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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Aem der Apothekenreformbewegung

Universitätslehrer dem Apotheker stecken möchten, werden immer unerreicht
bleiben. Die Aufgaben, die er auf dem Gebiete der Volkshygiene, der Nahrungs¬
mittelkontrolle, der Bakteriologie usw. erobern möchte, werden ihm entrissen,
ehe er darnach greift. Er ist und bleibt ein naturwissenschaftlich gebildeter
Geschäftsmann, ist abhängig von seiner Kundschaft und hat vor allem -- keine
Zeit; und hat er sie, so ist sein Wirkungskreis zu klein, als daß es die Ein¬
richtung und Anschaffung der Apparate lohnte.

Und doch liegt in dem Wollen, in dem Hinweis der Universitätslehrer
auf neue Arbeitsgebiete der Kern der Apothekenfrage. Die Mehrheit der
Apotheker empfindet, je mehr das Laboratorium vereinsamt, immer mehr den
Mangel an geistiger Anregung, und die Unzufriedenheit des Apothekers mit
sich selbst, das Gefühl der geistigen Inferiorität seiner Bernfsausführung lastet
auf ihm schwerer, als er sich zugesteht, und so giebt der Anhänger des
"Maturums" von vornherein dem Gegner die Waffe in die Hand mit der
Phrase von der Hebung des Standes.

Die erhöhte Vorbildung hebt den Stand nicht. War der Apotheker doch
am angesehensten, als er noch im Laboratorium, das auf der Höhe seiner Zeit
stand, chemische und generische Präparate selbst darstellte, als er fast noch
allein Hüter und Förderer der Naturwissenschaften war. In dieser Zeit bot
ihm das Laboratorium noch Erholung von der Eintönigkeit des "Handverkaufs"
und der mechanischen Rezeptur.

Heute steht sein Laboratorium fast durchweg noch auf demselben Stand-
Punkte, sehr selten auch uur annähernd auf der Höhe der Technik. Der Ankauf
ist billiger aus der Fabrik, und als Prüfungsmittel für gekaufte generische Prä-
Parate hat er nur Auge und Nase und nimmt auf Treu und Glauben hin, wofür
er doch allein verantwortlich ist. Die rein chemischen Präparate sind fast alle
den Anforderungen entsprechend. Da ist es denn kein Wunder, wenn die Prüfung
der Präparate, der letzte Nest von Wissenschaftlichkeit, einschläft, die Verant¬
wortung hält doch den Nimbus aufrecht. Die Revisionen kommen und gehen,
und pharisäisch schlagen wir uns an die Brust, wie "bei uns in Deutschland"
alles so gut steht mit der Pharmacie. Und unaufhaltsam schlüge sich die
Großindustrie Stück für Stück los vom Laboratorium, der Droguist vom
Handverkauf, und daneben blüht die "wilde Rezeptur." Der Apotheker läßt
sich von einer chemischen Fabrik ein neues Präparat gleich verkaufsfertig auf¬
zwingen mit Packung und Schutzmarke bei mäßigem Gewinn, der ältere
jammert nach der schönen alten Zeit und seufzt, und der jüngere meint mit-
fchwimmen zu müssen, erteilte Marke und Packung und sucht ein neues Prä-
Parat einzuführen, selten mit Glück. Schlägt es zufällig ein, so wird auch
er schleunigst Fabrikant, verkauft seine Apotheke, und in dem engen Kreis der
Pharmacie bleibt uur die Unzufriedenheit.

Die Forschungen der pharmazeutischen Chemie, der Pharmakoguosie be-


Grenzboten III 1897 89
Der Aem der Apothekenreformbewegung

Universitätslehrer dem Apotheker stecken möchten, werden immer unerreicht
bleiben. Die Aufgaben, die er auf dem Gebiete der Volkshygiene, der Nahrungs¬
mittelkontrolle, der Bakteriologie usw. erobern möchte, werden ihm entrissen,
ehe er darnach greift. Er ist und bleibt ein naturwissenschaftlich gebildeter
Geschäftsmann, ist abhängig von seiner Kundschaft und hat vor allem — keine
Zeit; und hat er sie, so ist sein Wirkungskreis zu klein, als daß es die Ein¬
richtung und Anschaffung der Apparate lohnte.

Und doch liegt in dem Wollen, in dem Hinweis der Universitätslehrer
auf neue Arbeitsgebiete der Kern der Apothekenfrage. Die Mehrheit der
Apotheker empfindet, je mehr das Laboratorium vereinsamt, immer mehr den
Mangel an geistiger Anregung, und die Unzufriedenheit des Apothekers mit
sich selbst, das Gefühl der geistigen Inferiorität seiner Bernfsausführung lastet
auf ihm schwerer, als er sich zugesteht, und so giebt der Anhänger des
„Maturums" von vornherein dem Gegner die Waffe in die Hand mit der
Phrase von der Hebung des Standes.

Die erhöhte Vorbildung hebt den Stand nicht. War der Apotheker doch
am angesehensten, als er noch im Laboratorium, das auf der Höhe seiner Zeit
stand, chemische und generische Präparate selbst darstellte, als er fast noch
allein Hüter und Förderer der Naturwissenschaften war. In dieser Zeit bot
ihm das Laboratorium noch Erholung von der Eintönigkeit des „Handverkaufs"
und der mechanischen Rezeptur.

