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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf

füllt ist, so ist es Jeremias Gotthelf, und da sich mit diesem sozialen zugleich
echt konservativer Geist verband, so steht er uns heute ebenso nahe, wie er den
Liberalen und Radikalen seinerzeit fernstehen und unverständlich sein mußte. Es
ist ja bezeichnend für allen Liberalismus und Radikalismus, daß er nie mit
der wirklichen Menschennatur und den bestehenden Verhältnissen, sondern immer
nur mit dem Abstraktum Mensch und allgemeinen Ideen gerechnet hat; Gott¬
helf aber kannte den wirklichen Menschen und die Menschen und Verhältnisse,
er war mit denen seiner Heimat aufs innigste verwachsen und wußte recht gut,
wo ihr Heil lag. Wenn Keller spottet: "Zunächst versteht er unter dem
christlichen Staate die alte Republik Bern, welche ans alten christlichen Bauern-
dynastieu besteht, die so lange ans ihren fetten Höfen sitzen dürfen, als sie
Christum bekennen. Thun sie dies nicht mehr, so kommen sie um Haus und
.Hof. Es steht indessen im Evangelium kein Wort davon, daß der rechte Christ
ein reicher Verner Bauer sein müsse," so richtet sich solches Gerede von selbst,
ebenso wie die Vergleichung Gotthelfs mit einem Kapuziner, der sich nach
gehaltner Predigt den Schweiß abwischt und sich hinter die kühle Flasche setzt
mit den Worten: "Denen habe ich es wieder einmal gesagt! Eine Wurst her,
Frau Wirtin." Gotthelf hatte eben erkannt, daß die Kraft seines Volkes auf
dem alten, erbgesessenen Bauernstande beruhe, und daß der liberale Zeitgeist,
vertreten zum großen Teil durch fremde (deutsche) Professoren und radikale
Politiker, die nichts hatten, aber alles haben wollten, diesem Bauernstande
gefährlich werden könne. Dagegen erschien ihm ein nichtmncterisches. ehrenhaftes
Christentum als das beste Schutzmittel, und wer wollte leugnen, daß es nur
die Religion bei dieser Lage der Dinge sein konnte, nicht aber die reine
Humanität, die Keller empfiehlt, und die, wenn überhaupt, nur in den Ge¬
bildeten wirksam sein kann? Daß die radikale Partei des Kantons Bern
allerlei unsaubre Leute enthielt, giebt Keller selbst zu, wenn er schreibt: "Der
Kanton Bern ist seit einer Reihe von Jahren durch eine Unmasse von Advo¬
katen. Ncchtsagenten, Schreibern und dergleichen überschwemmt worden, welche,
angelockt durch die neuerrichtete Universität und einen echt demagogischen
Professor, von der Dorfschule weg einige Semester in Bern herumrutschten
und dann als halbgebackne Juristen und Sykophanten großen Unfug im
bernischen Volke anrichteten." Keller meint zwar, diese Krankheit sei dnrch
die wahre Volksaufklärung geheilt worden (ich möchte eher glauben dnrch den
Schaden, der klug macht), aber wer kann es dem Pfarrer Bitzins verdenken,
daß er durch diese Dinge in einen Haß gegen die "Vertreter des Zeitgeistes"
hineingeriet, zumal da sicher anzunehmen ist, daß er in seinem eignen Wirken
vielfach durch jeues Agentengesindel gestört wurde, und die Folgen jener Über¬
schwemmung ohne Zweifel lange nachgewirkt haben, was Gotthelf, der im
Kanton Bern wohnte, beobachten konnte, der Züricher Keller aber nicht. Gewiß
ist Gotthelf bei seinem Streiten gegen den Zeitgeist in der Aufregung des


