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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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zu schaffen, was die erste Aufgabe des polnischen Vereins war, die er so
glänzend gelöst hat, ist unnötig, da uns damit Deutschland in reichem Maße
versorgen kann, und da dafür der Staat sorgt. Wohl aber lohnt es, die
produktiven Klassen zu fördern, tüchtige Techniker, Handwerker, Gärtner heran¬
zuziehen, also die zweite und neue Ausgabe, die der polnische Verein mit
Geschick in Angriff genommen hat, für die Deutschen zu lösen, was deshalb
mit Schwierigkeiten verknüpft ist, weil die hiesigen Deutschen ihre Kinder,
wenn möglich, höhere Schulen besuchen und die Beamtenlaufbahn einschlagen
lassen, wodurch sie dann häufig der Heimatsprovinz verloren gehen. Manches
ist schon für den deutschen Nährstand der Städte geschehen, insbesondre durch
die überwiegend von Deutschen besuchte Vaugewerkenschule zu Posen, die tüchtige,
im praktischen Leben gut verwendbare Jünglinge heranbildet und auch für die
Hebung des Handwerks beachtenswertes leistet. Vielleicht gelingt es doch
noch, die deutschen Erwerbsstünde der Ostmark den Polen konkurrenzfähig zu
machen und in dem krankenden Stamm neue Lebenskraft zu wecken. Freilich,
der Vorsprung, den die Polen gewonnen haben, wird nicht leicht überholt
werden können; dazu gehört, daß die Deutschen wieder bescheidnere Ansprüche
ans Leben machen lernen und sich "unausgesetzt zur Mehrung des mate¬
riellen Guts" anstrengen, was so mancher Pole mit Erfolg zu seiner Lebens¬
aufgabe macht. Wer im Osten jahrzehntelang der Entwicklung gefolgt ist,
weiß, daß das Handwerk, einst der Kern des Deutschtums in den posenschen
und westpreußischen Städten, allmählich in immer größerm Umfange den Polen
zufällt, und daß das offne Ladengeschäft, dank dem Boykott der "Fremden,"
zusehends in polnische Hände übergeht. In der Stadt Posen, dem Zentrum
der ganzen polnischen Agitation, ist in den letzten zwanzig Jahren der polnische
Anteil am Handwerk von 36,3 auf 49,8 und an der Industrie von 22,7 auf
36,8 Prozent gestiegen. Es ist schwer, sich von der Schwerfälligkeit und
Mutlosigkeit hiesiger deutscher Handwerker einen Begriff zu machen. Freilich
nahm sich bisher kaum jemand ihrer an, während die Polen für die
Bildung, moralische Hebung und Unterstützung ihrer Handwerker durch Kredit
unglaubliches thun. Fürst Radziwill auf Antonin hat z. B. in Posen
eine Niederlage von Nutzholz aus seinen Waldungen eingerichtet; eine Ge¬
nossenschaft polnischer Tischler bezieht dorther billig Holz und setzt Möbel in


meist Polen, aber doch auch Deutsche, die so dem Polentum gewonnen wurden. Zur Zeit
der VereinSgrttndung war nur eine geringe Anzahl polnischer Ärzte in der Provinz Posen vor¬
handen, heute beträgt ihre Zahl ISO. Der eiserne Fonds beläuft sich auf mehr als eine halbe
Million Mark. t8!>l> wurden V0000 Mark zu Beihilfen verwendet. Hut Dr. MarcinkowÄi
die Anregung zur Schaffung einer polnischen Intelligenz gegeben, so lehrt der Schrimmer
Geistliche und LandtngSabgcordnete Prälat Wawrzuniak dem in Anlehnung an diese Intelligenz
sich bildenden Mittelstande den Gebrauch der Selbsthilfe durch das genossenschaftliche Unternehmen.
Seine Verdienste um die polnische Gesellschaft sind nicht geringer als die Mnrcintowskis.

zu schaffen, was die erste Aufgabe des polnischen Vereins war, die er so
glänzend gelöst hat, ist unnötig, da uns damit Deutschland in reichem Maße
versorgen kann, und da dafür der Staat sorgt. Wohl aber lohnt es, die
produktiven Klassen zu fördern, tüchtige Techniker, Handwerker, Gärtner heran¬
zuziehen, also die zweite und neue Ausgabe, die der polnische Verein mit
Geschick in Angriff genommen hat, für die Deutschen zu lösen, was deshalb
mit Schwierigkeiten verknüpft ist, weil die hiesigen Deutschen ihre Kinder,
wenn möglich, höhere Schulen besuchen und die Beamtenlaufbahn einschlagen
lassen, wodurch sie dann häufig der Heimatsprovinz verloren gehen. Manches
ist schon für den deutschen Nährstand der Städte geschehen, insbesondre durch
die überwiegend von Deutschen besuchte Vaugewerkenschule zu Posen, die tüchtige,
im praktischen Leben gut verwendbare Jünglinge heranbildet und auch für die
Hebung des Handwerks beachtenswertes leistet. Vielleicht gelingt es doch
noch, die deutschen Erwerbsstünde der Ostmark den Polen konkurrenzfähig zu
machen und in dem krankenden Stamm neue Lebenskraft zu wecken. Freilich,
der Vorsprung, den die Polen gewonnen haben, wird nicht leicht überholt
werden können; dazu gehört, daß die Deutschen wieder bescheidnere Ansprüche
ans Leben machen lernen und sich „unausgesetzt zur Mehrung des mate¬
riellen Guts" anstrengen, was so mancher Pole mit Erfolg zu seiner Lebens¬
aufgabe macht. Wer im Osten jahrzehntelang der Entwicklung gefolgt ist,
weiß, daß das Handwerk, einst der Kern des Deutschtums in den posenschen
und westpreußischen Städten, allmählich in immer größerm Umfange den Polen
zufällt, und daß das offne Ladengeschäft, dank dem Boykott der „Fremden,"
zusehends in polnische Hände übergeht. In der Stadt Posen, dem Zentrum
der ganzen polnischen Agitation, ist in den letzten zwanzig Jahren der polnische
Anteil am Handwerk von 36,3 auf 49,8 und an der Industrie von 22,7 auf
36,8 Prozent gestiegen. Es ist schwer, sich von der Schwerfälligkeit und
Mutlosigkeit hiesiger deutscher Handwerker einen Begriff zu machen. Freilich
nahm sich bisher kaum jemand ihrer an, während die Polen für die
Bildung, moralische Hebung und Unterstützung ihrer Handwerker durch Kredit
unglaubliches thun. Fürst Radziwill auf Antonin hat z. B. in Posen
eine Niederlage von Nutzholz aus seinen Waldungen eingerichtet; eine Ge¬
nossenschaft polnischer Tischler bezieht dorther billig Holz und setzt Möbel in


meist Polen, aber doch auch Deutsche, die so dem Polentum gewonnen wurden. Zur Zeit
der VereinSgrttndung war nur eine geringe Anzahl polnischer Ärzte in der Provinz Posen vor¬
handen, heute beträgt ihre Zahl ISO. Der eiserne Fonds beläuft sich auf mehr als eine halbe
Million Mark. t8!>l> wurden V0000 Mark zu Beihilfen verwendet. Hut Dr. MarcinkowÄi
die Anregung zur Schaffung einer polnischen Intelligenz gegeben, so lehrt der Schrimmer
Geistliche und LandtngSabgcordnete Prälat Wawrzuniak dem in Anlehnung an diese Intelligenz
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Seine Verdienste um die polnische Gesellschaft sind nicht geringer als die Mnrcintowskis.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/460>, abgerufen am 29.12.2024.