Heute steht sein Laboratorium fast durchweg noch auf demselben Stand-
Punkte, sehr selten auch uur annähernd auf der Höhe der Technik. Der Ankauf
ist billiger aus der Fabrik, und als Prüfungsmittel für gekaufte generische Prä-
Parate hat er nur Auge und Nase und nimmt auf Treu und Glauben hin, wofür
er doch allein verantwortlich ist. Die rein chemischen Präparate sind fast alle
den Anforderungen entsprechend. Da ist es denn kein Wunder, wenn die Prüfung
der Präparate, der letzte Nest von Wissenschaftlichkeit, einschläft, die Verant¬
wortung hält doch den Nimbus aufrecht. Die Revisionen kommen und gehen,
und pharisäisch schlagen wir uns an die Brust, wie „bei uns in Deutschland"
alles so gut steht mit der Pharmacie. Und unaufhaltsam schlüge sich die
Großindustrie Stück für Stück los vom Laboratorium, der Droguist vom
Handverkauf, und daneben blüht die „wilde Rezeptur." Der Apotheker läßt
sich von einer chemischen Fabrik ein neues Präparat gleich verkaufsfertig auf¬
zwingen mit Packung und Schutzmarke bei mäßigem Gewinn, der ältere
jammert nach der schönen alten Zeit und seufzt, und der jüngere meint mit-
fchwimmen zu müssen, erteilte Marke und Packung und sucht ein neues Prä-
Parat einzuführen, selten mit Glück. Schlägt es zufällig ein, so wird auch
er schleunigst Fabrikant, verkauft seine Apotheke, und in dem engen Kreis der
Pharmacie bleibt uur die Unzufriedenheit.

Die Forschungen der pharmazeutischen Chemie, der Pharmakoguosie be-


Grenzboten III 1897 89
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[0313] Der Aem der Apothekenreformbewegung Universitätslehrer dem Apotheker stecken möchten, werden immer unerreicht bleiben. Die Aufgaben, die er auf dem Gebiete der Volkshygiene, der Nahrungs¬ mittelkontrolle, der Bakteriologie usw. erobern möchte, werden ihm entrissen, ehe er darnach greift. Er ist und bleibt ein naturwissenschaftlich gebildeter Geschäftsmann, ist abhängig von seiner Kundschaft und hat vor allem — keine Zeit; und hat er sie, so ist sein Wirkungskreis zu klein, als daß es die Ein¬ richtung und Anschaffung der Apparate lohnte. Und doch liegt in dem Wollen, in dem Hinweis der Universitätslehrer auf neue Arbeitsgebiete der Kern der Apothekenfrage. Die Mehrheit der Apotheker empfindet, je mehr das Laboratorium vereinsamt, immer mehr den Mangel an geistiger Anregung, und die Unzufriedenheit des Apothekers mit sich selbst, das Gefühl der geistigen Inferiorität seiner Bernfsausführung lastet auf ihm schwerer, als er sich zugesteht, und so giebt der Anhänger des „Maturums" von vornherein dem Gegner die Waffe in die Hand mit der Phrase von der Hebung des Standes. Die erhöhte Vorbildung hebt den Stand nicht. War der Apotheker doch am angesehensten, als er noch im Laboratorium, das auf der Höhe seiner Zeit stand, chemische und generische Präparate selbst darstellte, als er fast noch allein Hüter und Förderer der Naturwissenschaften war. In dieser Zeit bot ihm das Laboratorium noch Erholung von der Eintönigkeit des „Handverkaufs" und der mechanischen Rezeptur. Heute steht sein Laboratorium fast durchweg noch auf demselben Stand- Punkte, sehr selten auch uur annähernd auf der Höhe der Technik. Der Ankauf ist billiger aus der Fabrik, und als Prüfungsmittel für gekaufte generische Prä- Parate hat er nur Auge und Nase und nimmt auf Treu und Glauben hin, wofür er doch allein verantwortlich ist. Die rein chemischen Präparate sind fast alle den Anforderungen entsprechend. Da ist es denn kein Wunder, wenn die Prüfung der Präparate, der letzte Nest von Wissenschaftlichkeit, einschläft, die Verant¬ wortung hält doch den Nimbus aufrecht. Die Revisionen kommen und gehen, und pharisäisch schlagen wir uns an die Brust, wie „bei uns in Deutschland" alles so gut steht mit der Pharmacie. Und unaufhaltsam schlüge sich die Großindustrie Stück für Stück los vom Laboratorium, der Droguist vom Handverkauf, und daneben blüht die „wilde Rezeptur." Der Apotheker läßt sich von einer chemischen Fabrik ein neues Präparat gleich verkaufsfertig auf¬ zwingen mit Packung und Schutzmarke bei mäßigem Gewinn, der ältere jammert nach der schönen alten Zeit und seufzt, und der jüngere meint mit- fchwimmen zu müssen, erteilte Marke und Packung und sucht ein neues Prä- Parat einzuführen, selten mit Glück. Schlägt es zufällig ein, so wird auch er schleunigst Fabrikant, verkauft seine Apotheke, und in dem engen Kreis der Pharmacie bleibt uur die Unzufriedenheit. Die Forschungen der pharmazeutischen Chemie, der Pharmakoguosie be- Grenzboten III 1897 89

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/313>, abgerufen am 01.07.2024.