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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Moderne Novellen

nichts anmutend oder auch nur anziehend, genau wie die bekannten Bilder der
modernen Armeleutmalerei. Wer diese Kunst liebt, dem wird auch diese
Litteratur zusagen. Es ist. um es mit einem Worte zu sagen, die Frage
eines Prinzips. Zu tadeln ist an dem Roman nichts für den, der sich mit
seinen Voraussetzungen einverstanden erklärt hat.

Ebenso realistisch wie dieser, nur nach dem Kreise des Lebens, in dem er
sich bewegt, sein gerades Widerspiel ist ein Roman von Georg Freiherrn
von Ompteda, Maria da Cazci (derselbe Verlag). Er sührt uns in das
Gesellschaftsleben der vornehmen Leute. Die Fabel ist ungemein einfach.
Maria ist die schöne, stolze, nicht sehr tiefe Frau eines fast unglaublich reichen
Rennstallbesitzers in Berlin, eines "Rennonkels" ohne gesellschaftliche Ver¬
gangenheit, der aus seinem Stall vornehmen Kavallerieoffizieren Rennen "giebt,"
dadurch das einzige, wofür er Sinn hat, höhern Umgang, erreicht und noch
höhern erstrebt, der die Herrin seines Hauses tadellos behandelt, sich aber
innerlich ebenso wenig um sie kümmert, wie sie um ihn. Sie entschädigt sich
sür diesen Mangel in dem großen Glänze eines verschwenderischen Lebens und
in dem stolzen Bewußtsein, die Schönste zu sein. Sie verliebt sich in einen
Gesandtschaftsattachv, verläßt im Einverständnis mit diesem das Hans ihres
Mannes und reist nach München. Der junge Graf kann ihr zunächst nicht
folgen und fängt, während sie sehnsüchtig auf Briefe von ihm wartet, einen
neuen Flirt an, wird dann von Herrn da Caza gefordert und fällt im
Grünewald. Maria ist namenlos unglücklich und empfängt die Todesnachricht
mit den Worten, mit denen der Roman schließt: "Aber vielleicht wäre ich
noch unglücklicher geworden, als ich jetzt bin." Daß ihr diese Einsicht, die
jeder urteilsfähige Leser von vornherein gehabt haben wird, erst so spät kommt,
daran hängt die Möglichkeit des ganzen Romans. Ihn bis zu dieser sehr
schnell hereinbrechenden Katastrophe zu solchem Umsange anwachsen zu lassen
und den engen Rahmen mit so viel Thatsachen auszufüllen, war nur möglich
dadurch, daß die ausführliche Erzählung des ganz äußerlichen Gesellschafts¬
treibens zur Hauptsache in dem Buche wurde. Die Rennen in Karlshorst
mit allem technischen Zubehör, die Diners und die lebende" Bilder in der
Villa der Tiergartenstraße, ein Duell im Grünewald mit allen Vorbereitungen,
in seinem ganzen Verlauf einschließlich eines wörtlich mitgeteilten Protokolls,
wer das alles nicht kennt oder nur vou Hörensagen kennen gelernt hat, der
findet es hier mustergiltig beschrieben. Der Verfasser als ehemaliger Kavcillerie-
vffizier ist mit diesen Dingen vertraut, unsre ältern Romanschreiber waren es
nicht, weil sie das Leben der betreffenden Kreise doch nur vou fern angesehen
hatten, darum waren ihre Schilderungen, wenn sie sich auf dieses Gebiet wagten,
romanhaft und farblos. Sie standen darin z. B. den Franzosen nach, die schon
eher mit einem Pferd oder einer Pistole umzugehen wußten. Herrn Ompteda
sind die Grafen und Bnrvne alltägliche Erscheinungen, bürgerliche Personen


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nichts anmutend oder auch nur anziehend, genau wie die bekannten Bilder der
modernen Armeleutmalerei. Wer diese Kunst liebt, dem wird auch diese
Litteratur zusagen. Es ist. um es mit einem Worte zu sagen, die Frage
eines Prinzips. Zu tadeln ist an dem Roman nichts für den, der sich mit
seinen Voraussetzungen einverstanden erklärt hat.

