Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH?

die Pinsel, Radirnadel, Modellirstccken führen oder auch nnr die einfache
Schreibfeder, um ihre Meinung durch die Druckerschwärze ihren Lesern als
"öffentliche Meinung" aufzuzwingen -- sie alle haben sich zusammengerottet,
einen Sturmlauf gegen die Hochburg der Reaktion zu unternehmen. Es ist
noch niemals so viel über eine Berliner Ausstellung in einheimischen und aus¬
wärtigen Zeitungen geschimpft worden wie in diesem Jahre. Wir sind grund¬
sätzlich der Meinung, daß der sogenannte Lokalpatriotismus von Kunstange¬
legenheiten fern bleiben muß, weil es sich hier nicht um Kirchturmspolitik,
sondern um die höchsten Ideale handelt. Wir bleiben auch dabei, trotzdem
daß der Lokalpatriotismus in solchen Dingen nirgends schwerer ins Gewicht
füllt als in den rivalisirenden Kunststätten Münchens und Dresdens. Aber
Gerechtigkeit darf man fordern, und diese ist von den grundsätzlichen Gegnern
der Berliner Kunstausstellung noch niemals so schmählich mit Füßen getreten
worden wie in diesem Jahre. Die Ursachen davon sind nicht in der Kunst¬
ausstellung selbst, sondern tiefer zu suchen. Es handelt sich, wie vor Jahren
bei der Bildung der Münchner Sezession, im wesentlichen um Personalfragen.
Es giebt in Berlin einen Künstler, der von den jungen Stürmern, Drängern
und Kunstreformatoren mit einem geradezu fanatischen Hasse verfolgt wird: der
Direktor der Hochschule für die bildenden Künste Anton von Werner. Er, der
vor zweiundzwanzig Jahren von der gesamten Berliner Künstlerschaft auf den
Schild gehoben und dem Ministerium geradezu als Direktor der Kunstakademie
aufgezwungen wurde, muß jetzt nach dein "Hosianna!" das mißtönende
"Kreuzige ihn!" hören. Nach der Meinung seiner jugendlichen Gegner, hinter
denen übrigens, wie man sagt, reife Männer stehen, bei denen Werner aus
frühern Jahren etwas auf dem Kerbholz hat, ist der Direktor der Kunstakademie
die Verkörperung der "offiziellen Kunst," ein Mann, den zu hassen und zu
verabscheuen die Pflicht jedes Revolutionärs ist. Dieser Mann hat seit einigen
Jahren die unangenehme Gewohnheit, den Schülern der Akademie bei der
Preisverteilung am Schlüsse des Svmmersemesters eine Rede zu halten, in
der er in wenig liebevoller Art der "modernsten Kunst" gedenkt. Er ist der
Meinung -- und er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sie
auszusprechen --, daß die "genialen" Freiheiten oder Frechheiten der "mo¬
dernsten Kunst" nichts für die Akademiker seien, daß diese vielmehr, solange
sie auf der Hochschule studiren, erst ordentlich zeichnen und malen lernen
sollen. Was sie dann später machen wollten, ginge ihn nichts an; dafür
wäre er nicht mehr verantwortlich. In diesem Jahre hat er noch tiefer als
sonst in die geheimen Winkel der modernsten Kunst hineingeleuchtet und hat
sich über seine Entdeckungen in seiner erquickenden Deutlichkeit ausgesprochen.
Darob ein Mordspektakel im Lager der Journalisten, die sich aus Mangel an
anderen Stoff auf die Kunstschreiberei im Sinne der "Modernen" geworfen
haben. Man glaubt gar nicht, was für ein bequemes Geschäft das ist! Die


Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH?

die Pinsel, Radirnadel, Modellirstccken führen oder auch nnr die einfache
Schreibfeder, um ihre Meinung durch die Druckerschwärze ihren Lesern als
„öffentliche Meinung" aufzuzwingen — sie alle haben sich zusammengerottet,
einen Sturmlauf gegen die Hochburg der Reaktion zu unternehmen. Es ist
noch niemals so viel über eine Berliner Ausstellung in einheimischen und aus¬
wärtigen Zeitungen geschimpft worden wie in diesem Jahre. Wir sind grund¬
sätzlich der Meinung, daß der sogenannte Lokalpatriotismus von Kunstange¬
legenheiten fern bleiben muß, weil es sich hier nicht um Kirchturmspolitik,
sondern um die höchsten Ideale handelt. Wir bleiben auch dabei, trotzdem
daß der Lokalpatriotismus in solchen Dingen nirgends schwerer ins Gewicht
füllt als in den rivalisirenden Kunststätten Münchens und Dresdens. Aber
Gerechtigkeit darf man fordern, und diese ist von den grundsätzlichen Gegnern
der Berliner Kunstausstellung noch niemals so schmählich mit Füßen getreten
worden wie in diesem Jahre. Die Ursachen davon sind nicht in der Kunst¬
ausstellung selbst, sondern tiefer zu suchen. Es handelt sich, wie vor Jahren
bei der Bildung der Münchner Sezession, im wesentlichen um Personalfragen.
