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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Ostmark

und Normannen sind Franzosen, Westgoten Spanier, Langobarden und Ost¬
goten Italiener, die finnischen Bulgaren Slawen, Nsfugiss und Wenden
Deutsche geworden, jenseits der russischen Grenze gehen unausgesetzt Tausende
von Deutschen, indem sie ihre Muttersprache mit der polnischen vertauschen,
im polnischen Volke auf. Ist es diesseits der Grenze etwa anders? Trotz des
Zuzuges aus Deutschland, namentlich von katholischen Beamten, geht hier die
Zahl der katholischen Deutschen zurück. Je mehr das Deutschtum in den
Städten hinschwindet, das Polentum zunimmt, je weniger von dort deutsche
Anregungen auf die deutschen Landbewohner ausgehen, umso größer wird die
Gefahr, daß auch evangelische Deutsche auf dem Lande den polonisirendeu
Bestrebungen erliegen. Der Großgrundbesitz ist in Westpreußen fast ganz, in
Posen zu zwei Dritteln, die Industrie, z. V. die Zuckerfabriken, fast sämtlich
in deutschen Händen; sollte es da nicht angehen, das Deutsche, das schon durch
die Schule eine so große Verbreitung gefunden hat, in diesen unzähligen
Betrieben zur Geltung zu bringen, zumal da es umgekehrt polnische Arbeit¬
geber mit Leichtigkeit durchsetzen, daß in ihrem Bereich von Deutschen nur
polnisch gesprochen wird? Die Harmonie der nationalen Interessen von
Deutschen und Polen besteht nur in den Köpfen deutscher Utopisten. Die
Polen wissen, daß die Erstarkung des einen Volkes den Rückgang des andern
bedeutet, daß die Sprachgrenze nicht für alle Zeiten im Boden festgelegt ist,
sondern sich unaufhörlich und zu Ungunsten der Nation verschiebt, die ihren
Bestand weniger nachdrücklich wahrt; sie gehen deshalb in diesem Kampfe
schonungslos vor und verwarnen ohne Bedenken jeden Landsmann, der sich
in diesem Punkte schwach zeigt, unter Nennung des Namens.

Aber der Entscheidnngskampf zwischen Deutschen und Polen wird auf dem
wirtschaftlichen Gebiete zum Austrag kommeu; auf dieses sollten sich deshalb
auch die Deutschen möglichst beschränken und den politischen Reibereien
kein zu großes Maß von Kraft opfern, Zeitungsgezänk ganz vermeiden.
Der Verein zur Förderung des Deutschtums hat sich mit Energie auf das
wirtschaftliche Gebiet geworfen. Was an dem deutschen Bürgertum des
Ostens noch lebenskräftig und entwicklungsfähig ist, sucht er auf mancherlei
Art zu stützen. Vor allem gilt es, wie er weiß, der heranwachsenden Gene¬
ration die beste technische Ausbildung zukommen zu lassen; er hat deshalb
einen durch reiche Zuwendungen schnell sich vermehrenden Stipendienfonds ge¬
bildet, der in ähnlicher Weise verwendet wird, wie es der Marcinkowskische
Verein zur Unterstützung der lernenden polnischen Jugend thut.*) "Intelligenz"



*) Der von dem bereits 184K verstorbnen or. ova. Marcinkowski gegründete Berein hat
1844 seine Thätigkeit eröffnet. In den ersten fünfzig Jahren seines Bestehens hat er 43W
Jünglinge, die sich akademischen und GiMnnsialstudien oder praktischen Berufszweigen zu¬
wendeten, unterstützt und für diese Zwecke über 2 Millionen Mark ausgegeben. Es waren
Aus unsrer Ostmark

und Normannen sind Franzosen, Westgoten Spanier, Langobarden und Ost¬
goten Italiener, die finnischen Bulgaren Slawen, Nsfugiss und Wenden
Deutsche geworden, jenseits der russischen Grenze gehen unausgesetzt Tausende
von Deutschen, indem sie ihre Muttersprache mit der polnischen vertauschen,
im polnischen Volke auf. Ist es diesseits der Grenze etwa anders? Trotz des
Zuzuges aus Deutschland, namentlich von katholischen Beamten, geht hier die
Zahl der katholischen Deutschen zurück. Je mehr das Deutschtum in den
Städten hinschwindet, das Polentum zunimmt, je weniger von dort deutsche
Anregungen auf die deutschen Landbewohner ausgehen, umso größer wird die
Gefahr, daß auch evangelische Deutsche auf dem Lande den polonisirendeu
Bestrebungen erliegen. Der Großgrundbesitz ist in Westpreußen fast ganz, in
Posen zu zwei Dritteln, die Industrie, z. V. die Zuckerfabriken, fast sämtlich
in deutschen Händen; sollte es da nicht angehen, das Deutsche, das schon durch
die Schule eine so große Verbreitung gefunden hat, in diesen unzähligen
Betrieben zur Geltung zu bringen, zumal da es umgekehrt polnische Arbeit¬
geber mit Leichtigkeit durchsetzen, daß in ihrem Bereich von Deutschen nur
polnisch gesprochen wird? Die Harmonie der nationalen Interessen von
Deutschen und Polen besteht nur in den Köpfen deutscher Utopisten. Die
Polen wissen, daß die Erstarkung des einen Volkes den Rückgang des andern
bedeutet, daß die Sprachgrenze nicht für alle Zeiten im Boden festgelegt ist,
sondern sich unaufhörlich und zu Ungunsten der Nation verschiebt, die ihren
Bestand weniger nachdrücklich wahrt; sie gehen deshalb in diesem Kampfe
schonungslos vor und verwarnen ohne Bedenken jeden Landsmann, der sich
in diesem Punkte schwach zeigt, unter Nennung des Namens.

