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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jakob Burckhardt

bilduugsfreudigen jungen Eidgenossen aussprechen zu dürfen, und es ist ja
keine Frage, daß auch diese Art von Heimath- oder Stammesgefühl etwas
schönes hat.

Aus der Rede jenes Historikers möchte ich noch einen Satz anführen, weil
sich daran weitere Folgerungen knüpfen lassen. "Ein Nachglanz von dem. was
er bis vor kurzem uns gewesen, wird dann (nämlich in wenigen Jahrzehnten,
wenn der Kreis seiner jüngern Kollegen und Schüler sich zu lichten beginnen
wird) noch sortlenchten aus seinen Werken; dann werden auch neben diesen
jüngere Werke aufschießen und sie überwachsen, das dauernd gewonnene aus
ihnen aufnehmen und weiterführen und das unvollkommne ersetzen durch ge¬
wissere Forschung, wie sie die Teilung der Arbeit mit sich bringt; und bis
das kommende Jahrhundert sich wiederum zum Ende neigt, werden selbst Burck-
hardts "Zeitalter Konstantins" und die "Kultur der Renaissance" und sein
"Cicerone" nur den Fachgelehrten noch bewußt und diesen nur noch Titel sein."

Alle Achtung vor den guten Vorsätzen der heutigen Kunstwissenschaft, aber
sollten sie wirklich 1997 Jnkob Burckhardts Leistungen so völlig überwunden,
s" weit hinter sich gebracht haben? Oder, wenn man solche Fragestellung
vielleicht für verfehlt hält, sind etwa Winckelmanns Schriften heute, volle
hundertdreißig Jahre nach seinem Tode, den Fachgelehrten "nur noch Titel"?
Es mag ja jemand zweifeln, ob Burckhardt, der "Großpriester der Renaissance,"
wie ihn Wangen und Franz Kugler vor fünfzig Jahren zu nennen pflegten,
völlig auf eine Linie mit Winckelmann zu stellen sei; aber das ist zweifellos,
daß man vor Burckhardts Auftreten nicht mehr von der Renaissance wußte
und kannte, als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist
schlechterdings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Re¬
naissance fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie
durch die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich
waren. Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein
Ende über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig
Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt
werdeu kann. Die vielen Berichtigungen kenntnisreicher und scharfsinniger
Herausgeber und Nachfolger betreffen doch nur die einzelnen Daten einer sich
natürlich vertiefenden Spezialkundc, z. B. der Bilderkenntnis oder der Künstler¬
biographie; das Gesamtbild der historischen Erscheinung, die Charakteristik der
Künstler, die Stellung der Kunstwerke zu den großen Fragen der Geschichte
oder den Hauptsätzen der ästhetischen Kritik, das alles ist doch nicht wesentlich
geändert worden. Ich möchte glauben, daß es innerhalb der geschichtlichen
Fächer kein größeres Gebiet giebt, das so, wie die italienische Renaissance von
Burckhardt. von einem einzigen Menschen zuerst in Angriff genommen und
zugleich in einem solchen Maße zum Abschluß gebracht worden wäre. Ein
zweiter Winckelmann ist in Bezug auf die Antike nach Winckelmann nicht mehr


Jakob Burckhardt

bilduugsfreudigen jungen Eidgenossen aussprechen zu dürfen, und es ist ja
keine Frage, daß auch diese Art von Heimath- oder Stammesgefühl etwas
schönes hat.

Aus der Rede jenes Historikers möchte ich noch einen Satz anführen, weil
sich daran weitere Folgerungen knüpfen lassen. „Ein Nachglanz von dem. was
er bis vor kurzem uns gewesen, wird dann (nämlich in wenigen Jahrzehnten,
wenn der Kreis seiner jüngern Kollegen und Schüler sich zu lichten beginnen
wird) noch sortlenchten aus seinen Werken; dann werden auch neben diesen
jüngere Werke aufschießen und sie überwachsen, das dauernd gewonnene aus
ihnen aufnehmen und weiterführen und das unvollkommne ersetzen durch ge¬
wissere Forschung, wie sie die Teilung der Arbeit mit sich bringt; und bis
das kommende Jahrhundert sich wiederum zum Ende neigt, werden selbst Burck-
hardts »Zeitalter Konstantins« und die »Kultur der Renaissance« und sein
»Cicerone« nur den Fachgelehrten noch bewußt und diesen nur noch Titel sein."

