Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die großen Runstausstellungen des Icchres ^39?

Es ist also nur der Kampf zwischen Berlin, Dresden und München, der
uns hier beschäftigen kann. Ist es aber wirklich ein Kampf um ideale Ziele
oder auch nur ein Kampf um materielle Interessen? Wir haben Ursache, an
einen Kampf um sehr kleinliche Dinge zu glauben. Auf dem Papier haben
wir zwar ein einiges deutsches Reich mit einer Reichshauptstadt; aber diese
Hauptstadt steht nicht bloß draußen im Reich, sondern auch in den preußischen
Provinzen in einem Rufe, der nicht fein ist. Jedermann in den Provinzen
schimpft auf Berlin und ist doch selig, wenn er einmal eine Vergnügungsfahrt
nach dem vielgeschmähten "Wasserkopf" machen oder gar für längere Zeit
oder für immer dort feinen Wohnsitz nehmen kann. Und so geht es auch den
Süddeutschen. Aber es wäre schade, wenn sich eine der nach Bismarcks Urteil
wertvollsten Eigenschaften des deutschen Vvlkscharcckters, der Partikularismus,
nicht wenigstens hie und da Luft machte. Das ungefährlichste Ventil wird
fast immer auf dem Kunstgebiete geöffnet, weil die Kunst in deutschen Landen
trotz der von Frankreich erborgten Phrase xour I'-ire -- die Kunst ist
sich Selbstzweck -- immer noch das corpus vile ist, woran Spekulanten,
Intriganten und Pfuscher hernmarbeiten dürfen, ohne daß sie das scharfe
Auge eines obersten Kunstrichters zu fürchten brauchen.

Als die Stadt des idealen "Militarismus" und der vollendeten Schneidig-
keit preußischer Garden wird Berlin überall im deutschen Reiche anerkannt;
aber um keinen Preis als Kunststadt. Der Vorort der deutschen Kunst ist
und bleibt München. Das ist nun einmal eine ausgemachte Sache, und man
darf auch nicht nach den Gründen fragen. Daß Cornelius ausgetrieben worden
ist und in Berlin einen Zufluchtsort gefunden hat, ist längst vergessen. Auch
Piloty, der Revolutionär, und alle andern sind es. Aber München hat die
internationalen Kunstausstellungen erfunden, hat uns zuerst nach 1870 die
Franzosen nach Deutschland gelockt, hat schon früher Werke auslüudischer
Künstler zusammengebracht, die alle mehr oder weniger von den Franzosen
gelernt haben -- wer will nach solchen Verdiensten noch daran zweifeln, daß
München der "Vorort der deutscheu Kunst" ist? Berlin hat sich, wie es
scheint, mit dieser Thatsache in stiller Verzichtleistung abgefunden. Aber
Dresden revoltirt und ist plötzlich in einem kritischen Augenblick als Neben¬
buhlerin Münchens aufgetreten. Freilich hat es sich zuerst im wesentlichen
mit einem Auszug aus den letzten Ausstellungen des Glaspalastcs und der
Sezession begnügen müssen. Das ist aber nur der Anfang des Kampfes. Er
ist strategisch so geschickt vorbereitet worden, daß München Ursache zu Besorg¬
nissen hätte, wenn dort nicht nach dem ewigen Gesetz des Wandels aller
menschlichen Dinge ein Rückschlag eingetreten wäre.

Aber wir wollen die Schilderung unsrer Beobachtungen mit Berlin be¬
ginnen. Armes Berlin! Es steht nun einmal fest, daß du der Hauptsitz der
finstersten Reaktion auf allen Gebieten der Kunst bist, und alle Freiheitsapostel,


Die großen Runstausstellungen des Icchres ^39?

Es ist also nur der Kampf zwischen Berlin, Dresden und München, der
uns hier beschäftigen kann. Ist es aber wirklich ein Kampf um ideale Ziele
oder auch nur ein Kampf um materielle Interessen? Wir haben Ursache, an
einen Kampf um sehr kleinliche Dinge zu glauben. Auf dem Papier haben
wir zwar ein einiges deutsches Reich mit einer Reichshauptstadt; aber diese
Hauptstadt steht nicht bloß draußen im Reich, sondern auch in den preußischen
Provinzen in einem Rufe, der nicht fein ist. Jedermann in den Provinzen
schimpft auf Berlin und ist doch selig, wenn er einmal eine Vergnügungsfahrt
nach dem vielgeschmähten „Wasserkopf" machen oder gar für längere Zeit
oder für immer dort feinen Wohnsitz nehmen kann. Und so geht es auch den
Süddeutschen. Aber es wäre schade, wenn sich eine der nach Bismarcks Urteil
wertvollsten Eigenschaften des deutschen Vvlkscharcckters, der Partikularismus,
nicht wenigstens hie und da Luft machte. Das ungefährlichste Ventil wird
fast immer auf dem Kunstgebiete geöffnet, weil die Kunst in deutschen Landen
trotz der von Frankreich erborgten Phrase xour I'-ire — die Kunst ist
sich Selbstzweck — immer noch das corpus vile ist, woran Spekulanten,
Intriganten und Pfuscher hernmarbeiten dürfen, ohne daß sie das scharfe
Auge eines obersten Kunstrichters zu fürchten brauchen.

