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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jakob Burckhardt

Basel Geschichtstunden gab. Ebenso wenig aber auch, daß, nachdem er schon
zehn Jahre lang als Extraordinarius an der Hochschule gewirkt hatte, und
sein "Cicerone" schon erschienen war (18S5), Basel es sich nehmen ließ, ihn
zu befördern und ihn erst drei Jahre später von Zürich, wohin man ihn als
Ordinarius berufen hatte, zurückrief. Daß er sich um seinen litterarischen Ruhm
nicht sehr kümmerte, war bekannt. Denn die neuen Auflagen des "Cicerone"
und der 1860 erschienenen "Kultur der Renaissance" hat er andern überlassen,
und die Veröffentlichung seiner "Geschichte der Renaissance in Italien" (1867),
einer systematischen Darstellung der Architekturformen und der Dekoration,
einer Behandlung nach Sachen und Gattungen in Winckelmanns Sinne gegen¬
über der üblichen erzählenden Kunstgeschichte, war nur mit Mühe und durch
Bitten seiner Freunde von ihm zu erreichen. Außer diesen drei Werken hatte
er schon 1853 seine "Geschichte Konstantins" veröffentlicht. Nur die zwei
zuletzt genannten Bücher gab er selbst in neuen Auflagen heraus. Bei seiner
Leichenfeier durfte seiner letztwilligen Bestimmung gemäß nur ein Gebet ge¬
sprochen und dazu ein von ihm selbst verfaßter Lebenslauf vorgelesen werden.
Eine Familie hat er nicht hinterlassen, da er unverheiratet geblieben war.
Seinen jungen Freunden wird es nun obliegen, sich seines schriftstellerischen
Nachlasses anzunehmen. Es ist gar nicht denkbar, daß ein Mann von dieser
Bedeutung, der unablässig arbeitete, der aber nichts gern herausgab, weil ihm
nichts gut genug war, nicht noch vieles niedergeschrieben haben sollte, was für
alle von Wert sein muß. Ich habe von manchem Besucher erzählen hören,
daß er auf Manuskripte in seinen Schrankfächern gewiesen oder sie auch heraus¬
genommen und dazu gesagt habe: "Es kriegt sie niemand."

Mit Recht konnte der Redner der Universität bei einer Nachfeier von ihm
sagen, daß er durch die größte Begabung, aber auch durch die größte Arbeit
zugleich der unerreichbare Geschichtslehrer geworden sei. "Überflutet von der
Fülle von Belehrung, die wir empfingen, und festgebannt im Zauber der
klassischen Schönheit, in der uns die Belehrung entgegentrat, pflegten wir völlig
zu vergessen, welche ungeheure Summe geistiger Mühen in seinen Vorlesungen
aufgesammelt lag." Wer an dieser Belehrung nicht teil haben konnte, wird
gleichwohl bedauern, daß dieser große Geist nicht statt dessen lieber dort etwas
weniger und der übrigen Welt durch seine Feder noch etwas mehr hat geben
mögen. Sie würde es ihm wahrlich gedankt haben. Es wird doch immer
merkwürdig bleiben, daß ein unablässig arbeitender Mann in den letzten dreißig
Jahren seines Lebens nichts mehr veröffentlicht hat von dem, was er besser
verstand als alle andern.

In Basel hatte man für solche Erwägungen, wenn ich sie schon vor lauger
Zeit gelegentlich dortigen Freunden gegenüber äußerte, kein Entgegenkommen,
es schien wohl manchmal gar die Meinung durchzuschimmern, es sei doch auch
für den "Kohl" etwas wert, sich so immerfort vor lauter wohlgestelltcn und


Jakob Burckhardt

Basel Geschichtstunden gab. Ebenso wenig aber auch, daß, nachdem er schon
zehn Jahre lang als Extraordinarius an der Hochschule gewirkt hatte, und
sein „Cicerone" schon erschienen war (18S5), Basel es sich nehmen ließ, ihn
zu befördern und ihn erst drei Jahre später von Zürich, wohin man ihn als
Ordinarius berufen hatte, zurückrief. Daß er sich um seinen litterarischen Ruhm
nicht sehr kümmerte, war bekannt. Denn die neuen Auflagen des „Cicerone"
und der 1860 erschienenen „Kultur der Renaissance" hat er andern überlassen,
und die Veröffentlichung seiner „Geschichte der Renaissance in Italien" (1867),
einer systematischen Darstellung der Architekturformen und der Dekoration,
einer Behandlung nach Sachen und Gattungen in Winckelmanns Sinne gegen¬
über der üblichen erzählenden Kunstgeschichte, war nur mit Mühe und durch
Bitten seiner Freunde von ihm zu erreichen. Außer diesen drei Werken hatte
er schon 1853 seine „Geschichte Konstantins" veröffentlicht. Nur die zwei
zuletzt genannten Bücher gab er selbst in neuen Auflagen heraus. Bei seiner
Leichenfeier durfte seiner letztwilligen Bestimmung gemäß nur ein Gebet ge¬
sprochen und dazu ein von ihm selbst verfaßter Lebenslauf vorgelesen werden.
Eine Familie hat er nicht hinterlassen, da er unverheiratet geblieben war.
Seinen jungen Freunden wird es nun obliegen, sich seines schriftstellerischen
Nachlasses anzunehmen. Es ist gar nicht denkbar, daß ein Mann von dieser
Bedeutung, der unablässig arbeitete, der aber nichts gern herausgab, weil ihm
nichts gut genug war, nicht noch vieles niedergeschrieben haben sollte, was für
alle von Wert sein muß. Ich habe von manchem Besucher erzählen hören,
daß er auf Manuskripte in seinen Schrankfächern gewiesen oder sie auch heraus¬
genommen und dazu gesagt habe: „Es kriegt sie niemand."

