Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Die großen Kunstausstellungen des Jahres i(39? Maler deuten nur an, und der Kunstkritiker kann an diese unbestimmten Unter diesem weitverzweigten Haß gegen Anton von Werner hat die Ber¬ Die Furcht vor materiellen Verlusten ist wohl überhaupt bei der Bildung Ein Zeichen des Mangels an Energie, ja geradezu der Schwäche ist es Die großen Kunstausstellungen des Jahres i(39? Maler deuten nur an, und der Kunstkritiker kann an diese unbestimmten Unter diesem weitverzweigten Haß gegen Anton von Werner hat die Ber¬ Die Furcht vor materiellen Verlusten ist wohl überhaupt bei der Bildung Ein Zeichen des Mangels an Energie, ja geradezu der Schwäche ist es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226014"/> <fw type="header" place="top"> Die großen Kunstausstellungen des Jahres i(39?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1067" prev="#ID_1066"> Maler deuten nur an, und der Kunstkritiker kann an diese unbestimmten<lb/> Farbeuslecken eine Fülle von lyrischen oder, wenn ihm keine „Lyrismen" (ganz<lb/> modern!) einfallen, von philosophischen Ergüssen knüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1068"> Unter diesem weitverzweigten Haß gegen Anton von Werner hat die Ber¬<lb/> liner Kunstausstellung schon vor seiner im Juli gehaltenen Rede leiden müssen.<lb/> Ihre Gegner wittern immer noch den Einflusz Werners in der Ausstellungs¬<lb/> leitung, obwohl der vielgehaßte Mann schon seit mehreren Jahren davon<lb/> zurückgetreten ist. Der jetzige Vorsitzende, der Orientmaler Ernst Körner, ist<lb/> ein Mann, der mit unerschütterlicher Nuhe, immer liebenswürdig und fried¬<lb/> liebend, zwischen den entgegengesetzten Parteien zu vermitteln sucht. Die ma¬<lb/> teriellen Interessen des „Vereins Berliner Künstler" hat er jedenfalls sehr gut<lb/> wahrgenommen, da nun unter seiner Leitung das Künstlerhaus, das Ziel<lb/> dreißigjährigen Strebens, zu stände kommen wird. Als Leiter einer großen<lb/> Kunstausstellung ist er vielleicht nicht energisch, nicht rücksichtslos, nicht<lb/> „schneidig" genug. Dieses Berlinische Wort muß hier gebraucht werden, weil<lb/> es sich um Zustände handelt, die nur ein Diktator beherrschen kann. Das<lb/> war früher Anton von Werner in Berlin, und das ist jetzt Lenbach in München.<lb/> Körner ist dagegen ein streng konstitutioneller Regent, der nichts ohne Zu¬<lb/> stimmung seiner Minister thun mag. Durch dieses System der Vielherrschaft<lb/> haben sich für die Berliner Ausstellung Nachteile ergeben, die zwar, wie es<lb/> scheint, noch keinen materiellen Verlust, aber doch eine moralische Niederlage<lb/> bedeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1069"> Die Furcht vor materiellen Verlusten ist wohl überhaupt bei der Bildung<lb/> der Berliner Ausstellung entscheidend gewesen. Nach dem vor zwei Jahren<lb/> erzielten reichen Überschuß war im vorigen Jahre ein starker Rückschlag erfolgt.<lb/> Man hatte sich an die Überschüsse gewohnt, und da 1896 die Rechnung nur<lb/> ziemlich glatt abschloß, so fiel der Mut der Unternehmer, und man beschloß,<lb/> sich auf die Fruchtbarkeit der heimischen Kräfte zu verlassen, ohne jedoch ganz,<lb/> aber mit möglichst geringem Kostenaufwand, auf die Ausländer zu verzichten.<lb/> Diese Zaghaftigkeit hat der Berliner Ausstellung am meisten geschadet. Ein<lb/> großer Feldherr sucht eine kleine Schlappe durch eiuen großen Sieg auszu¬<lb/> gleichen; aber diese Energie hat der Leitung der Berliner Ausstellung gefehlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1070" next="#ID_1071"> Ein Zeichen des Mangels an Energie, ja geradezu der Schwäche ist es<lb/> auch, wenn man sich zu Kompromissen herbeiläßt. Die Ausstellungskommissiou<lb/> hat versucht, auch der „modernen Richtung" ein gewisses Maß von Freiheit<lb/> zu gewähren, und so hat sie sich, wie man hört, gedrängt durch jüngere Mit¬<lb/> glieder, dazu verleiten lassen, die Anfertigung eines Plakats für die Aus¬<lb/> stellung, das nun einmal in unsrer reklamewütigen Zeit ein notwendiges Übel<lb/> ist, einem jungen Maler namens Melchior Lechter anzuvertrauen, der im ver¬<lb/> flossenen Jahre durch phantastische Entwürfe für Glasfenster, durch Zeich¬<lb/> nungen für Büchereien (sogenannte IZx-Iivris), durch allerhand ornamentale</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0428]
Die großen Kunstausstellungen des Jahres i(39?