Es giebt in Berlin einen Künstler, der von den jungen Stürmern, Drängern
und Kunstreformatoren mit einem geradezu fanatischen Hasse verfolgt wird: der
Direktor der Hochschule für die bildenden Künste Anton von Werner. Er, der
vor zweiundzwanzig Jahren von der gesamten Berliner Künstlerschaft auf den
Schild gehoben und dem Ministerium geradezu als Direktor der Kunstakademie
aufgezwungen wurde, muß jetzt nach dein „Hosianna!" das mißtönende
„Kreuzige ihn!" hören. Nach der Meinung seiner jugendlichen Gegner, hinter
denen übrigens, wie man sagt, reife Männer stehen, bei denen Werner aus
frühern Jahren etwas auf dem Kerbholz hat, ist der Direktor der Kunstakademie
die Verkörperung der „offiziellen Kunst," ein Mann, den zu hassen und zu
verabscheuen die Pflicht jedes Revolutionärs ist. Dieser Mann hat seit einigen
Jahren die unangenehme Gewohnheit, den Schülern der Akademie bei der
Preisverteilung am Schlüsse des Svmmersemesters eine Rede zu halten, in
der er in wenig liebevoller Art der „modernsten Kunst" gedenkt. Er ist der
Meinung — und er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sie
auszusprechen —, daß die „genialen" Freiheiten oder Frechheiten der „mo¬
dernsten Kunst" nichts für die Akademiker seien, daß diese vielmehr, solange
sie auf der Hochschule studiren, erst ordentlich zeichnen und malen lernen
sollen. Was sie dann später machen wollten, ginge ihn nichts an; dafür
wäre er nicht mehr verantwortlich. In diesem Jahre hat er noch tiefer als
sonst in die geheimen Winkel der modernsten Kunst hineingeleuchtet und hat
sich über seine Entdeckungen in seiner erquickenden Deutlichkeit ausgesprochen.
Darob ein Mordspektakel im Lager der Journalisten, die sich aus Mangel an
anderen Stoff auf die Kunstschreiberei im Sinne der „Modernen" geworfen
haben. Man glaubt gar nicht, was für ein bequemes Geschäft das ist! Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226013"/>
          <fw type="header" place="top"> Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065" next="#ID_1067"> die Pinsel, Radirnadel, Modellirstccken führen oder auch nnr die einfache<lb/>
Schreibfeder, um ihre Meinung durch die Druckerschwärze ihren Lesern als<lb/>
&#x201E;öffentliche Meinung" aufzuzwingen &#x2014; sie alle haben sich zusammengerottet,<lb/>
einen Sturmlauf gegen die Hochburg der Reaktion zu unternehmen. Es ist<lb/>
noch niemals so viel über eine Berliner Ausstellung in einheimischen und aus¬<lb/>
wärtigen Zeitungen geschimpft worden wie in diesem Jahre. Wir sind grund¬<lb/>
sätzlich der Meinung, daß der sogenannte Lokalpatriotismus von Kunstange¬<lb/>
legenheiten fern bleiben muß, weil es sich hier nicht um Kirchturmspolitik,<lb/>
sondern um die höchsten Ideale handelt. Wir bleiben auch dabei, trotzdem<lb/>
daß der Lokalpatriotismus in solchen Dingen nirgends schwerer ins Gewicht<lb/>
füllt als in den rivalisirenden Kunststätten Münchens und Dresdens. Aber<lb/>
Gerechtigkeit darf man fordern, und diese ist von den grundsätzlichen Gegnern<lb/>
der Berliner Kunstausstellung noch niemals so schmählich mit Füßen getreten<lb/>
worden wie in diesem Jahre. Die Ursachen davon sind nicht in der Kunst¬<lb/>
ausstellung selbst, sondern tiefer zu suchen. Es handelt sich, wie vor Jahren<lb/>
bei der Bildung der Münchner Sezession, im wesentlichen um Personalfragen.<lb/>
Es giebt in Berlin einen Künstler, der von den jungen Stürmern, Drängern<lb/>
und Kunstreformatoren mit einem geradezu fanatischen Hasse verfolgt wird: der<lb/>
Direktor der Hochschule für die bildenden Künste Anton von Werner. Er, der<lb/>
vor zweiundzwanzig Jahren von der gesamten Berliner Künstlerschaft auf den<lb/>
Schild gehoben und dem Ministerium geradezu als Direktor der Kunstakademie<lb/>
aufgezwungen wurde, muß jetzt nach dein &#x201E;Hosianna!" das mißtönende<lb/>
&#x201E;Kreuzige ihn!" hören. Nach der Meinung seiner jugendlichen Gegner, hinter<lb/>
denen übrigens, wie man sagt, reife Männer stehen, bei denen Werner aus<lb/>
frühern Jahren etwas auf dem Kerbholz hat, ist der Direktor der Kunstakademie<lb/>
die Verkörperung der &#x201E;offiziellen Kunst," ein Mann, den zu hassen und zu<lb/>
verabscheuen die Pflicht jedes Revolutionärs ist. Dieser Mann hat seit einigen<lb/>
Jahren die unangenehme Gewohnheit, den Schülern der Akademie bei der<lb/>
