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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Gstmark

großen Massen nach dem westlichen Deutschland ab. Vor kurzem hat sich
endlich nach längern Verhandlungen eine Anzahl deutscher Männer in Posen
zusammengethan, um eine Kreditgenossenschaft zu begründen, durch die deutschen
Handwerkern und Gewerbetreibenden zu einem billigen und festen Zinsfuß
finanzielle Hilfe geleistet werden soll. Vielleicht schließen sich an dieses Institut
Genossenschaften für den Einkauf von Rohstoffen und für den Absatz von
Fabrikaten an, vielleicht wächst es sich allmählich zu einer Genossenschaftsbank
zur Förderung des deutschen Gewerbes der Provinz Posen ans. Die An¬
regung geht von den vielgeschmähten "Hakatisten" ans, die die erste und bis
jetzt einzige Vereinigung Deutscher zum Zweck der Förderung der Deutsche"
der Ostmark siud.

Die Bevölkerung Deutschlands vermehrt sich auffallend schnell, im Jahre
um 600000 Menschen. Sie hat heute die Tendenz, sich im Westen und in
den großen Städten zusammenzudrängen. So lange diese Tendenz anhält und
die deutsche Industrie sich in aufsteigender Linie im Siebenmeilenstiefelschritt
weiter bewegt, hält es mancher für ein fruchtloses Beginnen, Deutsche in
größerer Zahl aus dem Westen in den Osten verpflanzen zu wollen. Daß es
aber möglich ist, zeigt das Beispiel der Ansiedlungskommission und der in
Westpreußen und Posen umfangreiche Güterkomplexe austeilenden Landbank,
die beide besonders Bedacht darauf nehmen, aus andern Provinzen Ansiedler
zu gewinnen. Übrigens wird der Rückschlag schwerlich lange auf sich warten
lassen; auch für die westdeutsche Industrie giebt es eine Grenze der Entwick¬
lungsfähigkeit, die ja wesentlich von der Neigung andrer Staaten abhängig
ist, die Einfuhr unsrer Fabrikate zuzulassen. Dann wird ihr Bedarf an ost¬
deutschen Arbeitern nachlassen. Auch für die Landwirtschaft werden wieder
bessere Zeiten kommen, und sofort wieder die Deutschen aus dem übervölkerten
Westen in größerer Zahl, als augenblicklich geschieht, hier einwandern. Um
die Aufgabe kommen wir nun einmal nicht herum, möglichst viel Deutsche in
diese Provinzen zu ziehen, schon um dem schwnchgeworduen Deutschtum auch
zahlenmäßig das Übergewicht zu verschaffen. In unsrer demokratisirenden Zeit
gilt das Wort "Die Menge macht es" mehr als je. Minderheiten, und mögen
sie aus Höchstgebildeten bestehen, werden von der Masse mindestens politisch
totgemacht. Sind wir den" vor einer Änderung des Wahlsystems für Ab¬
geordnetenhaus und Kommnnalwahlen im demokratischen Sinne so ganz sicher?
Da heißt es, beizeiten vorbauen und Deutsche, aufstrebende, keine schiff¬
brüchigen Existenzen, namentlich aus Gegenden Deutschlands mit mittleren
Boden und genügsamer Bevölkerung, recht viel "kleine Leute" mit Hilfe der
reichsdeutschen Ortsgruppen des Vereins zur Förderung des Deutschtums
in diese Provinzen führen, wo sie, Fleiß und Sparsamkeit vorausgesetzt,
gedeihen müssen. Neues, frisches Blut ist hier wie sür das Land so
ganz besonders für die Städte nötig; es genügt nicht, daß die Deutschen


Aus unsrer Gstmark

großen Massen nach dem westlichen Deutschland ab. Vor kurzem hat sich
endlich nach längern Verhandlungen eine Anzahl deutscher Männer in Posen
zusammengethan, um eine Kreditgenossenschaft zu begründen, durch die deutschen
Handwerkern und Gewerbetreibenden zu einem billigen und festen Zinsfuß
finanzielle Hilfe geleistet werden soll. Vielleicht schließen sich an dieses Institut
Genossenschaften für den Einkauf von Rohstoffen und für den Absatz von
Fabrikaten an, vielleicht wächst es sich allmählich zu einer Genossenschaftsbank
zur Förderung des deutschen Gewerbes der Provinz Posen ans. Die An¬
regung geht von den vielgeschmähten „Hakatisten" ans, die die erste und bis
jetzt einzige Vereinigung Deutscher zum Zweck der Förderung der Deutsche«
der Ostmark siud.

