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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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eignis und den "tiefen Sinn" (S. 103) dieser Erklärung zurückkommen. Wir
haben alles Vertrauen zu der Treue der Schilderung, aber wenn das Niveau
einmal so ist und nicht anders, so, meinen wir, müßte ein Verfasser entweder
Ausdrücke, die andres bedeuten, überhaupt vermeiden oder doch zeigen, daß er
für seine Person diesen Sprachgebrauch nicht mitmacht. Denn wenn ein Kreis
von Menschen hauptsächlich an Pferde, feinern Klatsch und "Pvussiren" denkt,
sich darin nicht nur ganz befriedigt fühlt, sondern auch Geist zu entfalten
meint, so geht die Anerkennung dieses Geistes "unter Kameraden" zwar keinen
andern etwas an, darüber hinaus aber, wo andre Vorstellungen herrschen, sie
durchzusetzen, einem Leserkreis als Schriftsteller sie plausibel zu machen, diese
Illusion ist unmöglich, und wenn der Schriftsteller Eugelzungen hätte. Maria
da Caza hat einen sehr ehrenwerten Berater, einen äußerlich bescheidnen, vor¬
nehm gesinnten Grafen, der zugleich der Jugendfreund ihres Geliebten ist; er
und seine Frau sind die einzigen menschlich angenehmen Glieder des Kreises,
bei ihnen allein wird auch hinter der Tapete einmal ein Kind hörbar, übrigens
kann man in diesen Räumen begreiflicherweise keine Kinder brauchen. Nun
scheint es uns fast unglaublich, daß Graf Selbotten der Maria geraten haben
sollte, sich die ersten Tage in München in den Bildersammlungen zu zerstreuen,
denn die Ruhe Berchtesgadens, jetzt, wo der große Fremdenverkehr noch nicht
stattfinde, könne gerade für ihre verwundete Seele gefährlich werden. Hütte
er das wirkliche Leben gekannt, so würde ihn dieses gelehrt haben, daß Bilder¬
besehen etwas ganz unnützes und gleichgültiges ist für den Menschen in dem
Augenblick, wo sich dieser, eben wie Maria, selbst sein Leben zertrümmert hat.
Aber noch mehr! Herr da Caza wird als ein durchaus korrekter Mann ge¬
schildert, er und seine Gattin haben sich einander nichts vorzuwerfen, und
seine Rennstallpassionen sind am Ende nichts schlechteres als ihre Eitelkeiten;
jeder will dadurch etwas erreichen, er vornehmen Umgang, sie Anbeter. Sie
hat darum auch vor der Welt keinen Grund, sich von ihm zu trennen, und
Graf Selbotten, dem das Doppelspiel äußerlich anstößig ist, empfiehlt ihr,
den Mann zu verlassen, damit ein Fall geschaffen werde, der schließlich zur
Scheidung führen könne. Aber wie kann nun, als das alles ins Werk gesetzt
Wird, und die Hauptperson, der Attachv, nicht sicher scheint, Graf Selbotten
der darüber allein unglücklichen Frau vorreden: "Aber Sie trifft doch keine
Schuld, gnädige Frau," und als sie in einem ganz richtigen Gefühl antwortet:
"Im Gegenteil, ich muß alle Schuld übernehmen, sonst könnten wir ja nicht
geschieden werden," ihr erwidern: "Ach was, Sie dürfen sich keine Gedanken
darüber machen. Wer Sie kennt, der weiß ganz genau, wie die Sache liegt,
und wer Sie nicht kennt, der mag doch reden, was er will." Wo bleibt du
nicht etwa die Moral, die ja hier nichts mehr zu suchen hat, sondern die
Logik? Und uun kommen wir noch auf das psychologische Problem, wenn es
überhaupt eins ist. Was zieht Maria zu dem Attachv? Er benimmt sich


eignis und den „tiefen Sinn" (S. 103) dieser Erklärung zurückkommen. Wir
haben alles Vertrauen zu der Treue der Schilderung, aber wenn das Niveau
einmal so ist und nicht anders, so, meinen wir, müßte ein Verfasser entweder
Ausdrücke, die andres bedeuten, überhaupt vermeiden oder doch zeigen, daß er
für seine Person diesen Sprachgebrauch nicht mitmacht. Denn wenn ein Kreis
von Menschen hauptsächlich an Pferde, feinern Klatsch und „Pvussiren" denkt,
sich darin nicht nur ganz befriedigt fühlt, sondern auch Geist zu entfalten
meint, so geht die Anerkennung dieses Geistes „unter Kameraden" zwar keinen
andern etwas an, darüber hinaus aber, wo andre Vorstellungen herrschen, sie
durchzusetzen, einem Leserkreis als Schriftsteller sie plausibel zu machen, diese
Illusion ist unmöglich, und wenn der Schriftsteller Eugelzungen hätte. Maria
da Caza hat einen sehr ehrenwerten Berater, einen äußerlich bescheidnen, vor¬
nehm gesinnten Grafen, der zugleich der Jugendfreund ihres Geliebten ist; er
und seine Frau sind die einzigen menschlich angenehmen Glieder des Kreises,
bei ihnen allein wird auch hinter der Tapete einmal ein Kind hörbar, übrigens
kann man in diesen Räumen begreiflicherweise keine Kinder brauchen. Nun
scheint es uns fast unglaublich, daß Graf Selbotten der Maria geraten haben
sollte, sich die ersten Tage in München in den Bildersammlungen zu zerstreuen,
denn die Ruhe Berchtesgadens, jetzt, wo der große Fremdenverkehr noch nicht
stattfinde, könne gerade für ihre verwundete Seele gefährlich werden. Hütte
er das wirkliche Leben gekannt, so würde ihn dieses gelehrt haben, daß Bilder¬
besehen etwas ganz unnützes und gleichgültiges ist für den Menschen in dem
Augenblick, wo sich dieser, eben wie Maria, selbst sein Leben zertrümmert hat.
Aber noch mehr! Herr da Caza wird als ein durchaus korrekter Mann ge¬
schildert, er und seine Gattin haben sich einander nichts vorzuwerfen, und
seine Rennstallpassionen sind am Ende nichts schlechteres als ihre Eitelkeiten;
jeder will dadurch etwas erreichen, er vornehmen Umgang, sie Anbeter. Sie
hat darum auch vor der Welt keinen Grund, sich von ihm zu trennen, und
Graf Selbotten, dem das Doppelspiel äußerlich anstößig ist, empfiehlt ihr,
den Mann zu verlassen, damit ein Fall geschaffen werde, der schließlich zur
Scheidung führen könne. Aber wie kann nun, als das alles ins Werk gesetzt
Wird, und die Hauptperson, der Attachv, nicht sicher scheint, Graf Selbotten
der darüber allein unglücklichen Frau vorreden: „Aber Sie trifft doch keine
Schuld, gnädige Frau," und als sie in einem ganz richtigen Gefühl antwortet:
»Im Gegenteil, ich muß alle Schuld übernehmen, sonst könnten wir ja nicht
geschieden werden," ihr erwidern: „Ach was, Sie dürfen sich keine Gedanken
darüber machen. Wer Sie kennt, der weiß ganz genau, wie die Sache liegt,
und wer Sie nicht kennt, der mag doch reden, was er will." Wo bleibt du
nicht etwa die Moral, die ja hier nichts mehr zu suchen hat, sondern die
Logik? Und uun kommen wir noch auf das psychologische Problem, wenn es
überhaupt eins ist. Was zieht Maria zu dem Attachv? Er benimmt sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/477>, abgerufen am 29.12.2024.