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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ans unsrer Gstmark

außer stände, sich auf ihren viel zu großen Gütern zu halten. Entschlösse sich
der Staat, hier zuzugreifen und auf der einen Seite Güter zu den gedrückten
Preisen als Domänen anzukaufen und andrerseits in guter Kultur befindliche
ältere Domänen, etwa durch die Ansiedlungskommission, an Rentengutskäufer
auszuteilen, was schon einmal versucht worden ist, so würde er die durch die
Agrarkrisis beschleunigte Umwandlung des unter ihr am meisten leidenden
Großbesitzes in Bauerndörfer reguliren und, was not thäte, verlangsamen,
die Käufer vor dem Treiben berufsmäßiger Güterschlächter bewahren, vor
allem aber einen großen Teil des Areals der Ostmark, das sonst leicht in
polnische Bauernhände übergeht, für die Besiedlung mit deutscheu Bauern
erhalten können. Der dreimalige, um Jahrzehnte zurückliegende Versuch in
Neuvorpommern, wo die Bauern in schwedischen Zeiten fast sämtlich durch
den Adel "gelegt" worden waren, Domänen zu Parzelliren, ist nicht, wie man
bisher glaubte, mißglückt, soudern, wie Herr von Schwerin in den Preußischen
Jahrbüchern gezeigt hat, geglückt. Wollte dort der Staat seine Domänen,
mehr als siebzig, allmählich zerschlagen und besiedeln, um den wenig zahlreichen
Bauernstand zu vermehren, so würden ihm daraus reiche Mittel zufließen,
hier seinen Domänenbesitz zu vergrößern, für den er anch Pächter hätte.
Übrigens würde er Mittel dazu auch von den beiden Häusern des Landtags
bewilligt erhalten.

Doch die Staatsregierung soll nicht zu viel thun, was so mancher Deutsche
in seinem Unverstande verlangt. Sie soll sich in den Grenzen halten, die ihr
in einem Rechts- und Versassnngsstaate durch die bestehenden Gesetze gesteckt
sind; sie soll sämtlichen Staatsbürgern die Freiheit der Bewegung, der Presse,
der Versammlung gewähren. Die Deutschen unsrer Ostprvvinzeu haben in
strenger Zucht ihren Königen gehorchen gelernt und sich dadurch befähigt,
das Instrument zu sein, mit dem Preußen das neue Reich geschaffen hat.
Was ein Vorzug war und ist, das darf aber auf die Dauer nicht zur Schwäche
und, wo es den Kampf mit dem politisch reif und mündig gewordnen Polen-
tum gilt, verhängnisvoll werden. Ans Unterthanen sollen unsre Deutschen
auch ihrer Rechte und Pflichten bewußte Staatsbürger werden, die nicht bloß
regiert und auf Schritt und Tritt gegängelt zu werden wünschen, sondern aus
eigner Thatkraft ihre eignen Angelegenheiten, und das ist der Nationalitäten¬
kampf, betreiben. Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt ihnen nur zu häufig,
entweder möchten sie, daß Gott und der Herr Landrat für die Wahlen und alles
andre sorgen, oder sie legen die Hände in den Schoß und schimpfen.*) Ein
Glück ist, daß die Not die Landwirte gezwungen hat, das "Hilf dir selbst, so hilft



") Graf Zedlitz, der als Oberprnsidcnt der Provinz Posen Gelegenheit hatte, die hiesigen
Deutschen kennen zu lernen, sagte, der schlimmste Fehler der Ostdeutschen sei der, daß sie immer
nach der Negierung riefen! sie selber wollten nichts thun.
Grenzboten III 1897 57
Ans unsrer Gstmark

außer stände, sich auf ihren viel zu großen Gütern zu halten. Entschlösse sich
der Staat, hier zuzugreifen und auf der einen Seite Güter zu den gedrückten
Preisen als Domänen anzukaufen und andrerseits in guter Kultur befindliche
ältere Domänen, etwa durch die Ansiedlungskommission, an Rentengutskäufer
auszuteilen, was schon einmal versucht worden ist, so würde er die durch die
Agrarkrisis beschleunigte Umwandlung des unter ihr am meisten leidenden
Großbesitzes in Bauerndörfer reguliren und, was not thäte, verlangsamen,
die Käufer vor dem Treiben berufsmäßiger Güterschlächter bewahren, vor
allem aber einen großen Teil des Areals der Ostmark, das sonst leicht in
polnische Bauernhände übergeht, für die Besiedlung mit deutscheu Bauern
erhalten können. Der dreimalige, um Jahrzehnte zurückliegende Versuch in
Neuvorpommern, wo die Bauern in schwedischen Zeiten fast sämtlich durch
den Adel „gelegt" worden waren, Domänen zu Parzelliren, ist nicht, wie man
bisher glaubte, mißglückt, soudern, wie Herr von Schwerin in den Preußischen
Jahrbüchern gezeigt hat, geglückt. Wollte dort der Staat seine Domänen,
mehr als siebzig, allmählich zerschlagen und besiedeln, um den wenig zahlreichen
Bauernstand zu vermehren, so würden ihm daraus reiche Mittel zufließen,
hier seinen Domänenbesitz zu vergrößern, für den er anch Pächter hätte.
Übrigens würde er Mittel dazu auch von den beiden Häusern des Landtags
bewilligt erhalten.

