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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

Grübeleien erwachsen, sondern auf altem, gesundem Volksboden, den wirklichen
Bedürfnissen des Volkes gemäß, nur etwas vom Aberglauben gereinigt und
vergeistigt, wie es dem Pfarrer angemessen ist. Er weiß sich jederzeit in die
Anschauung des Volkes hinein zu versetzen und trägt ihr, soweit es geht,
Rechnung, sucht aber dabei doch seine reinere Anschauung unmerklich zur
Geltung zu bringen. Das haben seine Gegner geleugnet, aber mit Unrecht;
sie schoben dem Dichter die Äußerungen seiner Personen unter. Aber selbst
wenn einmal der Teufel bei ihm in Aktion treten sollte, man darf darüber
nicht übersehen, daß alle hohen und reinen Stimmungen in Gotthelfs Werken
christlich-religiös, und daß diese Stimmungen bei weitem vorherrschend sind.
Er war kein gewöhnlicher Utilitarier, wenn er auch das Christentum als die
hauptsächlichste moralische Macht des Lebens, als Erweckungsgebiet aller Kräfte
im Menschen und als Sporn zu jeder fruchtbaren Thätigkeit ansah. Das Leben
in Gott wollte er auch, aber kein thatenloses, kein in die Ferne schweifendes,
war er doch selbst durch und durch Thatmensch. Damit ist der Übergang von
der religiösen zur politischen und sozialen Stellung Gotthelfs gegeben.

"Seine tugendhaften Helden sind alles konservative Altglänbige, und der
Gott der Schriftsteller mit der schicksalverleihenden Feder weiß sie nicht anders
zu belohnen, als daß sie entweder reich und behäbig sind oder es schließlich
werden. Die Lumpen und Hungerschlucker aber sind alle radikale Ungläubige,
und es ergeht ihnen herzlich schlecht," so hat Keller von Gotthelfs Gestalten
gesagt, Keller war in der Zeit, wo er über Gotthelf schrieb, in dem Bann
des Radikalismus, überdies besteht sein Aufsatz über Gotthelf ans einzelnen,
zu verschiednen Zeiten geschriebnen und einander teilweise widersprechenden Re¬
zensionen einzelner Werke, sodaß er nur mit großer Vorsicht zu benutzen ist.
So ist die oben angeführte Behauptung Kellers geradezu unwahr und zeugt
von mangelnder Kenntnis der Werke des Dichters. Allerdings verleiht Gott¬
helf seinen Helden in der Regel religiösen Sinn oder läßt ihn doch nach und
nach in ihnen erwachen, die Lumpen dagegen ungläubig sein, aber bei einer
großen Anzahl seiner Werke, den frühern namentlich, denkt er gar nicht an
politische Parteiverhältnisse, macht auch seine Helden nie durch den Glauben
an sich glücklich, sondern durch ihre Tüchtigkeit und saure Arbeit und
ebenso die Lumpen unglücklich nicht wegen ihres Unglaubens, sondern wegen
ihrer Faulheit und Liederlichkeit. Ganz fern aber liegt es ihm, die Reichen
als die wahrhaft Frommen und Gottgeliebten, die Armen als Teufelskindcr
hinzustellen; ganz im Gegenteil hat er in seinen frühern wie in seinen spätern
Schriften Reich und Arm in dieser Hinsicht völlig gleich behandelt und hat
seine Stimme sein Leben lang für die Armen erhoben und die Schuld für
ihre Verkommenheit nicht bloß ihnen selbst, sondern auch ihren Herren, denen
er gewaltige Predigten hält, und den Verhältnissen zugeschrieben. Kurz, wenn
irgend einer von den frühern deutschen Dichtern von echt sozialem Geiste er-


Jeremias Gotthelf

Grübeleien erwachsen, sondern auf altem, gesundem Volksboden, den wirklichen
Bedürfnissen des Volkes gemäß, nur etwas vom Aberglauben gereinigt und
vergeistigt, wie es dem Pfarrer angemessen ist. Er weiß sich jederzeit in die
Anschauung des Volkes hinein zu versetzen und trägt ihr, soweit es geht,
Rechnung, sucht aber dabei doch seine reinere Anschauung unmerklich zur
Geltung zu bringen. Das haben seine Gegner geleugnet, aber mit Unrecht;
sie schoben dem Dichter die Äußerungen seiner Personen unter. Aber selbst
wenn einmal der Teufel bei ihm in Aktion treten sollte, man darf darüber
nicht übersehen, daß alle hohen und reinen Stimmungen in Gotthelfs Werken
christlich-religiös, und daß diese Stimmungen bei weitem vorherrschend sind.
Er war kein gewöhnlicher Utilitarier, wenn er auch das Christentum als die
hauptsächlichste moralische Macht des Lebens, als Erweckungsgebiet aller Kräfte
im Menschen und als Sporn zu jeder fruchtbaren Thätigkeit ansah. Das Leben
in Gott wollte er auch, aber kein thatenloses, kein in die Ferne schweifendes,
war er doch selbst durch und durch Thatmensch. Damit ist der Übergang von
der religiösen zur politischen und sozialen Stellung Gotthelfs gegeben.