Mit Recht konnte der Redner der Universität bei einer Nachfeier von ihm
sagen, daß er durch die größte Begabung, aber auch durch die größte Arbeit
zugleich der unerreichbare Geschichtslehrer geworden sei. „Überflutet von der
Fülle von Belehrung, die wir empfingen, und festgebannt im Zauber der
klassischen Schönheit, in der uns die Belehrung entgegentrat, pflegten wir völlig
zu vergessen, welche ungeheure Summe geistiger Mühen in seinen Vorlesungen
aufgesammelt lag." Wer an dieser Belehrung nicht teil haben konnte, wird
gleichwohl bedauern, daß dieser große Geist nicht statt dessen lieber dort etwas
weniger und der übrigen Welt durch seine Feder noch etwas mehr hat geben
mögen. Sie würde es ihm wahrlich gedankt haben. Es wird doch immer
merkwürdig bleiben, daß ein unablässig arbeitender Mann in den letzten dreißig
Jahren seines Lebens nichts mehr veröffentlicht hat von dem, was er besser
verstand als alle andern.

In Basel hatte man für solche Erwägungen, wenn ich sie schon vor lauger
Zeit gelegentlich dortigen Freunden gegenüber äußerte, kein Entgegenkommen,
es schien wohl manchmal gar die Meinung durchzuschimmern, es sei doch auch
für den „Kohl" etwas wert, sich so immerfort vor lauter wohlgestelltcn und


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[0394] Jakob Burckhardt Basel Geschichtstunden gab. Ebenso wenig aber auch, daß, nachdem er schon zehn Jahre lang als Extraordinarius an der Hochschule gewirkt hatte, und sein „Cicerone" schon erschienen war (18S5), Basel es sich nehmen ließ, ihn zu befördern und ihn erst drei Jahre später von Zürich, wohin man ihn als Ordinarius berufen hatte, zurückrief. Daß er sich um seinen litterarischen Ruhm nicht sehr kümmerte, war bekannt. Denn die neuen Auflagen des „Cicerone" und der 1860 erschienenen „Kultur der Renaissance" hat er andern überlassen, und die Veröffentlichung seiner „Geschichte der Renaissance in Italien" (1867), einer systematischen Darstellung der Architekturformen und der Dekoration, einer Behandlung nach Sachen und Gattungen in Winckelmanns Sinne gegen¬ über der üblichen erzählenden Kunstgeschichte, war nur mit Mühe und durch Bitten seiner Freunde von ihm zu erreichen. Außer diesen drei Werken hatte er schon 1853 seine „Geschichte Konstantins" veröffentlicht. Nur die zwei zuletzt genannten Bücher gab er selbst in neuen Auflagen heraus. Bei seiner Leichenfeier durfte seiner letztwilligen Bestimmung gemäß nur ein Gebet ge¬ sprochen und dazu ein von ihm selbst verfaßter Lebenslauf vorgelesen werden. Eine Familie hat er nicht hinterlassen, da er unverheiratet geblieben war. Seinen jungen Freunden wird es nun obliegen, sich seines schriftstellerischen Nachlasses anzunehmen. Es ist gar nicht denkbar, daß ein Mann von dieser Bedeutung, der unablässig arbeitete, der aber nichts gern herausgab, weil ihm nichts gut genug war, nicht noch vieles niedergeschrieben haben sollte, was für alle von Wert sein muß. Ich habe von manchem Besucher erzählen hören, daß er auf Manuskripte in seinen Schrankfächern gewiesen oder sie auch heraus¬ genommen und dazu gesagt habe: „Es kriegt sie niemand." Mit Recht konnte der Redner der Universität bei einer Nachfeier von ihm sagen, daß er durch die größte Begabung, aber auch durch die größte Arbeit zugleich der unerreichbare Geschichtslehrer geworden sei. „Überflutet von der Fülle von Belehrung, die wir empfingen, und festgebannt im Zauber der klassischen Schönheit, in der uns die Belehrung entgegentrat, pflegten wir völlig zu vergessen, welche ungeheure Summe geistiger Mühen in seinen Vorlesungen aufgesammelt lag." Wer an dieser Belehrung nicht teil haben konnte, wird gleichwohl bedauern, daß dieser große Geist nicht statt dessen lieber dort etwas weniger und der übrigen Welt durch seine Feder noch etwas mehr hat geben mögen. Sie würde es ihm wahrlich gedankt haben. Es wird doch immer merkwürdig bleiben, daß ein unablässig arbeitender Mann in den letzten dreißig Jahren seines Lebens nichts mehr veröffentlicht hat von dem, was er besser verstand als alle andern. In Basel hatte man für solche Erwägungen, wenn ich sie schon vor lauger Zeit gelegentlich dortigen Freunden gegenüber äußerte, kein Entgegenkommen, es schien wohl manchmal gar die Meinung durchzuschimmern, es sei doch auch für den „Kohl" etwas wert, sich so immerfort vor lauter wohlgestelltcn und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/394>, abgerufen am 03.07.2024.