Doch die Staatsregierung soll nicht zu viel thun, was so mancher Deutsche
in seinem Unverstande verlangt. Sie soll sich in den Grenzen halten, die ihr
in einem Rechts- und Versassnngsstaate durch die bestehenden Gesetze gesteckt
sind; sie soll sämtlichen Staatsbürgern die Freiheit der Bewegung, der Presse,
der Versammlung gewähren. Die Deutschen unsrer Ostprvvinzeu haben in
strenger Zucht ihren Königen gehorchen gelernt und sich dadurch befähigt,
das Instrument zu sein, mit dem Preußen das neue Reich geschaffen hat.
Was ein Vorzug war und ist, das darf aber auf die Dauer nicht zur Schwäche
und, wo es den Kampf mit dem politisch reif und mündig gewordnen Polen-
tum gilt, verhängnisvoll werden. Ans Unterthanen sollen unsre Deutschen
auch ihrer Rechte und Pflichten bewußte Staatsbürger werden, die nicht bloß
regiert und auf Schritt und Tritt gegängelt zu werden wünschen, sondern aus
eigner Thatkraft ihre eignen Angelegenheiten, und das ist der Nationalitäten¬
kampf, betreiben. Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt ihnen nur zu häufig,
entweder möchten sie, daß Gott und der Herr Landrat für die Wahlen und alles
andre sorgen, oder sie legen die Hände in den Schoß und schimpfen.*) Ein
Glück ist, daß die Not die Landwirte gezwungen hat, das „Hilf dir selbst, so hilft



") Graf Zedlitz, der als Oberprnsidcnt der Provinz Posen Gelegenheit hatte, die hiesigen
Deutschen kennen zu lernen, sagte, der schlimmste Fehler der Ostdeutschen sei der, daß sie immer
nach der Negierung riefen! sie selber wollten nichts thun.
Grenzboten III 1897 57
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[0457] Ans unsrer Gstmark außer stände, sich auf ihren viel zu großen Gütern zu halten. Entschlösse sich der Staat, hier zuzugreifen und auf der einen Seite Güter zu den gedrückten Preisen als Domänen anzukaufen und andrerseits in guter Kultur befindliche ältere Domänen, etwa durch die Ansiedlungskommission, an Rentengutskäufer auszuteilen, was schon einmal versucht worden ist, so würde er die durch die Agrarkrisis beschleunigte Umwandlung des unter ihr am meisten leidenden Großbesitzes in Bauerndörfer reguliren und, was not thäte, verlangsamen, die Käufer vor dem Treiben berufsmäßiger Güterschlächter bewahren, vor allem aber einen großen Teil des Areals der Ostmark, das sonst leicht in polnische Bauernhände übergeht, für die Besiedlung mit deutscheu Bauern erhalten können. Der dreimalige, um Jahrzehnte zurückliegende Versuch in Neuvorpommern, wo die Bauern in schwedischen Zeiten fast sämtlich durch den Adel „gelegt" worden waren, Domänen zu Parzelliren, ist nicht, wie man bisher glaubte, mißglückt, soudern, wie Herr von Schwerin in den Preußischen Jahrbüchern gezeigt hat, geglückt. Wollte dort der Staat seine Domänen, mehr als siebzig, allmählich zerschlagen und besiedeln, um den wenig zahlreichen Bauernstand zu vermehren, so würden ihm daraus reiche Mittel zufließen, hier seinen Domänenbesitz zu vergrößern, für den er anch Pächter hätte. Übrigens würde er Mittel dazu auch von den beiden Häusern des Landtags bewilligt erhalten. Doch die Staatsregierung soll nicht zu viel thun, was so mancher Deutsche in seinem Unverstande verlangt. Sie soll sich in den Grenzen halten, die ihr in einem Rechts- und Versassnngsstaate durch die bestehenden Gesetze gesteckt sind; sie soll sämtlichen Staatsbürgern die Freiheit der Bewegung, der Presse, der Versammlung gewähren. Die Deutschen unsrer Ostprvvinzeu haben in strenger Zucht ihren Königen gehorchen gelernt und sich dadurch befähigt, das Instrument zu sein, mit dem Preußen das neue Reich geschaffen hat. Was ein Vorzug war und ist, das darf aber auf die Dauer nicht zur Schwäche und, wo es den Kampf mit dem politisch reif und mündig gewordnen Polen- tum gilt, verhängnisvoll werden. Ans Unterthanen sollen unsre Deutschen auch ihrer Rechte und Pflichten bewußte Staatsbürger werden, die nicht bloß regiert und auf Schritt und Tritt gegängelt zu werden wünschen, sondern aus eigner Thatkraft ihre eignen Angelegenheiten, und das ist der Nationalitäten¬ kampf, betreiben. Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt ihnen nur zu häufig, entweder möchten sie, daß Gott und der Herr Landrat für die Wahlen und alles andre sorgen, oder sie legen die Hände in den Schoß und schimpfen.*) Ein Glück ist, daß die Not die Landwirte gezwungen hat, das „Hilf dir selbst, so hilft ") Graf Zedlitz, der als Oberprnsidcnt der Provinz Posen Gelegenheit hatte, die hiesigen Deutschen kennen zu lernen, sagte, der schlimmste Fehler der Ostdeutschen sei der, daß sie immer nach der Negierung riefen! sie selber wollten nichts thun. Grenzboten III 1897 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/457>, abgerufen am 24.07.2024.