Jeremias Gotthelf

füllt ist, so ist es Jeremias Gotthelf, und da sich mit diesem sozialen zugleich
echt konservativer Geist verband, so steht er uns heute ebenso nahe, wie er den
Liberalen und Radikalen seinerzeit fernstehen und unverständlich sein mußte. Es
ist ja bezeichnend für allen Liberalismus und Radikalismus, daß er nie mit
der wirklichen Menschennatur und den bestehenden Verhältnissen, sondern immer
nur mit dem Abstraktum Mensch und allgemeinen Ideen gerechnet hat; Gott¬
helf aber kannte den wirklichen Menschen und die Menschen und Verhältnisse,
er war mit denen seiner Heimat aufs innigste verwachsen und wußte recht gut,
wo ihr Heil lag. Wenn Keller spottet: „Zunächst versteht er unter dem
christlichen Staate die alte Republik Bern, welche ans alten christlichen Bauern-
dynastieu besteht, die so lange ans ihren fetten Höfen sitzen dürfen, als sie
Christum bekennen. Thun sie dies nicht mehr, so kommen sie um Haus und
.Hof. Es steht indessen im Evangelium kein Wort davon, daß der rechte Christ
ein reicher Verner Bauer sein müsse," so richtet sich solches Gerede von selbst,
ebenso wie die Vergleichung Gotthelfs mit einem Kapuziner, der sich nach
gehaltner Predigt den Schweiß abwischt und sich hinter die kühle Flasche setzt
mit den Worten: „Denen habe ich es wieder einmal gesagt! Eine Wurst her,
Frau Wirtin." Gotthelf hatte eben erkannt, daß die Kraft seines Volkes auf
dem alten, erbgesessenen Bauernstande beruhe, und daß der liberale Zeitgeist,
vertreten zum großen Teil durch fremde (deutsche) Professoren und radikale
Politiker, die nichts hatten, aber alles haben wollten, diesem Bauernstande
gefährlich werden könne. Dagegen erschien ihm ein nichtmncterisches. ehrenhaftes
Christentum als das beste Schutzmittel, und wer wollte leugnen, daß es nur
die Religion bei dieser Lage der Dinge sein konnte, nicht aber die reine
Humanität, die Keller empfiehlt, und die, wenn überhaupt, nur in den Ge¬
bildeten wirksam sein kann? Daß die radikale Partei des Kantons Bern
allerlei unsaubre Leute enthielt, giebt Keller selbst zu, wenn er schreibt: „Der
Kanton Bern ist seit einer Reihe von Jahren durch eine Unmasse von Advo¬
katen. Ncchtsagenten, Schreibern und dergleichen überschwemmt worden, welche,
angelockt durch die neuerrichtete Universität und einen echt demagogischen
Professor, von der Dorfschule weg einige Semester in Bern herumrutschten
und dann als halbgebackne Juristen und Sykophanten großen Unfug im
bernischen Volke anrichteten." Keller meint zwar, diese Krankheit sei dnrch
die wahre Volksaufklärung geheilt worden (ich möchte eher glauben dnrch den
Schaden, der klug macht), aber wer kann es dem Pfarrer Bitzins verdenken,
daß er durch diese Dinge in einen Haß gegen die „Vertreter des Zeitgeistes"
hineingeriet, zumal da sicher anzunehmen ist, daß er in seinem eignen Wirken
vielfach durch jeues Agentengesindel gestört wurde, und die Folgen jener Über¬
schwemmung ohne Zweifel lange nachgewirkt haben, was Gotthelf, der im
Kanton Bern wohnte, beobachten konnte, der Züricher Keller aber nicht. Gewiß
ist Gotthelf bei seinem Streiten gegen den Zeitgeist in der Aufregung des


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[0335] Jeremias Gotthelf füllt ist, so ist es Jeremias Gotthelf, und da sich mit diesem sozialen zugleich echt konservativer Geist verband, so steht er uns heute ebenso nahe, wie er den Liberalen und Radikalen seinerzeit fernstehen und unverständlich sein mußte. Es ist ja bezeichnend für allen Liberalismus und Radikalismus, daß er nie mit der wirklichen Menschennatur und den bestehenden Verhältnissen, sondern immer nur mit dem Abstraktum Mensch und allgemeinen Ideen gerechnet hat; Gott¬ helf aber kannte den wirklichen Menschen und die Menschen und Verhältnisse, er war mit denen seiner Heimat aufs innigste verwachsen und wußte recht gut, wo ihr Heil lag. Wenn Keller spottet: „Zunächst versteht er unter dem christlichen Staate die alte Republik Bern, welche ans alten christlichen Bauern- dynastieu besteht, die so lange ans ihren fetten Höfen sitzen dürfen, als sie Christum bekennen. Thun sie dies nicht mehr, so kommen sie um Haus und .Hof. Es steht indessen im Evangelium kein Wort davon, daß der rechte Christ ein reicher Verner Bauer sein müsse," so richtet sich solches Gerede von selbst, ebenso wie die Vergleichung Gotthelfs mit einem Kapuziner, der sich nach gehaltner Predigt den Schweiß abwischt und sich hinter die kühle Flasche setzt mit den Worten: „Denen habe ich es wieder einmal gesagt! Eine Wurst her, Frau Wirtin." Gotthelf hatte eben erkannt, daß die Kraft seines Volkes auf dem alten, erbgesessenen Bauernstande beruhe, und daß der liberale Zeitgeist, vertreten zum großen Teil durch fremde (deutsche) Professoren und radikale Politiker, die nichts hatten, aber alles haben wollten, diesem Bauernstande gefährlich werden könne. Dagegen erschien ihm ein nichtmncterisches. ehrenhaftes Christentum als das beste Schutzmittel, und wer wollte leugnen, daß es nur die Religion bei dieser Lage der Dinge sein konnte, nicht aber die reine Humanität, die Keller empfiehlt, und die, wenn überhaupt, nur in den Ge¬ bildeten wirksam sein kann? Daß die radikale Partei des Kantons Bern allerlei unsaubre Leute enthielt, giebt Keller selbst zu, wenn er schreibt: „Der Kanton Bern ist seit einer Reihe von Jahren durch eine Unmasse von Advo¬ katen. Ncchtsagenten, Schreibern und dergleichen überschwemmt worden, welche, angelockt durch die neuerrichtete Universität und einen echt demagogischen Professor, von der Dorfschule weg einige Semester in Bern herumrutschten und dann als halbgebackne Juristen und Sykophanten großen Unfug im bernischen Volke anrichteten." Keller meint zwar, diese Krankheit sei dnrch die wahre Volksaufklärung geheilt worden (ich möchte eher glauben dnrch den Schaden, der klug macht), aber wer kann es dem Pfarrer Bitzins verdenken, daß er durch diese Dinge in einen Haß gegen die „Vertreter des Zeitgeistes" hineingeriet, zumal da sicher anzunehmen ist, daß er in seinem eignen Wirken vielfach durch jeues Agentengesindel gestört wurde, und die Folgen jener Über¬ schwemmung ohne Zweifel lange nachgewirkt haben, was Gotthelf, der im Kanton Bern wohnte, beobachten konnte, der Züricher Keller aber nicht. Gewiß ist Gotthelf bei seinem Streiten gegen den Zeitgeist in der Aufregung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/335>, abgerufen am 29.12.2024.