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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

und so hoch hat sich der Kulturstand unter dem Einfluß der deutschen Schul¬
bildung gehoben. Polnischerseits fürchtet man allerdings, daß durch sie der
polnische Gedanke getötet und der polnischen Seele ihre Individualität, ihre
kennzeichnenden Eigentümlichkeiten geraubt würden. Und die Wirkung, die sie
auf die Annäherung der untern polnischen Volksklassen an die Deutschen haben
könnte, wird dadurch beeinträchtigt, daß die Zahl der Simultanschulen un¬
verhältnismäßig klein ist. Ohne zu verkennen, daß die Konfessionsschule in
Deutschland aus zwingenden Gründen die Regel ist und bleiben wird, erkennen
doch viele ihrer Anhänger, auch solche, die auf dem Grunde des positiven
Glaubens"') stehen, an, daß aus nationalen und pekuniären Gründen die
Gründung von Simultanschulen an der Grenze der Sprachen und Konfessionen
nicht grundsätzlich unterbleiben darf, sondern an recht vielen Orten stattfinden
muß. Namentlich in den Gemeinden mit überwiegend deutscher Bevölkerung
sind sie am Platze; dort würden sie die Anpassung der polnischen Arbeiter-
bevölkerung, die sich wie ein Pfahl in das Fleisch des ortseingesessenen Deutsch¬
tums hincinschiebt, wesentlich erleichtern und beschleunigen.

Aber die Staatsregierung könnte für alles Staatserhaltende mehr thun,
als sie thut. Zwar der Staatsforstbesitz wächst, wie schon gesagt, in den
Ansiedlungsprovinzen von Jahr zu Jahr; er beträgt heute in Westpreußen
400000 und in Posen 180000 Hektar, der Domänenbesitz dagegen, der
sich in beiden Provinzen zusammen auf 60000 Hektar belaufen mag, wird
kaum vermehrt. Und doch thäte gerade in dieser Beziehung ein Eingreifen
des Staates und die Verstärkung seiner Position aus guten Gründen ganz
besonders not. Beide Provinzen haben zu viel -- in deutschen und in pol¬
nischen Händen befindlichen -- Latifundienbesitz, der sehr verschuldet"^) ist, und
dessen Verschuldung (Handelsverträge!) von Jahr zu Jahr wächst; mancher
Großgrundbesitz ist schon bis zu der Höhe von 90 Prozent belastet. Nach
einer polnischen Zusammenstellung vom Jahre 1895 kamen bei 665 polnischen
Großgrundbesitzern im preußischen Gebiet auf den einzelnen 4311 Morgen,
eine Flache, die dem Leser im Westen ungeheuer groß erscheinen muß, und
die schon deshalb zu groß ist, weil eben unter dem polnischen Adel die tüchtigen,
mit hinreichendem Betriebskapital ausgestatteten Landwirte seltne Ausnahmen
sind. Zahlreiche Besitzer, nicht bloß polnische, auch recht viele deutsche, sind




") Ihre Unbedenklichkeit und Notwendigkeit für unsern halbslawischen Osten hat z. B., um
nur eine Autorität anzuführen, der frühere Königsberger Provinzialschulrat und jetzige Kurator
der Universität Halle, Geheimrnt 1). Schrader, ausdrücklich betont.
Im Jahre 18W/97 betrug in den vier Regierungsbezirken der Ansiedlungsprovinzc"
bei den im Verhältnis zu den mehr bäuerlichen Gegenden wenig zahlreichen Zensiten der Land¬
gemeinden und Gutsbezirke mit mehr als 3000 Mark Einkommen die Verschuldung in Pro¬
zenten des Grundvermögens zwischen S0 und 57 Prozent; sie war die höchste im ganzen Staat
und um mehr als das Doppelte höher als die in den westlichen Provinzen.
Aus unsrer Vstmark

und so hoch hat sich der Kulturstand unter dem Einfluß der deutschen Schul¬
bildung gehoben. Polnischerseits fürchtet man allerdings, daß durch sie der
polnische Gedanke getötet und der polnischen Seele ihre Individualität, ihre
kennzeichnenden Eigentümlichkeiten geraubt würden. Und die Wirkung, die sie
auf die Annäherung der untern polnischen Volksklassen an die Deutschen haben
könnte, wird dadurch beeinträchtigt, daß die Zahl der Simultanschulen un¬
verhältnismäßig klein ist. Ohne zu verkennen, daß die Konfessionsschule in
Deutschland aus zwingenden Gründen die Regel ist und bleiben wird, erkennen
doch viele ihrer Anhänger, auch solche, die auf dem Grunde des positiven
Glaubens"') stehen, an, daß aus nationalen und pekuniären Gründen die
Gründung von Simultanschulen an der Grenze der Sprachen und Konfessionen
nicht grundsätzlich unterbleiben darf, sondern an recht vielen Orten stattfinden
muß. Namentlich in den Gemeinden mit überwiegend deutscher Bevölkerung
sind sie am Platze; dort würden sie die Anpassung der polnischen Arbeiter-
bevölkerung, die sich wie ein Pfahl in das Fleisch des ortseingesessenen Deutsch¬
tums hincinschiebt, wesentlich erleichtern und beschleunigen.

