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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Moderne Novellen

kommen kaum vor, sogar ein wirkliches Herzogspaar geht über die Bühne.
Alles ist echt, treu, nur zu treu. Das äußere Genußleben dieser bevorzugten
Menschen erregt in den zunächst darunter sich anschließenden nicht nur Neid,
wie etwa in den ganz unten stehenden, sondern auch die Aufmerksamkeit eines
unbeteiligten, mehr ästhetischen Interesses. Realistischer als hier können sich
nicht vorgeführt bekommen, und wenn dieses ganze Treiben anch unsäglich ober¬
flächlich ist: anziehender als der Realismus der "Lene" von Krauß ist dieser
Realismus der höchsten Schicht für die meisten Leser immerhin, weil sie sich
schließlich den vornehmen Leuten von Berlin doch noch verwandter fühlen als
den rohen Bauern des Egerlandes. Also in dieser ausführlichen Abschilderung
eines äußerlichen "Milieu" liegt das Charakteristische des Romans. Es ist
etwas neues in seiner Art. Nun ist aber der Verfasser übrigens nicht nur
ein Schilderer von Äußerlichkeiten, er hat z. B. früher in seinem "Sylvester
von Geyer" ein sehr anziehendes und bewegendes Lebensbild eines frühver¬
storbnen jungen sächsischen Offiziers gegeben, das große Anerkennung gefunden
hat, und er würde wahrscheinlich nicht damit einverstanden sein, wenn sich der
Leser nicht bemühte, in "Maria da Cciza" noch etwas weiteres zu suchen als
Beschreibung von Nennen, Gesellschaften und Duellen. Wir müssen also dem
innern Leben seiner Menschen einige Beobachtungen widmen. Die meisten
sind zwar nur Statisten ohne den Inhalt einer Rolle. Das wird also, da
der Verfasser hierin Kenner ist, den Verhältnissen entsprechen. Daß z. B. von
Lektüre oder Litteratur nie die Rede ist und von Kunst nur, soweit man "zu
Schulte" geht, daß Musik nur als Begleitung zu lebenden Bildern in Frage
kommt, daß man Opern "sieht," die man früher zu "hören" pflegte, wenn man
sich nicht ungebildet ausdrücken wollte, das alles wird in dem "Milieu" liegen,
worüber der Verfasser nicht hinausgehen durste. Besonders schwer ist es, in
diesem Milieu "Geist," wovon doch oft gesprochen werden muß, auch zu zeigen
in seiner Wirkung, sodaß wir überzeugt werden. Die ältern Romanschreiber
griffen wohl, wenn sie die Blume davou geben wollten, zu einem selten ver¬
sagenden Mittel und flochten etwa ein treffendes Goethisches Zitat ein, auch
wohl einen ganzen Vers, sodaß jedermann einen Eindruck hatte oder doch
seiner Bildung zu Ehren zu haben schien. In diesen Kreisen würde das
Mittel nicht verstanden werden; man ist da mit sehr wenigem zufrieden.
Maria da Cciza sieht z. B. bei Schulte das Bild eines jungen Mannes, der
in ihrem Hause verkehrt, eine Landschaft mit der Unterschrift "Müde" und
sucht, um sich das verständlich zu machen, vergebens nach einer ruhenden, er¬
müdeten Figur darin, bis ihr der Attache auseinandersetzt, die Müdigkeit liege
in der Landschaft selbst, und es sei gerade das Feine, daß diese gar keine
Staffage habe. Maria findet das, was jeder Berliner Kommerzienratstochter
selbstverständlich vorkommen würde, geistvoll und ein Zeichen von der Gemttts-
bildnng ihres Verehrers, der Verfasser läßt sie noch zweimal auf dieses Er-


Moderne Novellen

kommen kaum vor, sogar ein wirkliches Herzogspaar geht über die Bühne.
Alles ist echt, treu, nur zu treu. Das äußere Genußleben dieser bevorzugten
Menschen erregt in den zunächst darunter sich anschließenden nicht nur Neid,
wie etwa in den ganz unten stehenden, sondern auch die Aufmerksamkeit eines
unbeteiligten, mehr ästhetischen Interesses. Realistischer als hier können sich
nicht vorgeführt bekommen, und wenn dieses ganze Treiben anch unsäglich ober¬
flächlich ist: anziehender als der Realismus der „Lene" von Krauß ist dieser
Realismus der höchsten Schicht für die meisten Leser immerhin, weil sie sich
schließlich den vornehmen Leuten von Berlin doch noch verwandter fühlen als
den rohen Bauern des Egerlandes. Also in dieser ausführlichen Abschilderung
eines äußerlichen „Milieu" liegt das Charakteristische des Romans. Es ist
etwas neues in seiner Art. Nun ist aber der Verfasser übrigens nicht nur
ein Schilderer von Äußerlichkeiten, er hat z. B. früher in seinem „Sylvester
von Geyer" ein sehr anziehendes und bewegendes Lebensbild eines frühver¬
storbnen jungen sächsischen Offiziers gegeben, das große Anerkennung gefunden
hat, und er würde wahrscheinlich nicht damit einverstanden sein, wenn sich der
Leser nicht bemühte, in „Maria da Cciza" noch etwas weiteres zu suchen als
Beschreibung von Nennen, Gesellschaften und Duellen. Wir müssen also dem
innern Leben seiner Menschen einige Beobachtungen widmen. Die meisten
sind zwar nur Statisten ohne den Inhalt einer Rolle. Das wird also, da
der Verfasser hierin Kenner ist, den Verhältnissen entsprechen. Daß z. B. von
Lektüre oder Litteratur nie die Rede ist und von Kunst nur, soweit man „zu
Schulte" geht, daß Musik nur als Begleitung zu lebenden Bildern in Frage
kommt, daß man Opern „sieht," die man früher zu „hören" pflegte, wenn man
sich nicht ungebildet ausdrücken wollte, das alles wird in dem „Milieu" liegen,
worüber der Verfasser nicht hinausgehen durste. Besonders schwer ist es, in
diesem Milieu „Geist," wovon doch oft gesprochen werden muß, auch zu zeigen
in seiner Wirkung, sodaß wir überzeugt werden. Die ältern Romanschreiber
griffen wohl, wenn sie die Blume davou geben wollten, zu einem selten ver¬
sagenden Mittel und flochten etwa ein treffendes Goethisches Zitat ein, auch
wohl einen ganzen Vers, sodaß jedermann einen Eindruck hatte oder doch
seiner Bildung zu Ehren zu haben schien. In diesen Kreisen würde das
Mittel nicht verstanden werden; man ist da mit sehr wenigem zufrieden.
Maria da Cciza sieht z. B. bei Schulte das Bild eines jungen Mannes, der
in ihrem Hause verkehrt, eine Landschaft mit der Unterschrift „Müde" und
sucht, um sich das verständlich zu machen, vergebens nach einer ruhenden, er¬
müdeten Figur darin, bis ihr der Attache auseinandersetzt, die Müdigkeit liege
in der Landschaft selbst, und es sei gerade das Feine, daß diese gar keine
Staffage habe. Maria findet das, was jeder Berliner Kommerzienratstochter
selbstverständlich vorkommen würde, geistvoll und ein Zeichen von der Gemttts-
bildnng ihres Verehrers, der Verfasser läßt sie noch zweimal auf dieses Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/476>, abgerufen am 24.07.2024.