Ebenso realistisch wie dieser, nur nach dem Kreise des Lebens, in dem er
sich bewegt, sein gerades Widerspiel ist ein Roman von Georg Freiherrn
von Ompteda, Maria da Cazci (derselbe Verlag). Er sührt uns in das
Gesellschaftsleben der vornehmen Leute. Die Fabel ist ungemein einfach.
Maria ist die schöne, stolze, nicht sehr tiefe Frau eines fast unglaublich reichen
Rennstallbesitzers in Berlin, eines „Rennonkels" ohne gesellschaftliche Ver¬
gangenheit, der aus seinem Stall vornehmen Kavallerieoffizieren Rennen „giebt,"
dadurch das einzige, wofür er Sinn hat, höhern Umgang, erreicht und noch
höhern erstrebt, der die Herrin seines Hauses tadellos behandelt, sich aber
innerlich ebenso wenig um sie kümmert, wie sie um ihn. Sie entschädigt sich
sür diesen Mangel in dem großen Glänze eines verschwenderischen Lebens und
in dem stolzen Bewußtsein, die Schönste zu sein. Sie verliebt sich in einen
Gesandtschaftsattachv, verläßt im Einverständnis mit diesem das Hans ihres
Mannes und reist nach München. Der junge Graf kann ihr zunächst nicht
folgen und fängt, während sie sehnsüchtig auf Briefe von ihm wartet, einen
neuen Flirt an, wird dann von Herrn da Caza gefordert und fällt im
Grünewald. Maria ist namenlos unglücklich und empfängt die Todesnachricht
mit den Worten, mit denen der Roman schließt: „Aber vielleicht wäre ich
noch unglücklicher geworden, als ich jetzt bin." Daß ihr diese Einsicht, die
jeder urteilsfähige Leser von vornherein gehabt haben wird, erst so spät kommt,
daran hängt die Möglichkeit des ganzen Romans. Ihn bis zu dieser sehr
schnell hereinbrechenden Katastrophe zu solchem Umsange anwachsen zu lassen
und den engen Rahmen mit so viel Thatsachen auszufüllen, war nur möglich
dadurch, daß die ausführliche Erzählung des ganz äußerlichen Gesellschafts¬
treibens zur Hauptsache in dem Buche wurde. Die Rennen in Karlshorst
mit allem technischen Zubehör, die Diners und die lebende» Bilder in der
Villa der Tiergartenstraße, ein Duell im Grünewald mit allen Vorbereitungen,
in seinem ganzen Verlauf einschließlich eines wörtlich mitgeteilten Protokolls,
wer das alles nicht kennt oder nur vou Hörensagen kennen gelernt hat, der
findet es hier mustergiltig beschrieben. Der Verfasser als ehemaliger Kavcillerie-
vffizier ist mit diesen Dingen vertraut, unsre ältern Romanschreiber waren es
nicht, weil sie das Leben der betreffenden Kreise doch nur vou fern angesehen
hatten, darum waren ihre Schilderungen, wenn sie sich auf dieses Gebiet wagten,
romanhaft und farblos. Sie standen darin z. B. den Franzosen nach, die schon
eher mit einem Pferd oder einer Pistole umzugehen wußten. Herrn Ompteda
sind die Grafen und Bnrvne alltägliche Erscheinungen, bürgerliche Personen


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[0475] Moderne Novellen nichts anmutend oder auch nur anziehend, genau wie die bekannten Bilder der modernen Armeleutmalerei. Wer diese Kunst liebt, dem wird auch diese Litteratur zusagen. Es ist. um es mit einem Worte zu sagen, die Frage eines Prinzips. Zu tadeln ist an dem Roman nichts für den, der sich mit seinen Voraussetzungen einverstanden erklärt hat. Ebenso realistisch wie dieser, nur nach dem Kreise des Lebens, in dem er sich bewegt, sein gerades Widerspiel ist ein Roman von Georg Freiherrn von Ompteda, Maria da Cazci (derselbe Verlag). Er sührt uns in das Gesellschaftsleben der vornehmen Leute. Die Fabel ist ungemein einfach. Maria ist die schöne, stolze, nicht sehr tiefe Frau eines fast unglaublich reichen Rennstallbesitzers in Berlin, eines „Rennonkels" ohne gesellschaftliche Ver¬ gangenheit, der aus seinem Stall vornehmen Kavallerieoffizieren Rennen „giebt," dadurch das einzige, wofür er Sinn hat, höhern Umgang, erreicht und noch höhern erstrebt, der die Herrin seines Hauses tadellos behandelt, sich aber innerlich ebenso wenig um sie kümmert, wie sie um ihn. Sie entschädigt sich sür diesen Mangel in dem großen Glänze eines verschwenderischen Lebens und in dem stolzen Bewußtsein, die Schönste zu sein. Sie verliebt sich in einen Gesandtschaftsattachv, verläßt im Einverständnis mit diesem das Hans ihres Mannes und reist nach München. Der junge Graf kann ihr zunächst nicht folgen und fängt, während sie sehnsüchtig auf Briefe von ihm wartet, einen neuen Flirt an, wird dann von Herrn da Caza gefordert und fällt im Grünewald. Maria ist namenlos unglücklich und empfängt die Todesnachricht mit den Worten, mit denen der Roman schließt: „Aber vielleicht wäre ich noch unglücklicher geworden, als ich jetzt bin." Daß ihr diese Einsicht, die jeder urteilsfähige Leser von vornherein gehabt haben wird, erst so spät kommt, daran hängt die Möglichkeit des ganzen Romans. Ihn bis zu dieser sehr schnell hereinbrechenden Katastrophe zu solchem Umsange anwachsen zu lassen und den engen Rahmen mit so viel Thatsachen auszufüllen, war nur möglich dadurch, daß die ausführliche Erzählung des ganz äußerlichen Gesellschafts¬ treibens zur Hauptsache in dem Buche wurde. Die Rennen in Karlshorst mit allem technischen Zubehör, die Diners und die lebende» Bilder in der Villa der Tiergartenstraße, ein Duell im Grünewald mit allen Vorbereitungen, in seinem ganzen Verlauf einschließlich eines wörtlich mitgeteilten Protokolls, wer das alles nicht kennt oder nur vou Hörensagen kennen gelernt hat, der findet es hier mustergiltig beschrieben. Der Verfasser als ehemaliger Kavcillerie- vffizier ist mit diesen Dingen vertraut, unsre ältern Romanschreiber waren es nicht, weil sie das Leben der betreffenden Kreise doch nur vou fern angesehen hatten, darum waren ihre Schilderungen, wenn sie sich auf dieses Gebiet wagten, romanhaft und farblos. Sie standen darin z. B. den Franzosen nach, die schon eher mit einem Pferd oder einer Pistole umzugehen wußten. Herrn Ompteda sind die Grafen und Bnrvne alltägliche Erscheinungen, bürgerliche Personen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/475>, abgerufen am 29.12.2024.