Maler deuten nur an, und der Kunstkritiker kann an diese unbestimmten
Farbeuslecken eine Fülle von lyrischen oder, wenn ihm keine „Lyrismen" (ganz
modern!) einfallen, von philosophischen Ergüssen knüpfen.
Unter diesem weitverzweigten Haß gegen Anton von Werner hat die Ber¬
liner Kunstausstellung schon vor seiner im Juli gehaltenen Rede leiden müssen.
Ihre Gegner wittern immer noch den Einflusz Werners in der Ausstellungs¬
leitung, obwohl der vielgehaßte Mann schon seit mehreren Jahren davon
zurückgetreten ist. Der jetzige Vorsitzende, der Orientmaler Ernst Körner, ist
ein Mann, der mit unerschütterlicher Nuhe, immer liebenswürdig und fried¬
liebend, zwischen den entgegengesetzten Parteien zu vermitteln sucht. Die ma¬
teriellen Interessen des „Vereins Berliner Künstler" hat er jedenfalls sehr gut
wahrgenommen, da nun unter seiner Leitung das Künstlerhaus, das Ziel
dreißigjährigen Strebens, zu stände kommen wird. Als Leiter einer großen
Kunstausstellung ist er vielleicht nicht energisch, nicht rücksichtslos, nicht
„schneidig" genug. Dieses Berlinische Wort muß hier gebraucht werden, weil
es sich um Zustände handelt, die nur ein Diktator beherrschen kann. Das
war früher Anton von Werner in Berlin, und das ist jetzt Lenbach in München.
Körner ist dagegen ein streng konstitutioneller Regent, der nichts ohne Zu¬
stimmung seiner Minister thun mag. Durch dieses System der Vielherrschaft
haben sich für die Berliner Ausstellung Nachteile ergeben, die zwar, wie es
scheint, noch keinen materiellen Verlust, aber doch eine moralische Niederlage
bedeuten.
Die Furcht vor materiellen Verlusten ist wohl überhaupt bei der Bildung
der Berliner Ausstellung entscheidend gewesen. Nach dem vor zwei Jahren
erzielten reichen Überschuß war im vorigen Jahre ein starker Rückschlag erfolgt.
Man hatte sich an die Überschüsse gewohnt, und da 1896 die Rechnung nur
ziemlich glatt abschloß, so fiel der Mut der Unternehmer, und man beschloß,
sich auf die Fruchtbarkeit der heimischen Kräfte zu verlassen, ohne jedoch ganz,
aber mit möglichst geringem Kostenaufwand, auf die Ausländer zu verzichten.
Diese Zaghaftigkeit hat der Berliner Ausstellung am meisten geschadet. Ein
großer Feldherr sucht eine kleine Schlappe durch eiuen großen Sieg auszu¬
gleichen; aber diese Energie hat der Leitung der Berliner Ausstellung gefehlt.
Ein Zeichen des Mangels an Energie, ja geradezu der Schwäche ist es
auch, wenn man sich zu Kompromissen herbeiläßt. Die Ausstellungskommissiou
hat versucht, auch der „modernen Richtung" ein gewisses Maß von Freiheit
zu gewähren, und so hat sie sich, wie man hört, gedrängt durch jüngere Mit¬
glieder, dazu verleiten lassen, die Anfertigung eines Plakats für die Aus¬
stellung, das nun einmal in unsrer reklamewütigen Zeit ein notwendiges Übel
ist, einem jungen Maler namens Melchior Lechter anzuvertrauen, der im ver¬
flossenen Jahre durch phantastische Entwürfe für Glasfenster, durch Zeich¬
nungen für Büchereien (sogenannte IZx-Iivris), durch allerhand ornamentale
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