„Seine tugendhaften Helden sind alles konservative Altglänbige, und der
Gott der Schriftsteller mit der schicksalverleihenden Feder weiß sie nicht anders
zu belohnen, als daß sie entweder reich und behäbig sind oder es schließlich
werden. Die Lumpen und Hungerschlucker aber sind alle radikale Ungläubige,
und es ergeht ihnen herzlich schlecht," so hat Keller von Gotthelfs Gestalten
gesagt, Keller war in der Zeit, wo er über Gotthelf schrieb, in dem Bann
des Radikalismus, überdies besteht sein Aufsatz über Gotthelf ans einzelnen,
zu verschiednen Zeiten geschriebnen und einander teilweise widersprechenden Re¬
zensionen einzelner Werke, sodaß er nur mit großer Vorsicht zu benutzen ist.
So ist die oben angeführte Behauptung Kellers geradezu unwahr und zeugt
von mangelnder Kenntnis der Werke des Dichters. Allerdings verleiht Gott¬
helf seinen Helden in der Regel religiösen Sinn oder läßt ihn doch nach und
nach in ihnen erwachen, die Lumpen dagegen ungläubig sein, aber bei einer
großen Anzahl seiner Werke, den frühern namentlich, denkt er gar nicht an
politische Parteiverhältnisse, macht auch seine Helden nie durch den Glauben
an sich glücklich, sondern durch ihre Tüchtigkeit und saure Arbeit und
ebenso die Lumpen unglücklich nicht wegen ihres Unglaubens, sondern wegen
ihrer Faulheit und Liederlichkeit. Ganz fern aber liegt es ihm, die Reichen
als die wahrhaft Frommen und Gottgeliebten, die Armen als Teufelskindcr
hinzustellen; ganz im Gegenteil hat er in seinen frühern wie in seinen spätern
Schriften Reich und Arm in dieser Hinsicht völlig gleich behandelt und hat
seine Stimme sein Leben lang für die Armen erhoben und die Schuld für
ihre Verkommenheit nicht bloß ihnen selbst, sondern auch ihren Herren, denen
er gewaltige Predigten hält, und den Verhältnissen zugeschrieben. Kurz, wenn
irgend einer von den frühern deutschen Dichtern von echt sozialem Geiste er-


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[0334] Jeremias Gotthelf Grübeleien erwachsen, sondern auf altem, gesundem Volksboden, den wirklichen Bedürfnissen des Volkes gemäß, nur etwas vom Aberglauben gereinigt und vergeistigt, wie es dem Pfarrer angemessen ist. Er weiß sich jederzeit in die Anschauung des Volkes hinein zu versetzen und trägt ihr, soweit es geht, Rechnung, sucht aber dabei doch seine reinere Anschauung unmerklich zur Geltung zu bringen. Das haben seine Gegner geleugnet, aber mit Unrecht; sie schoben dem Dichter die Äußerungen seiner Personen unter. Aber selbst wenn einmal der Teufel bei ihm in Aktion treten sollte, man darf darüber nicht übersehen, daß alle hohen und reinen Stimmungen in Gotthelfs Werken christlich-religiös, und daß diese Stimmungen bei weitem vorherrschend sind. Er war kein gewöhnlicher Utilitarier, wenn er auch das Christentum als die hauptsächlichste moralische Macht des Lebens, als Erweckungsgebiet aller Kräfte im Menschen und als Sporn zu jeder fruchtbaren Thätigkeit ansah. Das Leben in Gott wollte er auch, aber kein thatenloses, kein in die Ferne schweifendes, war er doch selbst durch und durch Thatmensch. Damit ist der Übergang von der religiösen zur politischen und sozialen Stellung Gotthelfs gegeben. „Seine tugendhaften Helden sind alles konservative Altglänbige, und der Gott der Schriftsteller mit der schicksalverleihenden Feder weiß sie nicht anders zu belohnen, als daß sie entweder reich und behäbig sind oder es schließlich werden. Die Lumpen und Hungerschlucker aber sind alle radikale Ungläubige, und es ergeht ihnen herzlich schlecht," so hat Keller von Gotthelfs Gestalten gesagt, Keller war in der Zeit, wo er über Gotthelf schrieb, in dem Bann des Radikalismus, überdies besteht sein Aufsatz über Gotthelf ans einzelnen, zu verschiednen Zeiten geschriebnen und einander teilweise widersprechenden Re¬ zensionen einzelner Werke, sodaß er nur mit großer Vorsicht zu benutzen ist. So ist die oben angeführte Behauptung Kellers geradezu unwahr und zeugt von mangelnder Kenntnis der Werke des Dichters. Allerdings verleiht Gott¬ helf seinen Helden in der Regel religiösen Sinn oder läßt ihn doch nach und nach in ihnen erwachen, die Lumpen dagegen ungläubig sein, aber bei einer großen Anzahl seiner Werke, den frühern namentlich, denkt er gar nicht an politische Parteiverhältnisse, macht auch seine Helden nie durch den Glauben an sich glücklich, sondern durch ihre Tüchtigkeit und saure Arbeit und ebenso die Lumpen unglücklich nicht wegen ihres Unglaubens, sondern wegen ihrer Faulheit und Liederlichkeit. Ganz fern aber liegt es ihm, die Reichen als die wahrhaft Frommen und Gottgeliebten, die Armen als Teufelskindcr hinzustellen; ganz im Gegenteil hat er in seinen frühern wie in seinen spätern Schriften Reich und Arm in dieser Hinsicht völlig gleich behandelt und hat seine Stimme sein Leben lang für die Armen erhoben und die Schuld für ihre Verkommenheit nicht bloß ihnen selbst, sondern auch ihren Herren, denen er gewaltige Predigten hält, und den Verhältnissen zugeschrieben. Kurz, wenn irgend einer von den frühern deutschen Dichtern von echt sozialem Geiste er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/334>, abgerufen am 24.07.2024.