrderung für die gesamte Vertragsdauer sichergestellt werde» mußte; jetzt erhält der Vermieter nur die bereits abgewohnte Miete vorweg, bei seiner Entschädigungsforderuug muß er mit allen andern Gläubigern teilen. Auch durch ausdrückliche Vertrngsbestimmung kann sich der Vermieter für diesen Fall nicht besser sichern; denn er hat an den Sachen des Mieters keinen Besitz und demnach kein Pfandrecht. Ob das vom Reichstage schließlich durchgesetzte handschriftliche Testament (es genügt fortan zur Testamentserrichtung „eine von dem Erblasser unter Angabe des Ortes und Tages eigenhändig geschriebne und uutcrschriebne Er¬ klärung") mehr Nutzen oder mehr Schaden stiften wird, muß die Zukunft lehren; der landrcchtliche Jurist, gewöhnt an die vorsichtige Förmlichkeit des gerichtlichen Testaments, wird der neuen Einrichtung natürlich mit einigem Mißtrauen gegenüberstehen. Immerhin ist damit gerade bei bescheidner» Ver¬ hältnissen eine bequeme Möglichkeit geschaffen, ohne Umstünde und Kosten letztwillige Verfügungen zu treffen, z. V. der Witwe den Nießbrauch des Nach¬ lasses auf Lebenszeit zu sichern und dergleichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/507>, abgerufen am 29.12.2024.