Preisverteilung am Schlüsse des Svmmersemesters eine Rede zu halten, in<lb/>
der er in wenig liebevoller Art der &#x201E;modernsten Kunst" gedenkt. Er ist der<lb/>
Meinung &#x2014; und er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sie<lb/>
auszusprechen &#x2014;, daß die &#x201E;genialen" Freiheiten oder Frechheiten der &#x201E;mo¬<lb/>
dernsten Kunst" nichts für die Akademiker seien, daß diese vielmehr, solange<lb/>
sie auf der Hochschule studiren, erst ordentlich zeichnen und malen lernen<lb/>
sollen. Was sie dann später machen wollten, ginge ihn nichts an; dafür<lb/>
wäre er nicht mehr verantwortlich. In diesem Jahre hat er noch tiefer als<lb/>
sonst in die geheimen Winkel der modernsten Kunst hineingeleuchtet und hat<lb/>
sich über seine Entdeckungen in seiner erquickenden Deutlichkeit ausgesprochen.<lb/>
Darob ein Mordspektakel im Lager der Journalisten, die sich aus Mangel an<lb/>
anderen Stoff auf die Kunstschreiberei im Sinne der &#x201E;Modernen" geworfen<lb/>
haben.  Man glaubt gar nicht, was für ein bequemes Geschäft das ist! Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] Die großen Kunstausstellungen des Jahres ^LH? die Pinsel, Radirnadel, Modellirstccken führen oder auch nnr die einfache Schreibfeder, um ihre Meinung durch die Druckerschwärze ihren Lesern als „öffentliche Meinung" aufzuzwingen — sie alle haben sich zusammengerottet, einen Sturmlauf gegen die Hochburg der Reaktion zu unternehmen. Es ist noch niemals so viel über eine Berliner Ausstellung in einheimischen und aus¬ wärtigen Zeitungen geschimpft worden wie in diesem Jahre. Wir sind grund¬ sätzlich der Meinung, daß der sogenannte Lokalpatriotismus von Kunstange¬ legenheiten fern bleiben muß, weil es sich hier nicht um Kirchturmspolitik, sondern um die höchsten Ideale handelt. Wir bleiben auch dabei, trotzdem daß der Lokalpatriotismus in solchen Dingen nirgends schwerer ins Gewicht füllt als in den rivalisirenden Kunststätten Münchens und Dresdens. Aber Gerechtigkeit darf man fordern, und diese ist von den grundsätzlichen Gegnern der Berliner Kunstausstellung noch niemals so schmählich mit Füßen getreten worden wie in diesem Jahre. Die Ursachen davon sind nicht in der Kunst¬ ausstellung selbst, sondern tiefer zu suchen. Es handelt sich, wie vor Jahren bei der Bildung der Münchner Sezession, im wesentlichen um Personalfragen. Es giebt in Berlin einen Künstler, der von den jungen Stürmern, Drängern und Kunstreformatoren mit einem geradezu fanatischen Hasse verfolgt wird: der Direktor der Hochschule für die bildenden Künste Anton von Werner. Er, der vor zweiundzwanzig Jahren von der gesamten Berliner Künstlerschaft auf den Schild gehoben und dem Ministerium geradezu als Direktor der Kunstakademie aufgezwungen wurde, muß jetzt nach dein „Hosianna!" das mißtönende „Kreuzige ihn!" hören. Nach der Meinung seiner jugendlichen Gegner, hinter denen übrigens, wie man sagt, reife Männer stehen, bei denen Werner aus frühern Jahren etwas auf dem Kerbholz hat, ist der Direktor der Kunstakademie die Verkörperung der „offiziellen Kunst," ein Mann, den zu hassen und zu verabscheuen die Pflicht jedes Revolutionärs ist. Dieser Mann hat seit einigen Jahren die unangenehme Gewohnheit, den Schülern der Akademie bei der Preisverteilung am Schlüsse des Svmmersemesters eine Rede zu halten, in der er in wenig liebevoller Art der „modernsten Kunst" gedenkt. Er ist der Meinung — und er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sie auszusprechen —, daß die „genialen" Freiheiten oder Frechheiten der „mo¬ dernsten Kunst" nichts für die Akademiker seien, daß diese vielmehr, solange sie auf der Hochschule studiren, erst ordentlich zeichnen und malen lernen sollen. Was sie dann später machen wollten, ginge ihn nichts an; dafür wäre er nicht mehr verantwortlich. In diesem Jahre hat er noch tiefer als sonst in die geheimen Winkel der modernsten Kunst hineingeleuchtet und hat sich über seine Entdeckungen in seiner erquickenden Deutlichkeit ausgesprochen. Darob ein Mordspektakel im Lager der Journalisten, die sich aus Mangel an anderen Stoff auf die Kunstschreiberei im Sinne der „Modernen" geworfen haben. Man glaubt gar nicht, was für ein bequemes Geschäft das ist! Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/427>, abgerufen am 24.07.2024.