Alle Achtung vor den guten Vorsätzen der heutigen Kunstwissenschaft, aber
sollten sie wirklich 1997 Jnkob Burckhardts Leistungen so völlig überwunden,
s» weit hinter sich gebracht haben? Oder, wenn man solche Fragestellung
vielleicht für verfehlt hält, sind etwa Winckelmanns Schriften heute, volle
hundertdreißig Jahre nach seinem Tode, den Fachgelehrten „nur noch Titel"?
Es mag ja jemand zweifeln, ob Burckhardt, der „Großpriester der Renaissance,"
wie ihn Wangen und Franz Kugler vor fünfzig Jahren zu nennen pflegten,
völlig auf eine Linie mit Winckelmann zu stellen sei; aber das ist zweifellos,
daß man vor Burckhardts Auftreten nicht mehr von der Renaissance wußte
und kannte, als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist
schlechterdings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Re¬
naissance fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie
durch die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich
waren. Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein
Ende über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig
Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt
werdeu kann. Die vielen Berichtigungen kenntnisreicher und scharfsinniger
Herausgeber und Nachfolger betreffen doch nur die einzelnen Daten einer sich
natürlich vertiefenden Spezialkundc, z. B. der Bilderkenntnis oder der Künstler¬
biographie; das Gesamtbild der historischen Erscheinung, die Charakteristik der
Künstler, die Stellung der Kunstwerke zu den großen Fragen der Geschichte
oder den Hauptsätzen der ästhetischen Kritik, das alles ist doch nicht wesentlich
geändert worden. Ich möchte glauben, daß es innerhalb der geschichtlichen
Fächer kein größeres Gebiet giebt, das so, wie die italienische Renaissance von
Burckhardt. von einem einzigen Menschen zuerst in Angriff genommen und
zugleich in einem solchen Maße zum Abschluß gebracht worden wäre. Ein
zweiter Winckelmann ist in Bezug auf die Antike nach Winckelmann nicht mehr


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[0395] Jakob Burckhardt bilduugsfreudigen jungen Eidgenossen aussprechen zu dürfen, und es ist ja keine Frage, daß auch diese Art von Heimath- oder Stammesgefühl etwas schönes hat. Aus der Rede jenes Historikers möchte ich noch einen Satz anführen, weil sich daran weitere Folgerungen knüpfen lassen. „Ein Nachglanz von dem. was er bis vor kurzem uns gewesen, wird dann (nämlich in wenigen Jahrzehnten, wenn der Kreis seiner jüngern Kollegen und Schüler sich zu lichten beginnen wird) noch sortlenchten aus seinen Werken; dann werden auch neben diesen jüngere Werke aufschießen und sie überwachsen, das dauernd gewonnene aus ihnen aufnehmen und weiterführen und das unvollkommne ersetzen durch ge¬ wissere Forschung, wie sie die Teilung der Arbeit mit sich bringt; und bis das kommende Jahrhundert sich wiederum zum Ende neigt, werden selbst Burck- hardts »Zeitalter Konstantins« und die »Kultur der Renaissance« und sein »Cicerone« nur den Fachgelehrten noch bewußt und diesen nur noch Titel sein." Alle Achtung vor den guten Vorsätzen der heutigen Kunstwissenschaft, aber sollten sie wirklich 1997 Jnkob Burckhardts Leistungen so völlig überwunden, s» weit hinter sich gebracht haben? Oder, wenn man solche Fragestellung vielleicht für verfehlt hält, sind etwa Winckelmanns Schriften heute, volle hundertdreißig Jahre nach seinem Tode, den Fachgelehrten „nur noch Titel"? Es mag ja jemand zweifeln, ob Burckhardt, der „Großpriester der Renaissance," wie ihn Wangen und Franz Kugler vor fünfzig Jahren zu nennen pflegten, völlig auf eine Linie mit Winckelmann zu stellen sei; aber das ist zweifellos, daß man vor Burckhardts Auftreten nicht mehr von der Renaissance wußte und kannte, als vor Winckelmann von der Kunst der Alten. Und es ist schlechterdings nicht abzusehen, auf welche Weise die Wissenschaft von der Re¬ naissance fortan noch solche Fortschritte machen könnte, wie sie der Archäologie durch die vielen großen äußern Entdeckungen seit Winckelmann noch möglich waren. Wer Burckhardts Schriften genauer kennt, der hat des Wunderns kein Ende über alles, was darin steht, und was noch heute, nach dreißig bis vierzig Jahren, nicht besser gewußt wird und vor allem auch nicht besser ausgedrückt werdeu kann. Die vielen Berichtigungen kenntnisreicher und scharfsinniger Herausgeber und Nachfolger betreffen doch nur die einzelnen Daten einer sich natürlich vertiefenden Spezialkundc, z. B. der Bilderkenntnis oder der Künstler¬ biographie; das Gesamtbild der historischen Erscheinung, die Charakteristik der Künstler, die Stellung der Kunstwerke zu den großen Fragen der Geschichte oder den Hauptsätzen der ästhetischen Kritik, das alles ist doch nicht wesentlich geändert worden. Ich möchte glauben, daß es innerhalb der geschichtlichen Fächer kein größeres Gebiet giebt, das so, wie die italienische Renaissance von Burckhardt. von einem einzigen Menschen zuerst in Angriff genommen und zugleich in einem solchen Maße zum Abschluß gebracht worden wäre. Ein zweiter Winckelmann ist in Bezug auf die Antike nach Winckelmann nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/395>, abgerufen am 23.07.2024.