Aber der Entscheidnngskampf zwischen Deutschen und Polen wird auf dem
wirtschaftlichen Gebiete zum Austrag kommeu; auf dieses sollten sich deshalb
auch die Deutschen möglichst beschränken und den politischen Reibereien
kein zu großes Maß von Kraft opfern, Zeitungsgezänk ganz vermeiden.
Der Verein zur Förderung des Deutschtums hat sich mit Energie auf das
wirtschaftliche Gebiet geworfen. Was an dem deutschen Bürgertum des
Ostens noch lebenskräftig und entwicklungsfähig ist, sucht er auf mancherlei
Art zu stützen. Vor allem gilt es, wie er weiß, der heranwachsenden Gene¬
ration die beste technische Ausbildung zukommen zu lassen; er hat deshalb
einen durch reiche Zuwendungen schnell sich vermehrenden Stipendienfonds ge¬
bildet, der in ähnlicher Weise verwendet wird, wie es der Marcinkowskische
Verein zur Unterstützung der lernenden polnischen Jugend thut.*) „Intelligenz"



*) Der von dem bereits 184K verstorbnen or. ova. Marcinkowski gegründete Berein hat
1844 seine Thätigkeit eröffnet. In den ersten fünfzig Jahren seines Bestehens hat er 43W
Jünglinge, die sich akademischen und GiMnnsialstudien oder praktischen Berufszweigen zu¬
wendeten, unterstützt und für diese Zwecke über 2 Millionen Mark ausgegeben. Es waren
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[0459] Aus unsrer Ostmark und Normannen sind Franzosen, Westgoten Spanier, Langobarden und Ost¬ goten Italiener, die finnischen Bulgaren Slawen, Nsfugiss und Wenden Deutsche geworden, jenseits der russischen Grenze gehen unausgesetzt Tausende von Deutschen, indem sie ihre Muttersprache mit der polnischen vertauschen, im polnischen Volke auf. Ist es diesseits der Grenze etwa anders? Trotz des Zuzuges aus Deutschland, namentlich von katholischen Beamten, geht hier die Zahl der katholischen Deutschen zurück. Je mehr das Deutschtum in den Städten hinschwindet, das Polentum zunimmt, je weniger von dort deutsche Anregungen auf die deutschen Landbewohner ausgehen, umso größer wird die Gefahr, daß auch evangelische Deutsche auf dem Lande den polonisirendeu Bestrebungen erliegen. Der Großgrundbesitz ist in Westpreußen fast ganz, in Posen zu zwei Dritteln, die Industrie, z. V. die Zuckerfabriken, fast sämtlich in deutschen Händen; sollte es da nicht angehen, das Deutsche, das schon durch die Schule eine so große Verbreitung gefunden hat, in diesen unzähligen Betrieben zur Geltung zu bringen, zumal da es umgekehrt polnische Arbeit¬ geber mit Leichtigkeit durchsetzen, daß in ihrem Bereich von Deutschen nur polnisch gesprochen wird? Die Harmonie der nationalen Interessen von Deutschen und Polen besteht nur in den Köpfen deutscher Utopisten. Die Polen wissen, daß die Erstarkung des einen Volkes den Rückgang des andern bedeutet, daß die Sprachgrenze nicht für alle Zeiten im Boden festgelegt ist, sondern sich unaufhörlich und zu Ungunsten der Nation verschiebt, die ihren Bestand weniger nachdrücklich wahrt; sie gehen deshalb in diesem Kampfe schonungslos vor und verwarnen ohne Bedenken jeden Landsmann, der sich in diesem Punkte schwach zeigt, unter Nennung des Namens. Aber der Entscheidnngskampf zwischen Deutschen und Polen wird auf dem wirtschaftlichen Gebiete zum Austrag kommeu; auf dieses sollten sich deshalb auch die Deutschen möglichst beschränken und den politischen Reibereien kein zu großes Maß von Kraft opfern, Zeitungsgezänk ganz vermeiden. Der Verein zur Förderung des Deutschtums hat sich mit Energie auf das wirtschaftliche Gebiet geworfen. Was an dem deutschen Bürgertum des Ostens noch lebenskräftig und entwicklungsfähig ist, sucht er auf mancherlei Art zu stützen. Vor allem gilt es, wie er weiß, der heranwachsenden Gene¬ ration die beste technische Ausbildung zukommen zu lassen; er hat deshalb einen durch reiche Zuwendungen schnell sich vermehrenden Stipendienfonds ge¬ bildet, der in ähnlicher Weise verwendet wird, wie es der Marcinkowskische Verein zur Unterstützung der lernenden polnischen Jugend thut.*) „Intelligenz" *) Der von dem bereits 184K verstorbnen or. ova. Marcinkowski gegründete Berein hat 1844 seine Thätigkeit eröffnet. In den ersten fünfzig Jahren seines Bestehens hat er 43W Jünglinge, die sich akademischen und GiMnnsialstudien oder praktischen Berufszweigen zu¬ wendeten, unterstützt und für diese Zwecke über 2 Millionen Mark ausgegeben. Es waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/459>, abgerufen am 29.12.2024.