Als die Stadt des idealen „Militarismus" und der vollendeten Schneidig-
keit preußischer Garden wird Berlin überall im deutschen Reiche anerkannt;
aber um keinen Preis als Kunststadt. Der Vorort der deutschen Kunst ist
und bleibt München. Das ist nun einmal eine ausgemachte Sache, und man
darf auch nicht nach den Gründen fragen. Daß Cornelius ausgetrieben worden
ist und in Berlin einen Zufluchtsort gefunden hat, ist längst vergessen. Auch
Piloty, der Revolutionär, und alle andern sind es. Aber München hat die
internationalen Kunstausstellungen erfunden, hat uns zuerst nach 1870 die
Franzosen nach Deutschland gelockt, hat schon früher Werke auslüudischer
Künstler zusammengebracht, die alle mehr oder weniger von den Franzosen
gelernt haben — wer will nach solchen Verdiensten noch daran zweifeln, daß
München der „Vorort der deutscheu Kunst" ist? Berlin hat sich, wie es
scheint, mit dieser Thatsache in stiller Verzichtleistung abgefunden. Aber
Dresden revoltirt und ist plötzlich in einem kritischen Augenblick als Neben¬
buhlerin Münchens aufgetreten. Freilich hat es sich zuerst im wesentlichen
mit einem Auszug aus den letzten Ausstellungen des Glaspalastcs und der
Sezession begnügen müssen. Das ist aber nur der Anfang des Kampfes. Er
ist strategisch so geschickt vorbereitet worden, daß München Ursache zu Besorg¬
nissen hätte, wenn dort nicht nach dem ewigen Gesetz des Wandels aller
menschlichen Dinge ein Rückschlag eingetreten wäre.