Aber die Staatsregierung könnte für alles Staatserhaltende mehr thun,
als sie thut. Zwar der Staatsforstbesitz wächst, wie schon gesagt, in den
Ansiedlungsprovinzen von Jahr zu Jahr; er beträgt heute in Westpreußen
400000 und in Posen 180000 Hektar, der Domänenbesitz dagegen, der
sich in beiden Provinzen zusammen auf 60000 Hektar belaufen mag, wird
kaum vermehrt. Und doch thäte gerade in dieser Beziehung ein Eingreifen
des Staates und die Verstärkung seiner Position aus guten Gründen ganz
besonders not. Beide Provinzen haben zu viel — in deutschen und in pol¬
nischen Händen befindlichen — Latifundienbesitz, der sehr verschuldet"^) ist, und
dessen Verschuldung (Handelsverträge!) von Jahr zu Jahr wächst; mancher
Großgrundbesitz ist schon bis zu der Höhe von 90 Prozent belastet. Nach
einer polnischen Zusammenstellung vom Jahre 1895 kamen bei 665 polnischen
Großgrundbesitzern im preußischen Gebiet auf den einzelnen 4311 Morgen,
eine Flache, die dem Leser im Westen ungeheuer groß erscheinen muß, und
die schon deshalb zu groß ist, weil eben unter dem polnischen Adel die tüchtigen,
mit hinreichendem Betriebskapital ausgestatteten Landwirte seltne Ausnahmen
sind. Zahlreiche Besitzer, nicht bloß polnische, auch recht viele deutsche, sind




") Ihre Unbedenklichkeit und Notwendigkeit für unsern halbslawischen Osten hat z. B., um
nur eine Autorität anzuführen, der frühere Königsberger Provinzialschulrat und jetzige Kurator
der Universität Halle, Geheimrnt 1). Schrader, ausdrücklich betont.
Im Jahre 18W/97 betrug in den vier Regierungsbezirken der Ansiedlungsprovinzc»
bei den im Verhältnis zu den mehr bäuerlichen Gegenden wenig zahlreichen Zensiten der Land¬
gemeinden und Gutsbezirke mit mehr als 3000 Mark Einkommen die Verschuldung in Pro¬
zenten des Grundvermögens zwischen S0 und 57 Prozent; sie war die höchste im ganzen Staat
und um mehr als das Doppelte höher als die in den westlichen Provinzen.
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[0456] Aus unsrer Vstmark und so hoch hat sich der Kulturstand unter dem Einfluß der deutschen Schul¬ bildung gehoben. Polnischerseits fürchtet man allerdings, daß durch sie der polnische Gedanke getötet und der polnischen Seele ihre Individualität, ihre kennzeichnenden Eigentümlichkeiten geraubt würden. Und die Wirkung, die sie auf die Annäherung der untern polnischen Volksklassen an die Deutschen haben könnte, wird dadurch beeinträchtigt, daß die Zahl der Simultanschulen un¬ verhältnismäßig klein ist. Ohne zu verkennen, daß die Konfessionsschule in Deutschland aus zwingenden Gründen die Regel ist und bleiben wird, erkennen doch viele ihrer Anhänger, auch solche, die auf dem Grunde des positiven Glaubens"') stehen, an, daß aus nationalen und pekuniären Gründen die Gründung von Simultanschulen an der Grenze der Sprachen und Konfessionen nicht grundsätzlich unterbleiben darf, sondern an recht vielen Orten stattfinden muß. Namentlich in den Gemeinden mit überwiegend deutscher Bevölkerung sind sie am Platze; dort würden sie die Anpassung der polnischen Arbeiter- bevölkerung, die sich wie ein Pfahl in das Fleisch des ortseingesessenen Deutsch¬ tums hincinschiebt, wesentlich erleichtern und beschleunigen. Aber die Staatsregierung könnte für alles Staatserhaltende mehr thun, als sie thut. Zwar der Staatsforstbesitz wächst, wie schon gesagt, in den Ansiedlungsprovinzen von Jahr zu Jahr; er beträgt heute in Westpreußen 400000 und in Posen 180000 Hektar, der Domänenbesitz dagegen, der sich in beiden Provinzen zusammen auf 60000 Hektar belaufen mag, wird kaum vermehrt. Und doch thäte gerade in dieser Beziehung ein Eingreifen des Staates und die Verstärkung seiner Position aus guten Gründen ganz besonders not. Beide Provinzen haben zu viel — in deutschen und in pol¬ nischen Händen befindlichen — Latifundienbesitz, der sehr verschuldet"^) ist, und dessen Verschuldung (Handelsverträge!) von Jahr zu Jahr wächst; mancher Großgrundbesitz ist schon bis zu der Höhe von 90 Prozent belastet. Nach einer polnischen Zusammenstellung vom Jahre 1895 kamen bei 665 polnischen Großgrundbesitzern im preußischen Gebiet auf den einzelnen 4311 Morgen, eine Flache, die dem Leser im Westen ungeheuer groß erscheinen muß, und die schon deshalb zu groß ist, weil eben unter dem polnischen Adel die tüchtigen, mit hinreichendem Betriebskapital ausgestatteten Landwirte seltne Ausnahmen sind. Zahlreiche Besitzer, nicht bloß polnische, auch recht viele deutsche, sind ") Ihre Unbedenklichkeit und Notwendigkeit für unsern halbslawischen Osten hat z. B., um nur eine Autorität anzuführen, der frühere Königsberger Provinzialschulrat und jetzige Kurator der Universität Halle, Geheimrnt 1). Schrader, ausdrücklich betont. Im Jahre 18W/97 betrug in den vier Regierungsbezirken der Ansiedlungsprovinzc» bei den im Verhältnis zu den mehr bäuerlichen Gegenden wenig zahlreichen Zensiten der Land¬ gemeinden und Gutsbezirke mit mehr als 3000 Mark Einkommen die Verschuldung in Pro¬ zenten des Grundvermögens zwischen S0 und 57 Prozent; sie war die höchste im ganzen Staat und um mehr als das Doppelte höher als die in den westlichen Provinzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/456>, abgerufen am 24.07.2024.