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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Liniges von der deutschen Rechtseinheit

fallen lassen, daß ihn der Hauswirt "exmittirt" und von ihm die Miete für
die gesamte noch aufstehende Vertragsdauer fordert, wenn es nicht gelingt, die
Wohnung anderweit ebenso vorteilhaft zu vermieten. Die Unbilligkeit und
Einseitigkeit dieses Rechts liegt auf der Hand, zumal nach den in Berlin ge¬
bräuchlichen Vertragsformularen, wo das Recht der "Exmission" auch an Ver¬
stöße gegen die sogenannte Hausordnung geknüpft ist. Thatsächlich ist gegen
eine Berliner Exmissionsklage nicht das mindeste auszurichten, wenn etwa das
Dienstmädchen in der Küche Holz hackt oder ein Betttuch trocknet, in Holz¬
pantoffeln die Treppe hinunterläuft oder den Boden mit unverwahrtem Lichte
betritt. In Berliner Juristcnkreisen erzählt man sich noch heutiges Tags,
daß es in den Gründerjahren einem Hauswirte geglückt ist, einen Mieter wegen
des Besitzes eines Kanarienvogels zu exmittiren, denn in der Hausordnung
war "das Halten von Haustieren" verboten. Das starre Recht zur Exmission
-- ohne jede Rücksicht auf ein besondres Interesse, das der Hauswirt immer¬
hin an der Entfernung gerade dieses Mieters haben könnte -- ist an sich
schon als Härte zu bezeichnen; daß aber der Hauswirt das Recht haben soll,
dem Mieter die Nutzung der Wohnung zu entziehen und trotzdem -- unter
Umständen -- die volle vertragsmäßige Vergütung zu verlangen, ist eine der
größten Unbegreiflichkeiten der modernen Rechtsentwicklung.

Das bürgerliche Gesetzbuch behält das gesetzliche Exmissionsrecht nur in
zwei Fällen bei, gegen die sich billigerweise nichts einwenden läßt (Mißbrauch
oder Gefährdung der Wohnung trotz Abmahnung, und Mietrückstand für zwei
Termine); uach seinen Vorschriften kann aber der Hauswirt für die Zeit nach
der Exmission keine Miete fordern und muß den für diese Zeit im voraus
bezahlten Mietzins zurückgeben. Der Vermieter ist also fortan vor die Wahl
gestellt, ob er lieber, trotz der Verstöße, den bisherigen Mieter behalten oder
seinen eignen Geldbeutel vor das Wagnis einer Neuvermietung stellen will.
Bei der Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs wurde angenommen, daß durch
besondre Vertragsbestimmnng auch künftig bedungen werden könne, der Mieter
solle auch nach der Exmission für den Mietausfall haften; hiergegen bietet der
§ 138 (Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das gegen die guten Sitten verstößt
oder wucherische Vermögensvorteile gewährt) und der 8 343 Absatz 2, der
dem Richter die Befugnis giebt, eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe
auf den angemessenen Betrag herabzusetzen, genügende Abhilfe. Die letztere
Bestimmung trifft nicht nur die erörterte Weiterhaftung des Mieters, sondern
auch die Exmissionsklausel überhaupt und bietet damit dem Richter die bisher
oft schmerzlich vermißte Möglichkeit, jede vertragsmäßige Exmissionsklausel der
Berliner Mietverträge in die Schranken der Billigkeit und der berechtigten
Interessen des Hauswirth zurückzuweisen. Denn die Exmission ist eben nichts
andres als eine Vertragsstrafe.

In engster Verbindung mit der Exmission steht das "Retentionsrecht"


Liniges von der deutschen Rechtseinheit

fallen lassen, daß ihn der Hauswirt „exmittirt" und von ihm die Miete für
die gesamte noch aufstehende Vertragsdauer fordert, wenn es nicht gelingt, die
Wohnung anderweit ebenso vorteilhaft zu vermieten. Die Unbilligkeit und
Einseitigkeit dieses Rechts liegt auf der Hand, zumal nach den in Berlin ge¬
bräuchlichen Vertragsformularen, wo das Recht der „Exmission" auch an Ver¬
stöße gegen die sogenannte Hausordnung geknüpft ist. Thatsächlich ist gegen
eine Berliner Exmissionsklage nicht das mindeste auszurichten, wenn etwa das
Dienstmädchen in der Küche Holz hackt oder ein Betttuch trocknet, in Holz¬
pantoffeln die Treppe hinunterläuft oder den Boden mit unverwahrtem Lichte
betritt. In Berliner Juristcnkreisen erzählt man sich noch heutiges Tags,
daß es in den Gründerjahren einem Hauswirte geglückt ist, einen Mieter wegen
des Besitzes eines Kanarienvogels zu exmittiren, denn in der Hausordnung
war „das Halten von Haustieren" verboten. Das starre Recht zur Exmission
— ohne jede Rücksicht auf ein besondres Interesse, das der Hauswirt immer¬
hin an der Entfernung gerade dieses Mieters haben könnte — ist an sich
schon als Härte zu bezeichnen; daß aber der Hauswirt das Recht haben soll,
dem Mieter die Nutzung der Wohnung zu entziehen und trotzdem — unter
Umständen — die volle vertragsmäßige Vergütung zu verlangen, ist eine der
größten Unbegreiflichkeiten der modernen Rechtsentwicklung.

Das bürgerliche Gesetzbuch behält das gesetzliche Exmissionsrecht nur in
zwei Fällen bei, gegen die sich billigerweise nichts einwenden läßt (Mißbrauch
oder Gefährdung der Wohnung trotz Abmahnung, und Mietrückstand für zwei
Termine); uach seinen Vorschriften kann aber der Hauswirt für die Zeit nach
der Exmission keine Miete fordern und muß den für diese Zeit im voraus
bezahlten Mietzins zurückgeben. Der Vermieter ist also fortan vor die Wahl
gestellt, ob er lieber, trotz der Verstöße, den bisherigen Mieter behalten oder
seinen eignen Geldbeutel vor das Wagnis einer Neuvermietung stellen will.
Bei der Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs wurde angenommen, daß durch
besondre Vertragsbestimmnng auch künftig bedungen werden könne, der Mieter
solle auch nach der Exmission für den Mietausfall haften; hiergegen bietet der
§ 138 (Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das gegen die guten Sitten verstößt
oder wucherische Vermögensvorteile gewährt) und der 8 343 Absatz 2, der
dem Richter die Befugnis giebt, eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe
auf den angemessenen Betrag herabzusetzen, genügende Abhilfe. Die letztere
Bestimmung trifft nicht nur die erörterte Weiterhaftung des Mieters, sondern
auch die Exmissionsklausel überhaupt und bietet damit dem Richter die bisher
oft schmerzlich vermißte Möglichkeit, jede vertragsmäßige Exmissionsklausel der
Berliner Mietverträge in die Schranken der Billigkeit und der berechtigten
Interessen des Hauswirth zurückzuweisen. Denn die Exmission ist eben nichts
andres als eine Vertragsstrafe.

In engster Verbindung mit der Exmission steht das „Retentionsrecht"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/506>, abgerufen am 03.07.2024.