Aber wir wollen die Schilderung unsrer Beobachtungen mit Berlin be¬
ginnen. Armes Berlin! Es steht nun einmal fest, daß du der Hauptsitz der
finstersten Reaktion auf allen Gebieten der Kunst bist, und alle Freiheitsapostel,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226012"/>
          <fw type="header" place="top"> Die großen Runstausstellungen des Icchres ^39?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1063"> Es ist also nur der Kampf zwischen Berlin, Dresden und München, der<lb/>
uns hier beschäftigen kann. Ist es aber wirklich ein Kampf um ideale Ziele<lb/>
oder auch nur ein Kampf um materielle Interessen? Wir haben Ursache, an<lb/>
einen Kampf um sehr kleinliche Dinge zu glauben. Auf dem Papier haben<lb/>
wir zwar ein einiges deutsches Reich mit einer Reichshauptstadt; aber diese<lb/>
Hauptstadt steht nicht bloß draußen im Reich, sondern auch in den preußischen<lb/>
Provinzen in einem Rufe, der nicht fein ist. Jedermann in den Provinzen<lb/>
schimpft auf Berlin und ist doch selig, wenn er einmal eine Vergnügungsfahrt<lb/>
nach dem vielgeschmähten &#x201E;Wasserkopf" machen oder gar für längere Zeit<lb/>
oder für immer dort feinen Wohnsitz nehmen kann. Und so geht es auch den<lb/>
Süddeutschen. Aber es wäre schade, wenn sich eine der nach Bismarcks Urteil<lb/>
wertvollsten Eigenschaften des deutschen Vvlkscharcckters, der Partikularismus,<lb/>
nicht wenigstens hie und da Luft machte. Das ungefährlichste Ventil wird<lb/>
fast immer auf dem Kunstgebiete geöffnet, weil die Kunst in deutschen Landen<lb/>
trotz der von Frankreich erborgten Phrase xour I'-ire &#x2014; die Kunst ist<lb/>
sich Selbstzweck &#x2014; immer noch das corpus vile ist, woran Spekulanten,<lb/>
Intriganten und Pfuscher hernmarbeiten dürfen, ohne daß sie das scharfe<lb/>
Auge eines obersten Kunstrichters zu fürchten brauchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1064"> Als die Stadt des idealen &#x201E;Militarismus" und der vollendeten Schneidig-<lb/>
keit preußischer Garden wird Berlin überall im deutschen Reiche anerkannt;<lb/>
aber um keinen Preis als Kunststadt. Der Vorort der deutschen Kunst ist<lb/>
und bleibt München. Das ist nun einmal eine ausgemachte Sache, und man<lb/>
darf auch nicht nach den Gründen fragen. Daß Cornelius ausgetrieben worden<lb/>
ist und in Berlin einen Zufluchtsort gefunden hat, ist längst vergessen. Auch<lb/>
Piloty, der Revolutionär, und alle andern sind es. Aber München hat die<lb/>
internationalen Kunstausstellungen erfunden, hat uns zuerst nach 1870 die<lb/>
Franzosen nach Deutschland gelockt, hat schon früher Werke auslüudischer<lb/>
Künstler zusammengebracht, die alle mehr oder weniger von den Franzosen<lb/>
gelernt haben &#x2014; wer will nach solchen Verdiensten noch daran zweifeln, daß<lb/>
München der &#x201E;Vorort der deutscheu Kunst" ist? Berlin hat sich, wie es<lb/>
scheint, mit dieser Thatsache in stiller Verzichtleistung abgefunden. Aber<lb/>
Dresden revoltirt und ist plötzlich in einem kritischen Augenblick als Neben¬<lb/>
buhlerin Münchens aufgetreten. Freilich hat es sich zuerst im wesentlichen<lb/>
mit einem Auszug aus den letzten Ausstellungen des Glaspalastcs und der<lb/>
Sezession begnügen müssen. Das ist aber nur der Anfang des Kampfes. Er<lb/>
ist strategisch so geschickt vorbereitet worden, daß München Ursache zu Besorg¬<lb/>
nissen hätte, wenn dort nicht nach dem ewigen Gesetz des Wandels aller<lb/>
menschlichen Dinge ein Rückschlag eingetreten wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"> Aber wir wollen die Schilderung unsrer Beobachtungen mit Berlin be¬<lb/>
ginnen. Armes Berlin! Es steht nun einmal fest, daß du der Hauptsitz der<lb/>
finstersten Reaktion auf allen Gebieten der Kunst bist, und alle Freiheitsapostel,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Die großen Runstausstellungen des Icchres ^39? Es ist also nur der Kampf zwischen Berlin, Dresden und München, der uns hier beschäftigen kann. Ist es aber wirklich ein Kampf um ideale Ziele oder auch nur ein Kampf um materielle Interessen? Wir haben Ursache, an einen Kampf um sehr kleinliche Dinge zu glauben. Auf dem Papier haben wir zwar ein einiges deutsches Reich mit einer Reichshauptstadt; aber diese Hauptstadt steht nicht bloß draußen im Reich, sondern auch in den preußischen Provinzen in einem Rufe, der nicht fein ist. Jedermann in den Provinzen schimpft auf Berlin und ist doch selig, wenn er einmal eine Vergnügungsfahrt nach dem vielgeschmähten „Wasserkopf" machen oder gar für längere Zeit oder für immer dort feinen Wohnsitz nehmen kann. Und so geht es auch den Süddeutschen. Aber es wäre schade, wenn sich eine der nach Bismarcks Urteil wertvollsten Eigenschaften des deutschen Vvlkscharcckters, der Partikularismus, nicht wenigstens hie und da Luft machte. Das ungefährlichste Ventil wird fast immer auf dem Kunstgebiete geöffnet, weil die Kunst in deutschen Landen trotz der von Frankreich erborgten Phrase xour I'-ire — die Kunst ist sich Selbstzweck — immer noch das corpus vile ist, woran Spekulanten, Intriganten und Pfuscher hernmarbeiten dürfen, ohne daß sie das scharfe Auge eines obersten Kunstrichters zu fürchten brauchen. Als die Stadt des idealen „Militarismus" und der vollendeten Schneidig- keit preußischer Garden wird Berlin überall im deutschen Reiche anerkannt; aber um keinen Preis als Kunststadt. Der Vorort der deutschen Kunst ist und bleibt München. Das ist nun einmal eine ausgemachte Sache, und man darf auch nicht nach den Gründen fragen. Daß Cornelius ausgetrieben worden ist und in Berlin einen Zufluchtsort gefunden hat, ist längst vergessen. Auch Piloty, der Revolutionär, und alle andern sind es. Aber München hat die internationalen Kunstausstellungen erfunden, hat uns zuerst nach 1870 die Franzosen nach Deutschland gelockt, hat schon früher Werke auslüudischer Künstler zusammengebracht, die alle mehr oder weniger von den Franzosen gelernt haben — wer will nach solchen Verdiensten noch daran zweifeln, daß München der „Vorort der deutscheu Kunst" ist? Berlin hat sich, wie es scheint, mit dieser Thatsache in stiller Verzichtleistung abgefunden. Aber Dresden revoltirt und ist plötzlich in einem kritischen Augenblick als Neben¬ buhlerin Münchens aufgetreten. Freilich hat es sich zuerst im wesentlichen mit einem Auszug aus den letzten Ausstellungen des Glaspalastcs und der Sezession begnügen müssen. Das ist aber nur der Anfang des Kampfes. Er ist strategisch so geschickt vorbereitet worden, daß München Ursache zu Besorg¬ nissen hätte, wenn dort nicht nach dem ewigen Gesetz des Wandels aller menschlichen Dinge ein Rückschlag eingetreten wäre. Aber wir wollen die Schilderung unsrer Beobachtungen mit Berlin be¬ ginnen. Armes Berlin! Es steht nun einmal fest, daß du der Hauptsitz der finstersten Reaktion auf allen Gebieten der Kunst bist, und alle Freiheitsapostel,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/426>, abgerufen am 29.12.2024.