Die Bevölkerung Deutschlands vermehrt sich auffallend schnell, im Jahre
um 600000 Menschen. Sie hat heute die Tendenz, sich im Westen und in
den großen Städten zusammenzudrängen. So lange diese Tendenz anhält und
die deutsche Industrie sich in aufsteigender Linie im Siebenmeilenstiefelschritt
weiter bewegt, hält es mancher für ein fruchtloses Beginnen, Deutsche in
größerer Zahl aus dem Westen in den Osten verpflanzen zu wollen. Daß es
aber möglich ist, zeigt das Beispiel der Ansiedlungskommission und der in
Westpreußen und Posen umfangreiche Güterkomplexe austeilenden Landbank,
die beide besonders Bedacht darauf nehmen, aus andern Provinzen Ansiedler
zu gewinnen. Übrigens wird der Rückschlag schwerlich lange auf sich warten
lassen; auch für die westdeutsche Industrie giebt es eine Grenze der Entwick¬
lungsfähigkeit, die ja wesentlich von der Neigung andrer Staaten abhängig
ist, die Einfuhr unsrer Fabrikate zuzulassen. Dann wird ihr Bedarf an ost¬
deutschen Arbeitern nachlassen. Auch für die Landwirtschaft werden wieder
bessere Zeiten kommen, und sofort wieder die Deutschen aus dem übervölkerten
Westen in größerer Zahl, als augenblicklich geschieht, hier einwandern. Um
die Aufgabe kommen wir nun einmal nicht herum, möglichst viel Deutsche in
diese Provinzen zu ziehen, schon um dem schwnchgeworduen Deutschtum auch
zahlenmäßig das Übergewicht zu verschaffen. In unsrer demokratisirenden Zeit
gilt das Wort „Die Menge macht es" mehr als je. Minderheiten, und mögen
sie aus Höchstgebildeten bestehen, werden von der Masse mindestens politisch
totgemacht. Sind wir den» vor einer Änderung des Wahlsystems für Ab¬
geordnetenhaus und Kommnnalwahlen im demokratischen Sinne so ganz sicher?
Da heißt es, beizeiten vorbauen und Deutsche, aufstrebende, keine schiff¬
brüchigen Existenzen, namentlich aus Gegenden Deutschlands mit mittleren
Boden und genügsamer Bevölkerung, recht viel „kleine Leute" mit Hilfe der
reichsdeutschen Ortsgruppen des Vereins zur Förderung des Deutschtums
in diese Provinzen führen, wo sie, Fleiß und Sparsamkeit vorausgesetzt,
gedeihen müssen. Neues, frisches Blut ist hier wie sür das Land so
ganz besonders für die Städte nötig; es genügt nicht, daß die Deutschen


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[0461] Aus unsrer Gstmark großen Massen nach dem westlichen Deutschland ab. Vor kurzem hat sich endlich nach längern Verhandlungen eine Anzahl deutscher Männer in Posen zusammengethan, um eine Kreditgenossenschaft zu begründen, durch die deutschen Handwerkern und Gewerbetreibenden zu einem billigen und festen Zinsfuß finanzielle Hilfe geleistet werden soll. Vielleicht schließen sich an dieses Institut Genossenschaften für den Einkauf von Rohstoffen und für den Absatz von Fabrikaten an, vielleicht wächst es sich allmählich zu einer Genossenschaftsbank zur Förderung des deutschen Gewerbes der Provinz Posen ans. Die An¬ regung geht von den vielgeschmähten „Hakatisten" ans, die die erste und bis jetzt einzige Vereinigung Deutscher zum Zweck der Förderung der Deutsche« der Ostmark siud. Die Bevölkerung Deutschlands vermehrt sich auffallend schnell, im Jahre um 600000 Menschen. Sie hat heute die Tendenz, sich im Westen und in den großen Städten zusammenzudrängen. So lange diese Tendenz anhält und die deutsche Industrie sich in aufsteigender Linie im Siebenmeilenstiefelschritt weiter bewegt, hält es mancher für ein fruchtloses Beginnen, Deutsche in größerer Zahl aus dem Westen in den Osten verpflanzen zu wollen. Daß es aber möglich ist, zeigt das Beispiel der Ansiedlungskommission und der in Westpreußen und Posen umfangreiche Güterkomplexe austeilenden Landbank, die beide besonders Bedacht darauf nehmen, aus andern Provinzen Ansiedler zu gewinnen. Übrigens wird der Rückschlag schwerlich lange auf sich warten lassen; auch für die westdeutsche Industrie giebt es eine Grenze der Entwick¬ lungsfähigkeit, die ja wesentlich von der Neigung andrer Staaten abhängig ist, die Einfuhr unsrer Fabrikate zuzulassen. Dann wird ihr Bedarf an ost¬ deutschen Arbeitern nachlassen. Auch für die Landwirtschaft werden wieder bessere Zeiten kommen, und sofort wieder die Deutschen aus dem übervölkerten Westen in größerer Zahl, als augenblicklich geschieht, hier einwandern. Um die Aufgabe kommen wir nun einmal nicht herum, möglichst viel Deutsche in diese Provinzen zu ziehen, schon um dem schwnchgeworduen Deutschtum auch zahlenmäßig das Übergewicht zu verschaffen. In unsrer demokratisirenden Zeit gilt das Wort „Die Menge macht es" mehr als je. Minderheiten, und mögen sie aus Höchstgebildeten bestehen, werden von der Masse mindestens politisch totgemacht. Sind wir den» vor einer Änderung des Wahlsystems für Ab¬ geordnetenhaus und Kommnnalwahlen im demokratischen Sinne so ganz sicher? Da heißt es, beizeiten vorbauen und Deutsche, aufstrebende, keine schiff¬ brüchigen Existenzen, namentlich aus Gegenden Deutschlands mit mittleren Boden und genügsamer Bevölkerung, recht viel „kleine Leute" mit Hilfe der reichsdeutschen Ortsgruppen des Vereins zur Förderung des Deutschtums in diese Provinzen führen, wo sie, Fleiß und Sparsamkeit vorausgesetzt, gedeihen müssen. Neues, frisches Blut ist hier wie sür das Land so ganz besonders für die Städte nötig; es genügt nicht, daß die Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/461>, abgerufen am 29.12.2024.